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Onda verde - Grüne in italien

1.7.1989, aus: "Das Parlament",JULI 1989
Wenige Tage nach der Europawahl 1989, die in Italien die Grünen aus dem Stand auf über 6 % der Stimmen (2,1 Millionen Stimmen, 5 Mandate, verteilt auf 2 Listen) gebracht hat, ist die "onda verde" (grüne Welle) unübersehbar. PCI-Parteichef Occhetto telefoniert persönlich seinen Genossen in Florenz und ordnet fünf Minuten vor Torschluß an, daß die von den Kommunisten mitgetragene Stadtregierung auf keinen Fall das bis dahin beabsichtigte, aber von den Grünen schärfstens bekämpfte Stadterweiterungsprojekt "Fiat-Fondiaria" gutheißen darf. Am 30.Juni verfällt die Genehmigungsfrist, der Öko-Schwenk der Kommunisten bringt den Stadrat zu Fall, aber die befürchtete Betonlawine ist - zumindest vorderhand - gestoppt. Zwei Finanzriesen müssen auf die neue Trabanten-Bürostadt verzichten, die internationale Kunstszene mit Prinz Charles und Lord Acton an der Spitze, die von den Florentiner Grünen für ihren Kampf eingespannt worden war, kann ebenso aufatmen wie die vielen namenlosen Florentiner, die ihre Heimatstadt vor dem totalen Ausverkauf an die Fußballweltmeisterschaft 1990, an die "Fiat-Fondiaria" und an die Touristenhorden schützen möchten.

In denselben Tagen schließt Umweltminister Ruffolo (Sozialist) von amtswegen die Farbenchemie "Acna", die an der Wasserscheide zwischen Ligurien und Piemont in der Valle Bormida einen Fluß seit Jahrzehnten verseucht und zum völligen Absterben gebracht hatte. Jahrelange erbitterte Kämpfe, die sogar zu frontalen Zusammenstößen zwischen Umweltschützern und Gewerkschaft geführt hatten, sehen sich damit am Ziel, nun fordert man eine radikale Produktionsumstellung des Acna-Werks, oder die endgültige Schließung der Fabrik. Aus Protest gegen die Untätigkeit der Behörden hatten Dutzende von Bürgermeistern ihr Amt niedergelegt, rund 90 % der Talbevölkerung hatte die Europawahl demonstrativ boykottiert.

Und in denselben Tagen, schließlich, finden die jährlichen Aktionärsversammlungen der Chemie-Giganten Ferruzzi und Montedison statt, aber mit einer interessanten und ungewöhnlichen Neuerung, die eine Verlegung der Versammlungen in größere Hallen und einen turbulenten Sitzungsverlauf zur Folge hat: grüne Kleinaktionäre, vor allem von der eher linksgerichteten "lega per l'ambiente" (Umweltbund) organisiert, haben sich eingekauft und damit Sitz und Stimme in der Jahresversammlung erworben, und fordern nun eine Reihe von einschneidenden Änderungen in der Politik der A.G.en: Rückzug aus Projekten in Brasilien, welche die Tropenwälder und die Siedlungsgebiete der Indios gefährden, Schließung der Risiko-Betriebe, Investitionen für Forschung in Richtung Rückzug aus der Produktion von Pestiziden, Herbiziden und Kunstdünger... Natürlich setzen sie sich nicht durch, aber Ferruzzi-Chef Gardini - Italiens wichtigster aufsteigender Großkapitalist - antwortet ihnen immerhin persönlich und setzt sich mit ihren Argumenten auseinander.

"Onda verde" - die Auswirkung des (an sich ja nicht überwältigenden, aber für italienische Verhältnisse doch sehr spürbaren) grünen Wahlerfolgs macht sich bemerkbar. Ein Strohfeuer? Die Reaktion auf das Einbrechen grüner Themen und Protagonisten in die Politik?

In Wirklichkeit kommt die "onda verde" doch von weiter her und geht mehr in die Tiefe. Aber da in Italien alles, was Einfluß ausübt und Multiplikation bewirkt, auch irgendwie über die Politik vermittelt werden muß, ist es unleugbar, daß die politischen Erscheinungsformen des ökologischen Bewußtseins das Erwachen und die Verbreitung eines mittlerweile unüberhörbaren Umweltgewissens sehr beflügelt haben, obwohl natürlich der grüne Einstieg in die Politik ohne dieses schon bestehende Umweltbewußtsein nicht denkbar gewesen wäre.

Als Anfang der 80er Jahre da und dort lokale grüne Listen auftauchten, die damals erheblich vom Beispiel und vom Ruf der bundesdeutschen Grünen geprägt waren, handelte es sich in der Regel um sehr spezifische Konfliktsituationen: zum Beispiel Gemeinden, die als Standort für ein Atom- oder Kohle-Großkraftwerk ausersehen waren. Mitte des Jahrzehnts kam dann der Sprung der äußerst dezentral und nur sehr locker organisierten grünen Listen in die Regional- und Kommunalparlamente, der aber vorwiegend auf Nord- und Mittelitalien und auf die Großstädte beschränkt blieb. Da sich der beginnende Aufstieg der Grünen zeitlich mit dem beginnenden Abstieg der Kommunisten kreuzte, konnte man noch meinen, es handle sich um eine Art Umschichtung innerhalb der Linken. Doch die "liste verdi" legten größten Wert auf ihre kulturelle und politische Eigenständigkeit und verstanden sich nicht einfach als Fortsetzung der bisherigen - außerparlamentarischen und parlamentarischen - Linken, sosehr sie natürlich von ihren unmittelbareren politischen Vorgängern und Nachbarn gelernt hatten. So zum Beispiel von den Pannella-Radikalen den Umgang mit dem Referendum: auch die Grünen sammelten 1986 Unterschriften, um eine Volksabstimmung für die Abschaffung oder zumindest starke Einschränkung der Jagd herbeizuführen. Als dann der Atomunfall in Tschernobyl passierte, wurde gleich ein zweites Volksbegehren gegen Atomkraftwerke in Bewegung gesetzt, das binnen eines Jahres eine harte Auseinandersetzung zwischen den Parteien, eine vorzeitige Auflösung des Parlaments und schließlich im November 1987 den haushohen Sieg der Atomgegner zur Folge hatte. Und der Einzug der Grünen ins italienische Parlament (1987, 2,5%, 13 Sitze) hatte auch mit diesem Referendum zu tun. Im Europawahljahr 1989 wurden wieder Unterschriften gesammelt, die im kommenden Frühjahr zu einer Volksabstimmung führen müßten: nochmals gegen die Jagd (weil das Referendum 1987 an einer Hürde des Verfassungsgerichts gescheitert war) und gegen die nahezu grenzenlose Chemie in der Landwirtschaft. Die nötigen beglaubigten 700.000 Unterschriften dazu wurden diesmal von einer recht breiten Front gesammelt, an der nicht nur die grünen Listen und die meisten Umweltverbände beteiligt waren, sondern teilweise auch Kommunisten, Sozialisten und Liberale.

Heute fragen sich viele Beobachter der italienischen Politik, ob die Grünen nur ein zeitweiliges Phänomen sind, das wieder verschwinden wird, sobald sich die Parteien genügend "begrünt" haben werden, oder ob es sich um eine dauerhafte und umfassende, auch ideell und perspektivisch konsolidierte eigenständige Strömung handelt. Die Beantwortung dieser Frage wird natürlich nicht nur auf italienischer Ebene erfolgen, sondern hängt sehr wesentlich von der europäischen Zukunft der Grünen ab. Aber es muß doch auffallen, wie nachhaltig erst seit dem politischen Auftreten der Grünen in Italien die Relevanz der ökologischen Auseinandersetzung gestiegen ist. Die lombardischen Bischöfe - traditionell die Vorhut des italienischen Episkopats - haben sich zu einem Hirtenbrief über die Umweltfrage entschlossen und bei dessen Ausarbeitung auch die Meinung profilierter grüner Vertreter eingeholt. Die Kommunisten haben bei ihrem Parteitag 1989 in aller Form die Öko-Frage zu einem Angelpunkt ihrer Politik erhoben. Der sozialistische Umweltminister Ruffolo versteht sich laut eigenen Aussagen fast als eine Art 5.Kolonne der Umweltbewegung innerhalb der Regierung und fordert die Grünen aller Schattierungen immer wieder zu Mitarbeit und Anregung auf. Die Medien haben in wenigen Jahren einen Rückstand von rund eineinhalb Jahrzehnten aufgeholt oder zumindest stark verringert. Und die Industrie bemüht sich, das Prädikat "umweltschonend" als neues Gütesiegel in Anspruch zu nehmen.

Die italienischen Grünen, die politisch derzeit in einer mehr "grün-grünen" Liste (Lista verde, mit dem Zeichen der lachenden Anti-Atom-Sonne, 3,8%) und in einer zur Europawahl improvisierten Regenbogenliste mit zahlreichen ex-Radikalen und ehemaligen "demoproletari" (Verdi arcobaleno, mit einer Margerite im Zeichen und 2,4%) organisiert sind, stehen nun vor der Aufgabe, den vielen in sie gesetzten Hoffnungen gerecht zu werden: "unser Wahlerfolg ist mehr der katastrophalen Umweltsituation als der Güte unserer Politik zuzuschreiben, aber mit dieser Europawahl haben wir unsere Unschuld verloren und müssen uns der politischen Herausforderung voll und ganz stellen", sind sie sich selber bewußt.

pro dialog