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KHALIDA MESSAOUDI Internationaler Alexander-Langer-Preis 1997

0.0.2000, aus „Una Città“ – Nr. 88, Sept. 2000
Es ist dringend notwendig, die Geschehnisse in Algerien in das Bewußtsein einer internationalen Öffentlichkeit und von Frauen und Männern guten Willens zu tragen, denn die äußerst schwerwiegenden Angriffe, die die zivile Bevölkerung in diesem uns so nahestehenden Lande hinnehmen muß, können an uns nicht unbeachtet vorübergehen.

Das Preiskomitee der Vereinigung Pro Europa hat mit der Auszeichnung von Frau Khalida Messaoudi nicht nur den Mut und Einsatz dieser Frau hervorheben, sondern vor allem auch darauf hinweisen wollen, welch weiten Weg sie noch zu gehen hat - sowohl für die Demokratie als auch für die Frauen - um in Algerien die Grundprinzipien von Freiheit und Gleichheit, Zusammenleben, Würde und religiöser Toleranz sowie Gleichwertigkeit der Geschlechter zu verteidigen und zu stärken. All diese universellen Grundrechte verkörperten bereits den Wunschtraum vieler Algerierinnen und Algerier, als sie für die Befreiung vom Kolonialismus kämpften.
Khalida Messaoudi, 39 Jahre alt, Vorreiterin der Bürgerbewegungen für die Rechte der Frauen in Algerien, ist eine der Symbolfiguren des demokratischen Widerstands, der dagegen ankämpft, nicht zwischen islamischem Integralismus und Militärmacht zermalmt zu werden. Seit 1993 lebt sie halb-untergetaucht in ihrem eigenen Land, weil sie von den islamischen Integralisten öffentlich zum Tode verurteilt wurde. Zwei Attentaten ist sie bereits wie durch ein Wunder heil entkommen. Dieses Los teilt sie mit anderen, bekannten oder anonymen Mitbürgern, die sich für dasselbe Projekt einer neuen Gesellschaft einsetzen und denen die Anhänger des totalitären Staates das Recht auf Leben und auf einen Einsatz für die Gesellschaft streitig machen. 1992 hat sie mit dem algerischen Präsidenten Boudiaf zusammengearbeitet, der im Juni desselben Jahres unter bisher noch ungeklärten Umständen umgebracht wurde. Khalida Messaoudi ist eine der wichtigsten Vorkämpferinnen der Verbände „RACHDA“, Mitbegründerin der Vereinigung „S.O.S. Femmes en Détresse“ und leitet die Partei „Rassemblement pour la Culture et la Démocratie” (RCD), unter deren Listenzeichen sie am 5. Juni 1997 ins Parlament gewählt wurde. Zur Zeit gilt ihr ganzer Einsatz der Kampagne „eine Million Unterschriften“, womit der derzeit gültige Familienkodex zugunsten von mehr Rechte für die algerischen Frauen abgeändert werden soll.

Das Garantenkomitee: Peter Kammerer (Präsident), Birgit Daiber,
Lisa Foa, Renzo Imbeni, Simonetta Nardin, Anna Segre,
Gianni Sofri, Gianni Tamino, Massimo Tesei

WORTE SIND MEINE EINZIGE WAFFE

von Khalida Messaoudi

Immer wieder lese ich Artikel und Kommentare, die mir weh tun, weil sie Verachtung für mein Volk ausdrücken, das oft als unfähig beschrieben wird, sich selbst zu behaupten, sich zu schützen, ein Volk zweiten Ranges. Es gibt eine unglaubliche Bevormundung, viele Beobachter meinen besser als die Algerier selbst zu wissen, was für sie gut ist. In Wirklichkeit finden diese Menschen das, was für Europäer unmöglich wäre, für die Nicht-Europäer ganz erträglich. Das ist ganz einfach Rassismus. Falls die FIS die Macht in Algerien übernehmen würde und die Algerier sich in den Gefängnissen auf legale Art umbringen ließen, wäre dies kein Problem. In der Tat: haben sie jemals mobil gemacht gegen all das, was in Iran geschehen ist? Absolutes Stillschweigen.
Seit 1979 sind im Iran hunderttausende Personen im Namen Allahs gemordet, gequält und eingesperrt worden. Und was haben diese dazu gesagt? Nichts.
Was man heute über Algerien sagt, ist nicht neu, es wurde bereits bei anderen historischen Anlässen vermerkt. Ich würde gerne lesen, was diese Menschen gesagt haben, als Pol Pot in Kambodscha die Macht ergriff und was sie gesagt haben, als sich Pol Pot als eine schreckliche Wahrheit erwiesen hat. Denken wir an Bosnien. Viele Experten sagten, man müsse verhandeln. Es gab Verhandlungen, aber das Morden ging weiter. Wann hat es aufgehört? Die Verhandlungen haben nicht genügt, es war notwendig, daß die Amerikaner mit ihrem Heer kamen und „jetzt ist Schluß“ sagten. Ich habe noch nicht verstanden, mit welchen Absichten diese Menschen immer weiter lügen und die Geschichte leugnen. Natürlich bin ich gegen den Krieg, wer könnte auch schon gegen den Frieden sein? Wer, außer den bewaffneten islamischen Gruppen? Die einzigen, die heute Frieden schließen könnten, sind jene, die morden, sind die bewaffneten islamischen Gruppen, wenn sie aufhören zu töten. Weil sie es aber von alleine nicht tun werden, weil sie es gar nicht wollen, muß man sie eben daran hindern, zu töten. Wie soll das geschehen? Ich möchte, daß man mir dazu eine Antwort gibt. Die Algerier sind Morde gewohnt, wir hatten Béjart in Algerien, auch von Le Pen sind Torturen in Algerien bekannt, wir haben es damals geschafft, wir werden es wieder schaffen, wir leiden sehr, das ist wahr, man stirbt viel in Algerien, aber wir werden es schaffen, davon bin ich überzeugt. Die Kommentare dieser Menschen machen mir keine Angst, das Problem ist, sie können gefährlich werden, da sie Einfluß auf die öffentliche Meinung ausüben.
Ich muß es sagen: Paßt auf, daß Ihr nicht zu Handlangern von Verbrechern werdet!
Die algerischen Machthaber haben sich schon seit den frühen achtziger Jahren für eine konservative islamische Haltung entschieden. Der 1984 durch das Einparteienregime eingeführte Familienkodex ist die in ihrer strengsten Form interpretierte „scharia“ , die Schule steht seit der Reform von 1980 im Dienst der Islamisten, genauso wie das Fernsehen, das Radio ... All diese Einrichtungen werden überall von den Islamisten verwaltet, um jeden kleinsten Drang nach Freiheit im Keim zu ersticken. Und es wäre gut, sich daran zu erinnern, daß 1984, als das algerische Volk kein Versammlungs- und Demonstrationsrecht hatte, die einzig frei zugelassene Organisation in Algerien die Liga für die Verbreitung des Islams war, die mit den Erdöldollars Saudiarabiens finanziert wurde.
Warum wird vergessen, daß Chadli Bendjedid, der von 1979 bis 1992 Präsident und die Inkarnation dieser historischen Allianz mit - de facto - den Islamisten war, ein Militäroberst war, auch wenn er Hemd und Krawatte trug? Die Militärmacht hat immer ein ziviles Äußeres gehabt, das sich die FLN als einzige Partei fast dreißig Jahre lang alleine auf ihre Fahnen schrieb und heute geteilt wird zwischen FLN, RND, die neue Partei der Macht, und Hamas, eine islamische Partei. Nahnah, Leader der Hamas, die heute sieben Minister in der Regierung hat, und der schon vor den Juni-Wahlen Mitglied der Regierung war, ist die Nummer zwei der Internationalen der Musulmanischen Brüder. Die konservative islamische Option der Machthaber wurde auch anläßlich der letzten Wahlen wieder bestätigt. Wer wurde geopfert, als sie die Ergebnisse fälschten? Natürlich die Demokraten.
Schon lange ist man bemüht, rückschrittliche Einrichtungen, wie etwa den Familienkodex und die 1980 reformierte Schule, wieder einzuführen. Was mich interessiert, ist die Entwicklung der Gesellschaft, wie sie sich angesichts solcher Vorgänge organisiert. Ich nehme das Beispiel des Familienkodex: bereits 1981 haben die Frauen, als man den Kodex hinter verschlossenen Türen diskutiert hatte, öffentlich auf unterschiedliche Weise und trotz Schwierigkeiten dagegen protestiert. Dann gab es eine ununterbrochene Mobilmachung bis heute und seit dem 8. März dieses Jahres läuft eine landesweite Petition, um eine Überarbeitung des Kodex in Richtung Rechte für die Frauen zu erreichen. Die Mädchen der Vereinigung Rachda z.B. sind sogar auf die Strände gegangen, um dafür Unterschriften zu sammeln und haben Hunderte Unterschriften bekommen, dasselbe geschah auf den Straßen: alle unterschreiben; es stimmt nicht, daß die AlgerierInnen nicht unterschreiben. Wohl können diese Mädels nicht in jedes Stadtviertel gehen, weil die Islamisten sie umbringen würden, aber das ist dann deren Schuld. Oder z.B. die Schule. In Algerien läuft seit mindestens sieben Jahren eine von der Bevölkerung geführte Diskussion über die Schule, wie es sie in keinem anderen musulmanischen oder europäischen Land gibt, sei es in Zeitschriften mit Analysen der Programminhalte als auch mit qualitativ hochstehenden Untersuchungen untermauert, die algerische Wissenschaftler durchgeführt haben. Und heute ist die Regierung gezwungen, in ihrem Regierungsprogramm zu versichern: „Wir werden den Familienkodex ändern, wir werden den Schulunterricht ändern“. Dies ist das Ergebnis des von der algerischen Gesellschaft geführten Kampfes.
Es gab und es gibt noch heute Auseinandersetzungen unter der Bevölkerung über die Erlangung von mehr Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit, die langsam auch bei den Institutionen ein Echo finden. Jetzt muß man sehen, daß die Abgeordneten sich auch nach den Wünschen der Gesellschaft richten. Diese beiden Beispiele sind ganz wichtig, weil der Familienkodex und die Schule zwei Standpfeiler für die Demokratisierung einer Gesellschaft sind. Sicherlich wird es im Parlament mit den Islamisten nicht einfach sein, aber es gibt ja nicht nur sie und es liegt an uns demokratischen Abgeordneten, Überzeugungsarbeit zu leisten und Bündnisse zu schließen. So sollte der Dialog in einem Land aussehen: Die Fähigkeit haben, Bündnisse mit anderen Parteien über ganz bestimmte Belange zu schließen. Wenn es uns gelingt, eine Einigung mit einer gewissen Zahl von Parteien über eine Abänderung des Familienkodex zu erlangen, im Sinne von mehr Rechten für die Frauen, wäre dies ein Sieg der algerischen Frauen, die sich dafür eingesetzt haben.
Nun, wenn dies für gewisse Beobachter ein Sichaufdrängen einer nicht repräsentativen Minderheit bedeutet, dann gibt es nichts mehr zu sagen. Glaube es nur, wer will. In Wirklichkeit kümmert diese Leute der Kampf für einen neuen Familienkodex, für ein anderes Schulwesen nicht im geringsten: weil dieser Kampf von der algerischen Gesellschaft geführt wird und diese kümmert sie kein bißchen. Was sie einzig und allein interessiert, ist der Machtapparat.

“Worte sind meine einzige Waffe”, ein langes Gespräch mit Khalida Messaoudi, geführt von Elisabeth Schemla, ist vom Verlag Kunstmann, München 1995, veröffentlicht worden


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