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NATASA KANDIC UND VJOSA DOBRUNA

0.0.2000, (Auszug aus einem in der Zeitschrift „Una Città“ – Nr. 88, Sept. 2000 – erschienenen Interview.
Anfang der 90iger Jahre, als sich die Situation in Kosova/o zuspitzt - während die Welt zu allem schweigt - gehen Natasa Kandic und Vjosa Dobruna verschiedene Wege, die jedoch vieles gemeinsam haben: beide sind gegen die ethnischen Barrieren, haben eine ähnliche Auffassung der Identität als eine sich fortentwickelnde Konstellation mehrerer und verschiedener Elemente, einen Sinn für persönliche Verantwortung und setzen sich für die Menschenrechte ein, beide haben beschlossen, sich der Bevölkerung zu widmen, wobei sich ihr Einsatz auch vom jeweiligen Beruf - Vjosa ist Kinderärztin, Natasa Soziologin - herleiten läßt. Dieser Einsatz bringt sie dazu, sich kennenzulernen und sich zu befreunden, und wenn man den im Balkan vorherrschenden ethnischen Haß bedenkt, ist diese Beziehung noch bedeutender. Natasa und Vjosa sind keine Militantinnen im traditionellen Sinn, sondern Frauen, die die besondere, zwar nicht ausschließlich, jedoch des öfteren weibliche Fähigkeit verkörpern, über die alten und neuen Gegensätze hinaus, Beziehungen und Initiativen aufzubauen.
Die Belgraderin Natasa Kandic hat Verbindungen zu den "Frauen in Schwarz" ihrer Stadt und gehört zur Intellektuellengruppe, die sich ab 1990 für den Schutz der Menschenrechte und die Opfer von Unterdrückungen einsetzt und die repressive Politik des Regimes von Milosevic gegen Opposition und Nicht-Serben sowie die ethnische Säuberung im ehemaligen Jugoslawien verurteilt. 1992 ist sie Mitbegründerin des Humanitarian Law Center in Belgrad, das sie derzeit leitet. Auch dank des vom HLC gesammelten Dokumentationsmaterials über die in Kroatien und Bosnien verübten Verbrechen konnte der Gerichtshof in Den Haag für Ex-Jugoslawien gegründet und die ersten Strafurteile ausgesprochen werden. In diesen Jahren beginnt Natasa regelmäßig nach Kosovo/a zu fahren, wo sie nicht nur an Ort und Stelle Informationen und Zeugenaussagen sammelt, sondern auch Rechtsbeistand leistet und Unterstützung gibt. Ihre Berichte erscheinen oft in der internationalen Presse. 1996 öffnet sie ein Büro des HLC in Pristina, das sich insbesondere um das Schicksal jener Kosovaren kümmert, die in Serbien in Gefangenschaft sind, wobei sie sich von den wiederholten Drohungen nicht einschüchtern läßt und trotz der von Belgrad auferlegten Einschränkungen ihre Tätigkeit weiterführt. Als die serbische Repression 1998 härter wird, veröffentlicht das Büro von Pristina die Ergebnisse seiner Untersuchungen, die die Aussagen der serbischen Regierung dementieren. Die Arbeit geht auch nach Kriegsausbruch weiter. Unter den Nato-Bomben fährt Natasa Kandic mehrmals im Taxi nach Pristina, um die Situation vor Ort zu erkunden und riskiert dabei ihr Leben, um einige Kosovaren in Sicherheit zu bringen. "Auf diese Weise - wird sie später erzählen - habe ich persönlich feststellen könnten, wie wichtig es für sie war, daß jemand von Belgrad gekommen war, um zu sehen, wie sie leben und um mit ihnen zu leben." Gleich nach Kriegsende siedelt sie das Büro im Montenegro nach Pec um und öffnet wieder das Büro in Pristina. Mit Hilfe von verschiedenen Anwälten sammelt sie weiterhin Informationen, wobei sie vor allem versucht herauszufinden, was aus den Verschollenen geworden ist. Sie interessiert sich auch für die Situation der Roma und der serbischen Minderheit.
Heute hat das HLC 4 Büros in Kosovo/a und eines in Belgrad. Was die aktuelle Lage in Serbien und die notwendige internationale Hilfe anbelangt, um nachdem während des Krieges so viel zerstört wurde, doch noch menschliche Lebensumstände zu gewährleisten, ist sie der Ansicht, daß nicht nur der Opposition, sondern der gesamten Bevölkerung geholfen werden muß, um diesen 10 Jahren Konflikten endlich ein Ende zu setzen.
Kürzlich hat sie zusammen mit Veton Surroi, Direktor der Tageszeitung von Pristina "Koha Ditore", vom National Endowment for Democracy in Washington einen Preis für die Demokratie erhalten.

Vjosa Dobruna aus Pristina nimmt vom Anfang der 90iger Jahre an am gewaltlosen Widerstand der kosovarischen Bevölkerung gegen die Diskriminierungs- und Repressionspolitik des Regimes von Milosevic teil. Als sie 1992 so wie alle albanischsprachigen Ärzte und Professoren ihre Arbeit verliert, beschließt sie, sich auf der Seite der kosovarischen Frauen und Kinder einzusetzen und steigt ins Projekt "Frauen bauen Brücken über die Grenzen" ein, um zwischen verschiedenen Volksgruppen und Kulturen Beziehungen aufzubauen. Mit Hilfe von Frauenvereinigungen von Bologna gründet sie in Pristina ein "Zentrum für den Schutz von Frauen und Kindern", dessen Hauptanliegen die Gesundheit und die Bildung sind. Bei Kriegsausbruch macht sie aus dem Zentrum ein Notkrankenhaus. Vjosa wird jedoch gefangengenommen und nach Tetovo in Makedonien abtransportiert. Sogar im Flüchtlingslager gelingt es ihr, ihre Arbeit mit den Frauen und den Kindern weiterzuführen und so wie in Pristina ein Zentrum aufzubauen, wo sie versucht, die Leiden der Deportierten zu lindern. Mit den ersten Flüchtlingskonvois nach Kriegsende zurückgekehrt, arbeitet sie für den Wiederaufbau der wesentlichen und lebensnotwendigen Strukturen und für die Wiederaufnahme des Dialogs zwischen den Menschen. Ihre jüngste Initiative ist die Gründung eines Zufluchtsortes in Jacoba für Frauen, die der Gewalt und der Ausbeutung zum Opfer gefallen sind. Wie so viele andere Kosovaren/innen hat auch Vjosa die Krise der gewaltlosen Strategie miterlebt und durchgemacht, die auch vom fehlenden Interesse seitens der internationalen Gemeinschaft verursacht wurde: "In dieser Zeit habe ich begonnen zu glauben, daß es Fälle gibt, in denen der bewaffnete Widerstand die einzige Möglichkeit ist", berichtete sie später. Vjosa hat jedoch nie aufgehört, für ein multiethnisches Kosovo/a zu arbeiten, "in dem die Menschen frei ihre Identität zum Ausdruck bringen können. Meine Identität ist, eine Frau, eine Kosovarin, ein Kinderarzt, die Tochter von jemand zu sein und so wie ich, müßte jeder frei sein, sich selbst sein zu können. Nicht ein Kosovo/a der Serben oder der Albaner, ein Kosovo/a mit irgendeiner geträumten ursprünglichen ethnischen Identität, sondern ein Kosovo/a von freien Menschen, friedlich und sicher, für alle jene, die im gegenseitigen Respekt dort leben wollen." Deswegen ist ihre vordringliche Herausforderung heute jene, die Umstände für ein Ende der heute noch herrschenden Spannung in Kosovo/a zu schaffen. Dabei müssen auch die Gewalttaten seitens revanchistischer Kosovaren auf die serbische Minderheit aufhören. Vjosa hat kürzlich einen Auftrag von der UNO erhalten, um in ihrem Land den Versöhnungsprozeß zu fördern. Sie ist Mitglied der Direktion der Abteilung für die Entwicklung der demokratischen Institutionen und der Zivilgesellschaft der UNO-Mission in Kosovo/a.

Wir hoffen, daß Natasa Kandic und Vjosa Dobruna nicht als eine glückliche Ausnahme, die gefeiert werden muß, sondern eher als die Präfiguration eines aufzubauenden Zusammenlebens angesehen werden mögen. Die Wunden und die Leiden der Oppression und des Krieges müssen aufgearbeitet und diese Brücken, nicht nur die symbolischen, die für Alexander Langer von wesentlicher Bedeutung für die Zukunft der Welt waren, müssen aufgewertet werden.
das Garantenkomitee: Renzo Imbeni (Präsident), Ursula Apitzsch,
Anna Bravo, Elis Deghenghi Olujiæ, Sonia Filippazzi, Pinuccia Montanari,
Margit Pieber, Gianni Tamino, Alessandra Zendron
Das Wissenschafts- und Garantenkomitee hat auch die Figur von Sergej Kovaliev (1930) hervorgehoben und seine langjährige Tätigkeit an der Opposition, seine wesentliche Rolle als Bezugsperson für die demokratische Bewegung in Rußland und seine Verurteilung der Barbarei des Nationalismus und des Krieges in Tschetschenien mit einer besonderen Anerkennung unterstrichen.


Kann man ein Jahr nach dem Eingriff der Nato eine erste Bilanz ziehen?
Vjosa: Im Oktober 1998, nach der massiven Offensive gegen die Befreiungsarmee UCK und nachdem das Abkommen zwischen Holbrooke und Milosevic unterzeichnet wurde, war ich eigentlich noch der Meinung, daß es nicht unbedingt zu einem militärischen Eingriff kommen mußte. Sogar als ich erfuhr, daß zu dieser Zeit mehr als 53 % der in Kosovo getöteten Menschen Frauen und Kinder waren, hatte ich die Hoffnung nicht aufgegeben … Ich wollte keinen militärischen Eingriff, weil ich eine Militarisierung der Gesellschaft befürchtete und ehrlich gesagt wollte ich nicht wieder Waffen im Balkan sehen. Jedoch, am 16. Oktober 1998, genau vier Tage nach dem Abkommen Holbrooke-Milosevic mußte ich den x-ten Angriff der serbischen Truppen gegen albanische Dörfer miterleben und da dachte mir: Okay, das Abkommen wurde unterzeichnet und nichts hat sich geändert.
Ich erinnere mich, daß ich an diesem Tag zum ersten Mal gedacht habe, daß nichts mehr helfen konnte. Nichts. Milosevic hatte ein Abkommen nach dem anderen unterzeichnet, ohne ein einziges einzuhalten. Und zum ersten Mal erschrak ich vor meinen eigenen Gedanken: Wenn mittlerweile nur ein militärischer Eingriff etwas ändern konnte, dann mußte dieser Eingriff eben beginnen.
Was immer wir auch von Rambouillet sagen wollen, so war das die letzte Gelegenheit, die beiden Parteien an einen Tisch zu setzen und eine Diskussion zu beginnen.
An diesem Punkt befürwortete ich, wie der Großteil der Kosovaren, also einen militärischen Eingriff. Und dieser Eingriff begann auch endlich und ermöglichte uns allen in unsere Häuser zurückzukehren, was für mich schon viel bedeutet hat.
Leider wurde das Regime von Milosevic nicht gestürzt und sicherlich standen viele Handlungen nicht unbedingt unter dem Zeichen des Friedens im Balkangebiet. Den serbischen Truppen wurde erlaubt sich zurückzuziehen, ohne die Waffen abzugeben. Im Abkommen von Komanovo ist nirgends von den Kriegsgefangenen die Rede, die somit noch in den Händen Milosevic‘ blieben. Außerdem wurden keine Garantien für die Minderheiten geboten.
Trotz allem hat der Eingriff mehr positive als negative Folgen. Zum ersten Mal waren die Menschenrechte wichtiger als die Souveränität eines Landes. Das schafft einen Präzedenzfall, der mit Hoffnung in die Zukunft blicken läßt.
Natasa: So wie ich die Situation beurteilen kann, haben alle Albaner den Natoeingriff begrüßt, weil es ihre einzige Möglichkeit war, von der serbischen Macht befreit zu werden. Jedoch hat niemand von den Zivilopfern gesprochen, die während der Natoangriffe ums Leben gekommen sind. Zudem gab es keine Diskussion über die juridischen Aspekte der ganzen Operation, wohl weil auch die internationale Gemeinschaft selbst darüber nicht diskutiert hat.
Bezüglich der Einhaltung der internationalen Gesetze, berichtete der internationale Gerichtshof für ex-Jugoslawien keine Verletzungen der humanitären Gesetze festgestellt zu haben. Amnesty International hält jedoch den Angriff auf das Gebäude des serbischen Rundfunks für eine schwere Verletzung. Human Rights Watch hat einen Bericht veröffentlicht, in dem die Nato nicht der Kriegsverbrechen, sondern einiger unlauteren Kriegsverhalten bezichtigt wird.
Ich muß feststellen, daß einerseits die internationale Gemeinschaft ein Land ohne einer Resolution des Sicherheitsrates angegriffen hat, aber andererseits auch, daß es das erste Mal in der Geschichte war, daß Gewalt gebraucht wurde, um die Menschenrechte zu schützen.

Heute wird viel von Versöhnung gesprochen, aber im Kosovo ist mehr als die Hälfte der Bevölkerung weniger als 18 Jahre alt …
Natasa: Richtig. Und diese Jugendlichen haben den Großteil ihres Lebens in einem Polizeistaat verbracht. Aus diesem Grunde ist es eigentlich nicht richtig, von Versöhnung zu sprechen, weil der Großteil der Bevölkerung nie eine Gelegenheit gehabt hat, irgendeine Form des Zusammenlebens mit den Serben zu erproben. Die jungen Kosovaren, die immer auch die serbische Sprache in der Schule gelernt haben und sie deshalb auch alle verstehen, weigern sich nun diese Sprache zu erlernen und auch viele Erwachsene wollen sie nicht mehr sprechen. Ich glaube, daß das nicht richtig ist. Die serbische Sprache wird immer mehr mit der Sprache des Feindes identifiziert, aber so vergißt man, daß das auch die Sprache der Moslems in Bosnien und der Kroaten ist. Ich habe jedenfalls immer Serbisch im Kosovo gesprochen und werde es auch weiterhin tun.
Vjosa: Sie haben nie mit anderen Volksgruppen zusammengelebt, haben nie die Verschiedenheiten respektieren gelernt. Sie haben Parallelschulen besucht, haben ein paralleles Leben gelebt, abseits, und haben in all diesen Jahren, seit ihrer Geburt an, immer nur Gewalt erlebt. Deshalb ist es von grundlegender Bedeutung, ihnen eine Chance zu bieten und ihnen zu zeigen, daß man etwas machen kann. Zahlreiche Verbrechen wurden begangen, viele Fehler. Das ist passiert, aber nun ist Schluß damit.
Natasa: Es wurde mir berichtet, daß heute in Bosnien die Jugend nach fünf Jahren noch immer nicht eine Zukunft sieht und keine Aussichten hat. Der Droghen- und der Alkoholkonsum steigen. Ich fürchte, daß auch die jungen Kosovaren demnächst auch mit einem solchen Problem konfrontiert werden, auch weil die albanische Mafia bereits Fuß gefaßt hat und die extremistischeren Elemente von dem, was von der Befreiungsarmee UCK übriggeblieben ist, seit einiger Zeit den Drogenhandel und allerlei Schmuggel in die Hand genommen haben. Ich bin wirklich besorgt um diese Generation junger Kosovaren. Was für eine Zukunft haben sie? Heute sind sie froh und zufrieden, weil sie die Freiheit errungen haben und sehr viele von ihnen arbeiten als Übersetzer, Fahrer, Sekretär für die verschiedenen humanitären und regierungsamtlichen Organisationen und verdienen dabei ein für sie recht schönes Geld und vielleicht hoffen sie, daß es immer so weitergehen wird. Dem ist jedoch leider nicht so: Wenn man nicht in Fabriken und Unternehmen investiert, wirds zur Abhängigkeit kommen, die langfristig eine extrem gefährliche Situation schafft. Diesbezüglich sollte Bosnien als exemplum vitandum gelten: nach fünf Jahren dürfen wir nicht mehr parasitär, apathisch und mangels Investitionen gezwungenermaßen untätig leben.
Vjosa: Ich weiß nicht wieviel Zeit es brauchen wird, um wieder anzufangen. Ich glaube, daß man den Versöhnungungsprozeß unmöglich zeitlich begrenzen kann, er muß schrittweise weitergehen. Wesentlich ist jedoch, daß das Bedürfnis, der Gewalt ein Ende zu setzen, nicht als ein Bedürfnis der Serben betrachtet wird. Die Kosovo-Albaner müssen sich davon überzeugen, daß es für sie besser ist, in einem Land zu leben, in dem nicht mehr die Gewalt herrscht, in dem man ins Theater und in die Schule gehen oder in einem Krankenhaus gepflegt werden kann. Es ist besser zu denken, daß es darum geht, die eigene Lebensqualität zu verbessern.

(Übersetzung aus dem Italienischen)
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