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Internationaler Alexander Langer Preis 1999 an Ding Zilin und Jang Peikun der

3.7.1999, Langer Stiftung - Begründungen
Ding Zilin, heute eine um die 60 Jahre alte Frau aus China (ebenso wie ihr Mann) war bis vor kurzem auf internationaler Ebene - vor allem aber in Italien - relativ unbekannt.

In den letzten Monaten jedoch wurde sie mit dem steigenden Interesse für den zehnjährigen Jahresfeiertag des Pekinesischen Frühlings (1989) und des Massakers am Tienanmenplatz am 4.Juni desselben Jahres im wahrsten Sinne des Wortes "entdeckt". Heute wird sie für die originellste und bedeutendste Persönlichkeit des chinesischen Dissenses gehalten.
Ding Zilin und Jiang Peikun waren beide Philosophieprofessoren an der Volksuniversität Peking und Mitglieder der kommunistischen Partei Chinas. Sie hatten einen einzigen Sohn, Jang Jelian, der 17 Jahre alt und Lyzealstudent war. Jelian nahm trotz der Sorgen der Eltern aktiv an der großen Demonstration des Frühlings teil. Am Abend des 3. Juni verließ er das Haus und wurde gegen 11 Uhr in der Nähe des Tienanmenplatzes vom Schuß eines Maschinengewehres eines Soldaten getötet. Er war eines der ersten Opfer jenes grausamen Abends . Wieviele Tote er forderte, ist noch unbekannt: wahrscheinlich hunderttausende Tote, Tausende Verletzte in Peking und in andern große Städten. Um nicht von den Verhaftungen und den schweren Verurteilungen - sogar zu Tode - zu sprechen, die in den Monaten und Jahren später folgten. Viel größer war die Zahl der Opfer, Tausende an der Zahl, so Menschenrechtsorganisationen. Die offizielle Fassung der Regierung bezeichnete sie als lächerlich - vor allem unter den Soldaten. Diese hat ständig das Massaker geleugnet und die "chaotischen Zustände" einer kleinen Gruppe "Kontrarevolutionärer " zugeschrieben. Vor zehn Jahren, kurz nach dem Verlust ihres Sohnes, entschieden sich Ding Zilin und Jiang Peikun dazu, sich der beschämenden und hartnäckigen Rekonstruktion der Geschehnisse zu widmen. Sie nahmen sich vor, geduldig einen Katalog der Toten (Name, Nachname, Herkunft, Todesart und -umstände) und einen anderen der am meisten vom Pech verfolgten Überlebenden (Verletzte, Invaliden und Hilflosen) zu erstellen. Bei diesem Vorhaben halfen ihnen eine gewisse Anzahl von anderen Verwandten der Opfer, auf die sie zufällig oder nach langen, hartnäckigen Untersuchungen stießen.
Es handelte und handelt sich noch immer um ein äußerst schwieriges Unterfangen. Allen Anfang voran stand die unmittelbare Feindseligkeit der Regierung, die es wegen des steigenden Ansehens für nicht angemessen befand, Zilin einzusperren, sondern das Ehepaar von Zeit zu Zeit lange unter Hausarrest stellte und vielen Gerichtsuntersuchungen unterzog. Zudem verlor Ding Zilin ihren Lehrstuhl und wurde aus der Partei ausgeschlossen (offiziell wegen einer nicht rechtzeitig erfolgten Erneuerung des Mitgliedsausweises).
Schwierig war es auch, Informationen zu erhalten, die Leute ausfindig zu machen und sie zum Reden zu überzeugen. Es war nämlich nötig, die Mauer des Schweigens zu durchbrechen, die durch die Demütigung einer verleugneten Trauer, durch die Angst vor Vergeltungen und die Lust des Vergessens entstanden. All dem zum Trotz schaffte es Ding Zilin allmählich, wenigstens teilweise 155 Todesgeschichten des großen Massakers, sowie einige Dutzende Geschichten Überlebender, die immer noch das tägliche Unglück und die Zeichen jener Nacht am eigenen Leib mit sich tragen, zu rekonstruieren und zu veröffentlichen.

Was uns auf der menschlichen, ethischen und politischen Ebene berührt hat, ließe sich wie folgt zusammenfassen. Erstens fordert diese außergewöhnliche Frau das "Recht der Erinnerung" Man kann es nicht besser durch ihre eigenen Worte sagen: "Ein Mensch kann viele verschiedene Entscheidungen treffen: ich entschied mich, den Tod zu dokumentieren." "Ich bin über einen Berg von Toten gestiegen, ich bin in den Tränen der Familien der Toten geschwommen." "Das Leben ist heilig, aber auch der Tod ist es [...]. Als chinesisches Volk könne wir viele Ziele verfolgen und Träume verwirklichen, ich glaube jedoch, daß wir eine Reihenfolge im Herstellen eines Moralsystems festlegen müssen, indem unbedachtsame Unbekümmertsein für das menschliche Leben hinter uns gelassen sein möge. Ich glaube, daß gerade dies meine Antwort auf die Frage, wieso ich die Entscheidung getroffen habe, den Tod zu festzuhalten." "Ich möchte nicht, daß diese Opfer anonym unter unbekannten Umständen gestorben sind."
Genau hier setzen Ding Zilin's und Jiang Peikun's Forschungen an: bei der Lust, den Opfern ein Gesicht und einen Namen zu geben und ihrem Tod auf irgendeine Weise einen Sinn zu geben. Dazu kommt der Wunsch, die Menschen, die nicht einmal ein Recht auf Trauer haben konnten, nach der offiziellen Leugnung des Massakers zu trösten und ihnen Solidarität zu verschaffen. Nicht zu vergessen ist dabei, daß Ding Zilin und Jiang Peikun ein Hilfsnetz für Familien in Invaliden geschaffen haben, die große wirtschaftliche Schwierigkeiten haben und ohne jegliche Hilfe sind.
Mehr als Priesterin des Gedächtnisses als politische Kämpferin ist sich Ding Zilin gerade deshalb ihrer Stellung innerhalb eines großen, gewaltlosen Kampfes um Demokratie und Menschenrechte in China nicht weniger bewußt. Vor kurzem hat Ding im Namen einer Anzahl von Angehörigen der Opfer offiziell gegen die Verantwortlichen des Massakers Anzeige erstattet, indem sie die obersten Staatsbehörden aufforderte, eine gerichtliche Untersuchung einzuleiten, damit den betroffenen Familien Gerechtigkeit widerfahre. Nicht zufällig hat Wei Jingsheng (der jetzt zwangsläufig in den Verneigten Staaten im Exil lebt), Ding Zilin als Mensch bezeichnet, der die große Kluft zwischen dem Regime und der Bevölkerung verkörpert, die das Massaker von Tienanmen verkörpert hat. Laut dem Leiter von Human rights in China (einer Organisation, der Ding seit 1993, angehört), ist sie wegen ihres zehnjährigen erbarmungslosen und mutigen Kampfes unter äußerst schwierigen und feindseligen Umständen die aktivste und angesehenste Kämpferin um die Menschenrechte in China."
Der Langer Preis 1999 bedeutet daher vor allem dem Respekt vor dem Leben Ehre zu erbieten: ein Wert, den Ding Zilin und Jiang Peikun mutig und unermüdlich bezeugt haben. Außerdem ist es eine Hochachtung an den Kampf um Demokratie, menschliche und politische Freiheit, Menschenrechte in einem schwierigen Umfeld, wie jenem, der sich nicht so sehr aus den asiatischen "Kulturen" ergibt, sondern vielmehr aus den politischen Regimes, die jenen so großen und bedeutenden Erdteil beherrschen.

Das Garantenkomitee: Peter Kammerer (Präsident), Birgit Daiber,
Lisa Foa, Renzo Imbeni, Simonetta Nardin, Anna Segre,
Gianni Sofri, Gianni Tamino, Massimo Tesei

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