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In Erinnerung an meinen Sohn von Ding Zilin

1.5.1999, Aus: Amnesty International - Mai 1999
Ding Zilin hat ihren 17-jährigen Sohn Jiang Zilin auf dem Tiananmen Platz verloren. Trotz Drohungen, wirtschaftlichen Diskriminierungen, Einschüchterungsversuchen und zeitweiliger Gefängnisnahme, haben Ding Zilin und ihr Mann Jiang Peikun niemals aufgehört, den Angehörigen der im Jahre 1989 umgebrachten Jugendlichen humanitäre Hilfe zukommen zu lassen. Ding Zilin hat vor zwei Jahren die Kraft aufgebracht, Amnesty International einen Bericht zukommen zu lassen

Wenn mein Sohn noch leben würde ...
Seit acht Jahren muß ich immer daran denken, und besonders, wenn ich Jugendlichen in seinem Alter begegne, wird mir der Gedanke noch unerträglicher. Ich spüre eine Leere, es kommt mir vor, ich stürze in einen Abgrund. Wenn er noch lebte, wäre er heute 25 Jahre alt. Damals war er erst 17. Aber schon über ein Meter achtzig groß... Jetzt wäre er noch größer.
In jener furchtbaren Nacht vor acht Jahren ist er mit einer noch nie gezeigten Entschlossenheit aus dem Haus gegangen. Er wollte zu einem sehr gefährlichen Ort. Und von dort kam er nie wieder zurück.
“Wenn Du fällst, übernehmen wir deinen Posten!” Diesen Slogan schrien die Jugendlichen, um die in Hungerstreik getretenen Studenten zu unterstützen. Dann kam der 17 Mai. Diese Parolen hatten sie auch mit schwarzer Tinte auf weißen Hintergrund geschrieben und sie stachen ins Auge. Er war in der ersten Reihe, hielt das Spruchband der Hohen Schule der Volksuniversität, und hinter ihm waren seine Kommilitonen.
Und dann ist er gefallen und hat für seine Ideale mit seinem jungen Leben bezahlt.
Oft frage ich mich: warum lebt eine Person eigentlich schlußendlich?
Wenn mein Sohn am Leben wäre ... gäbe ich ihm meine ganze Liebe. Ich würde alles tun, um ihm zu helfen, um ihn auf die Universität zu bringen, damit er den Doktor machen kann, ins Ausland gehen kann, um weiter zu studieren ... so wie es auch die anderen Mütter meiner Generation tun würden.
Aber er ist gestorben und hat all meine Liebe und meine Zukunftsträume mitgenommen.
Soll sich das Leben wirklich in Nichts auflösen?
Aber ich werde nie vergessen, was er mir am Abend, vor er wegging, gesagt hat: “Wenn alle Eltern auf der Welt so egoistisch wären wie ihr, welche Hoffnung gäbe es dann für unsere Nation?”
Denn, was wir Erwachsenen nicht zu tun wagten, oder für was wir keine Verantwortung übernehmen wollten, lag schwer auf den Schultern dieser Jugendlichen. Vielleicht war es auch nur eine momentane Leidenschaft. Aber dennoch .....
Warum sind uns Erwachsenen die Ideale nichts wert?
Eine Freundin hat mich einmal versucht zu trösten. Sie sagte: “Wenn ein Mensch nur lebt um zu leben, hat sein Leben keinen Sinn, auch wenn er 70 Jahre alt wird. Wenn dein Sohn auch nur 17 Jahre alt wurde, war sein Leben doch reich und sinnvoll.”
Ich bin mir nicht sicher, ob der Tod meines Sohnes einen Sinn gehabt hat, weil das, was wir für sinnvoll halten, nur denen was bedeuten kann, die am Leben geblieben sind. Eines Tages könnte einer, der am Leben geblieben ist, über den 4. Juni sprechen und auch die an diesem Tage Gefallenen erwähnen. Aber ich glaube weiter daran, daß die Menschen kein unbedeutendes Leben zu führen brauchen, weil dies nur so wäre, wenn jeder einzelne von uns seine eigene Würde auf Spiel setzte.
Ich kenne meinen Sohn. Wenn er nicht beim Massaker gefallen wäre, wenn er heute noch leben könnte, ich glaube er würde niemals aufhören, für die Freiheit zu kämpfen. Er würde seine Pflicht tun, er würde eintauchen in die zunehmende Welle des Demokratisierungsprozesses.
Und dann plötzlich kommt mir der Gedanke: was wäre ich, wenn mein Sohn noch leben würde?
Nach dem Desaster am 4. Juni wäre ich vielleicht eine ängstliche Glucke geworden und würde meinen Sohn viel mehr beschützen wollen, ich würde wahrscheinlich seine Gedankenfreiheit und seinen Willen mit all der instinktiven Mutterliebe zu zügeln versuchen, ich würde aus ihm einen folgsamen Bürger machen. Höchstwahrscheinlich würde meine Haltung ihm gegenüber einen Konflikt zwischen uns beiden heraufbeschwören, weil er Egoismus und Feigheit nicht ertragen würde. Aber er würde mich nicht verachten und die Beziehung zu mir abbrechen, weil er seine Mutter zutiefst liebt. Und er würde in jedem Fall den Weg weitergehen, den er bereits eingeschlagen hat.
Kurzum, ich würde all dies akzeptieren. Oft sagt man, daß die Kinder die Fortsetzung des Lebens ihrer Eltern sind, aber in unserer Familie ist es genau umgekehrt. Heute bin ich es, die noch lebt. Und noch dazu bin ich erwacht aus meiner Ignoranz und Apathie. Ich habe meine Würde wiedergefunden. Aber diese Wiedergeburt war erst durch den Tod meines Sohnes möglich.
Mein Atem, meine Stimme, mein ganzes Sein ist der Fortbestand meines Sohnes. Für immer.

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pro dialog