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Irfanka Pašagic, Srebrenica/Tuzla, ist die Alexander-Langer-Preisträgerin 2005: Die Begründigungen

2.7.2005, Stiftung
Unter dem Vorsitz von Renzo Imbeni hat das Wissenschafts- und Garantiekomitee der Alexander-Langer-Stiftung, zusammengesetzt aus Gianni Tamino (Vizepräsident), Anna Bravo, Ursula Apitzsch, Patrizia Failli, Annamaria Gentili, Liliana Cori, Pinuccia Montanari, Margit Pieber und Alessandra Zendron, beschlossen, den internationalen Alexander-Langer-Preis 2005, Irfanka Pašagić, Präsidentin des Vereins Tuzlanska Amica zu verleihen. Der mit 10.000 Euro dotierte Preis wird von der Stiftung Südtiroler Sparkasse zur Verfügung gestellt.

1953 in Srebrenica geboren, studierte Irfanka Pašagić zunächst in Sarajewo und Zagreb, wo sie sich auf Psychiatrie spezialisierte, bevor sie in ihre Heimatstadt zurückkehrte, um dort zu arbeiten. Als im April 1992 die ersten ethnischen Säuberungen durchgeführt wurden, wurde sie deportiert und erreichte nach erheblichem Leid mit anderen Vertriebenen die bosnische Stadt Tuzla, die drei Jahre später, nach dem Fall von Srebrenica im Juli 2005, einen weiteren Ansturm von Flüchtlingen erfuhr, zumeist Frauen und Kinder, Witwen und Waisen, alle in erbärmlicher Verfassung.
Und in dieser Stadt gründete Irfanka Pašagić, mit der Unterstützung des seit 1993 aktiven internationalen Netzwerks „Ponti di donne tra i confini“, das 1993 von „Spazio Pubblico“ aus Bologna initiiert wurde, „Tuzlanska Amica“. Mit der Unterstützung einiger Organisationen der Emilia Romagna und Ligurien konnte das Zentrum in den vergangenen Jahren Patenschaften für weit mehr als 800 Kinder vermitteln. Mittlerweile konnte auch ein Heim für volljährige Waisen errichtet werden. In seinem schönen Garten und dem gastlichen Aufenthaltsraum werden Sprachkurse organisiert, Feste gefeiert und heitere Stunden verlebt. „Tuzlanska Amica“ ist eines der wenigen Zentren, die traumatisierten Frauen, Kindern und Männern psychologische und medizinische Hilfe sowie soziale und rechtliche Beratung leisten. In diesem Rahmen konnten auch Arbeitsplätze geschaffen werden, insbesondere für Frauen, die als Flüchtlinge und/oder Vertriebene aufgrund ihres persönlichen Erfahrungshintergrunds sich besser in die Hilfesuchenden, die sich an Tuzlanska Amica wenden, einfühlen können.
Mit den Patenschaften wird nicht bloß wertvolle finanzielle Hilfe gesammelt und verteilt. Die Paten werden ständig über körperliche und seelische Verfassung sowie persönliche und schulische Fortschritte informiert und gleichzeitig ermutigt, ihre Schützlinge in Tuzla zu besuchen oder sie auf einen Erholungsurlaub zu sich einzuladen.
Mithilfe der niederländischen Organisation „Mala Sirena“, konnte Irfanka Pašagić ein weiteres ihrer wichtigen Vorhaben verwirklichen: sie gründete eine mobile Hilfsgruppe, die unter den über 250.000 Flüchtlingen, die auf dem Land zwischen Tuzla und Srebrenica verstreut in oftmals äußerst prekären Verhältnissen leben, jene aufsuchen und betreuen, die im Verborgenen leben, aber oft am Schwersten betroffen sind. Nach einer ersten humanitären Hilfeleistung prüft die Gruppe, ob in der Familie auch besonders empfindsame Mitglieder leben, die eine zusätzliche psychologische Betreuung erfahren sollen.
Irfanka Pašagić arbeitet auch am Projekt “Promoting a Dialogue: Democracy cannot be built with the hands of broken souls“, das den interethnischen Dialog fördert, mit dem Ziel das „verschwörerische Schweigen“ zu brechen. Denn Schweigen trägt maßgeblich dazu bei, dass sich Traumata und Konflikte von Generation zu Generation wiederholen. Das Projekt steht unter der Leitung Yael Danielis, eine in New York lebende Psychologin und Traumatologin, mit der Pašagić selbst in Rwanda Untersuchungen durchführte.
Unter demselben Zeichen steht Pašagićs Zusammenarbeit mit dem Verein „Women of Srebrenica“ und vielen anderen Menschen, darunter Natasa Dobruna aus Belgrad und Vjosa Dobruna aus dem Kosovo, Alexander-Langer-Preisträgerinnen 2000, deren Arbeit auch auf diesen Bereich fokussiert ist.
Das Buch „Traumi di guerra“ und die von Ljubica Itebejac, Pädagogin und Mitarbeiterin von Irfanka Pašagić, herausgegebene Sammlung von Erzählungen „I bambini ricordano“ geben Einblick in ihre Arbeit als Psychiatrin.
Die Vertriebene Pašagić hat es vom Beginn ihrer Tätigkeit an verstanden, den Flüchtlingen eine angemessene Hilfeleistung zu bieten und sich durch Sensibilität und Überlegtheit hervorgehoben. Sie ließ internationalen und lokalen NGOs ständige Aufmerksamkeit zukommen, schob stereotyper Rhetorik einen Riegel vor und sparte auch in den eigenen Reihen nicht mit Kritik. Begriffe, wie „Serben“, „Kroaten“, „Bosniaken“ finden in ihrer Sprache kaum Verwendung. Jeder einzelne Mensch, so Pašagić, hat seine Tat selber zu verantworten. Auch wenn sie in den vielen Jahren, die sie nun schon mit traumatisierten Frauen und Kindern arbeitet, Tausende Schreckensgeschichten mitanhören musste, hat sie niemals nach Vergeltung verlangt.
Wird sie gefragt, wie die Lage in Bosnien sei, so antwortet sie: „Komm her, schau’s dir an“. Gespannt wartet sie dann auf die Eindrücke ihrer Gäste oder der jungen Freiwilligen, die sie unterstützen, unermüdlich geht sie auf die vielen Fragen ein und nimmt die Betroffenheit der besonders Empfindsamen wahr.
In Tuzlanska Amica arbeiten auch zahlreiche Jugendliche freiwillig mit, die dort eine hochwertige Ausbildungsmöglichkeit finden. Aus diesem Grunde hat die Italienische Berufsbildung der autonomen Provinz Bozen ein Abkommen abgeschlossen, damit einige Teilnehmer am Kurs „Fachleute für den Frieden“ dort ihr vom Studienplan vorgesehenes Praktikum absolvieren können.
Irfanka Pašagić ist für wahr eine Hoffnungsträgerin. Mit diesem Preis will die Stiftung die notwendige Reflexion über den Völkermord in Srebrenica anregen und im Geiste Alexander Langers Weg beschreiten, der in ihm die Überzeugung erstarken ließ, für ein interethnisches Tuzla einzutreten.


Der Präsident der Stiftung
Helmuth Moroder

pro dialog