Gewinner des Alexander Langer Preises 2011: der Verein FDDPA (Fos pou Defann Dwa Payzans Aysien) aus Haiti, zum Gedenken an Elane Printemps “Dadoue”
Das wissenschaftliche Komitee der Stiftung verleiht den Alexander Langer Preis 2011 an den Verein FDDPA (Fos pou Defann Dwa Payzans Aysien) aus Haiti, zum Gedenken an Elane Printemps “Dadoue” und ihren mutigen sowie gewissenhaften Einsatz für die grundlegenden Rechte der unterdrückten Bauern aus Haiti.
Während der Duvalier-Diktatur, im Alter von nur zwanzig Jahren, beschließt Dadoue ihr bisher sicheres und privilegiertes Leben hinter den Mauern des Theresien-Klosters aufzugeben, um sich mit Leib und Seele ihren Mitmenschen zu widmen. Sie begibt sich in das abgelegene Dörfchen Dofiné (Provinz Verrettes), das sich in einer besonders kargen und schwer erreichbaren Berglandschaft befindet. Genau hier, in diesem anscheinend verlassenen Ort, erbaut sie 1985 die allererste Grundschule der Gegend und bringt Kindern wie Erwachsenen, Männern wie Frauen, das Lesen und Schreiben bei.
Die Bauerngemeinschaft findet im Bildungszentrum und dank des starken Charisma von Dadoue, neuen Halt und entwickelt in den folgenden Jahren ein außerordentliches Zusammenhörigkeitsgefühl, das neue Kraft und Hoffnung verleiht. So werden selbständig Projekte umgesetzt, die konkrete und effiziente Lösungen gegen die große Armut und die mangelnde Präsenz des Staates sind. Es entsteht der lokale Bauernbund FDDPA, dessen Aufgabe es nach wie vor ist, die Bauern über ihre Rechte aufzuklären, und ihnen anhand der Rückerstattung anbaubaren Landes ein würdiges Leben anzubieten, das ihnen die erbarmungslose Unterdrückung von Seiten der großen Landherren oder gar die Flucht in die Stadt, mit einem meist verhehrenden Schicksal in den überfüllten Bidonvilles, ersparen kann.
Die Aufwertung lokaler Produkte in den Dörfern der Täler, das gelungene Bewässerungssystem von Fondol, der kollektive Ackerbau und der Wiederaufbau der Wälder sind nur einige der vielen Projekte, die Dadoue mit großem Engagement eingeleitet hat, um den Bauern zu einer profitablen Eigenproduktion zu verhelfen. Es gab in den Jahren mehrere vom Staat geschützte Großgrundbesitzer, die versucht haben Dadoue mit Morddrohungen aufzuhalten, vergebens, denn sie hat das Netzwerk zwischen den Bauerndörfern immer weiter ausgebaut und ständig mehr Menschen in das Netzwerk der FDDPA eingeweiht.
Mittlerweile gibt es Schulen und Alphabetisierungsprogramme in Fondol, Dofiné und Malingue, Berufsschulen und sogar Stipendien. Die Frauen haben sich in kleine Kooperationsgruppen zusammengeschlossen und unterhalten mit Hilfe von Mikrokrediten eine Bäckerei, stellen Werkzeuge her, verkaufen Lebensmittel und Haushaltsgeräte, sie züchten Kleintiere. Im sanitären Bereich werden der Bevölkerung grundlegende Hygienemaßnahmen beigebracht, Impfungen angeboten und Medikamente für bezahlbare Preise verabreicht. Die neu errichteten Krankenstationen bieten nicht nur westliche Heilmethoden an, sondern versuchen auch, die traditionelle Heilkunst zu entwickeln und zu lehren. Waisenkinder und Kinder aus schwierigen Familiensituationen hat Dadoue höchstpersönlich zu sich genommen und großgezogen.
Am 12. Jänner 2010 wird Haiti Opfer eines gewaltigen Erdbebens.
So wie viele andere Exponenten der Zivilbevölkerung, kritisiert auch Dadoue die Ineffizienz des Staates und die der großen internationalen Hilfsorganisationen, die viel zu oft die Zusammenarbeit und Existenz der kleinen lokalen Netzwerke ignorieren und somit auf kostbare Hilfe verzichten. Dieser tragische Moment in der Geschichte Haitis könnte ein Neuanfang sein, der zum ersten Mal einzig und allein in den Händen der Haitianer liegt. Die kleinen lokalen Netzwerke und Vereine sind deshalb so wichtig, weil sie die einzigen sind, die die wahren Bedürfnisse der Zivilbevölkerung kennen, die einzigen die die Energie zur Katastrophenbewältigung in eine aktive Rekonstruktions- und Neuaufbauarbeit des gesamten Landes umgestalten könnten; die lokale Bevölkerung vertraut diesen lokalen Netzwerken und nur mit ihrer Hilfe sind autonome und langfristige Lösungen möglich.
Dadoue führt ausländische und lokale Ärzte in die betroffensten und entlegensten Gegenden, hilft in den Auffanglager die zahlreichen Waisen und Verlorenen zu betreuen, verteilt Nahrungsmittel und organisiert Spendenaktionen. Mit Hilfe des Institutes IDEPAC (Instituto Dominicano de education para la accion comunitaria) und dem Solidaritätsnetz Rete Radié Resch aus Padova, ist es der FDDPA gelungen, ein Projekt in Gang zu bringen, das bis heute noch an einer photovoltaischen Stromversorgung und einem Brunnennetz arbeitet, das sauberes Trinkwasser spenden soll und somit auch die Choleragefahr verringern kann.
Am 24. April 2010 wurde Dadoue ermordet, während eines Raubüberfalls in Cité Soleil, einer Bidonville der Hauptstadt Port-au-Prince. Trotz, oder gerade wegen der erschütternden Begebenheit wird die FDDPA heute nach wie vor weitergeführt, denn wie Dadoue selbst zu sagen pflegte: “Nach meinem Tod wird sich nichts ändern, denn andere werden dort weitermachen wo ich aufgehört habe.”
Der internationale Alexander Langer Preis 2011 ist nicht nur eine Hommage an Dadoue Elane Printemps oder an die Arbeit der FDDPA, sondern richtet sich an all jene Kräfte, die in Haiti und an jedem anderen Ort der Welt mit Gewissen und Kohärenz den Opfern dramatischer Naturkatastrophen beistehen und mit ihnen um deren Menschenrechte und Würde kämpfen, in Hinsicht auf eine ausgeglichenere und umweltgeschütztere Welt.
Drei Stellvertreter der FDDPA, Jean Bonnélus, aktueller Leiter des Vereins, Martine Mercier, verantwortlich für die Frauenunternehmen und Silius Pierre, in Dofiné und Katienne tätig, werden den Preis im Rahmen des alljährlichen internationalen Events “euromediterranea” in Bozen zwischen dem 1. und 3.Juli entgegennehmen und die derzeitigen Projekte sowie Zukunftspläne der FDDPA vorstellen. Die drei Haitianer werden am 25. Juni in Italien ankommen und ihre Projekte auch in anderen nationalen Städten vortragen.
Der Alexander Langer Preis in Höhe von 10.000 Euro wurde von der Banca Popolare Etica von Padova zur Verfügung gestellt. Die Kandidatur wurde von der Rete Radié Resch von Padova eingereicht.