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Florian Kronblicher: „Dass mir keiner Langerianer werde!“

5.12.2005, Südtiroler Tageszeitung, März 2005
Zehn Jahre nach dem Tod von Alexander Langer. Florian Kronbichler spricht im Gefängnis von Pisa mit Adriano Sofri, Langers Weggefährten aus der 68er-Bewegung, über die Frage: Was wäre es wert, den heute 20-Jährigen über Alexander Langer zu erzählen?

Tageszeitung: Herr Sofri, im Sommer werden es zehn Jahre her sein, dass Alexander Langer sich in einem Olivenhain bei Florenz erhängt hat. Persönlichkeit und Schicksal sind schon Geschichte. Müssten Sie einem heute 20-Jährigen erklären, wer Ihr Freund Alexander Langer war, was würden Sie ihm erzählen.?

Adriano Sofri: Ich würde anfangen bei Südtirol. Ich habe niemanden gekannt, der so weltläufig war wie Alex und gleichzeitig ein so enges, ja intimes Verhältnis zu einem kleinen Nest hatte. In seinem Fall hieß dieses Nest Südtirol. In der großen Welt unterwegs sind heute ja alle. Das macht die Globalisierung. Aber der Bezug zur Herkunft ist abhanden gekommen.

Vorbild Alexander Langer: Wurzelmandl und Globetrotter?

Ja, zu unserer Zeit gab’s wenige, die das in sich vereinen konnten. Ich zum Beispiel war eigentlich nur Italiener. Viel mehr Italiener als Alex, natürlich, aber nicht so lokal verhaftet. In der Welt draußen war ich auch nicht.

Ist das nicht ein bisschen ein Manko italienischer Intellektueller überhaupt?

Natürlich, Alex konnte die Sprachen. Das ist etwas, was ich einem 20-Jährigen erklären würde: Der Mann konnte Sprachen. Wir lernen Sprachen normalerweise nur aus einer Notwendigkeit heraus. Wenn wir auswandern. Sonst müssen mir schon Käuze sein, oder Linguisten. Für Alex hingegen war es eine Herausforderung, stets die Sprache seiner Gesprächspartner zu erlernen.

Und er hat viele Entwicklungen vorweggenommen.

Vorweggenommen? Ob das einen Jugendlichen von heute beeindrucken kann? Stimmt, Alex war in vielem voraus, aber: Wenn ich 20 wäre, würde ich sagen: na, und, che mi frega? Was interessiert mich, dass einer schon da war, wo wir heute sind. Dieses Gerede vom Langer als Vorausdenker ist ein ziemlich abgedroschener Gemeinplatz.

Und doch hat er in vielem weit vorausgedacht.

Mag sein. Trotzdem muss gesagt werden: mit allen wichtigen Zielen, die er sich gesteckt und für die er gekämpft hat, ist er eigentlich gescheitert. Er hat Dinge erfunden, die sich mit ihm dann nicht entwickelt haben. Später sind die gleichen Ziele von ganz anderer Seite aufgegriffen und auf gegenteilige, karikaturhafte Art vorangetragen worden. Gesiegt haben Alex’ Ideen allenfalls unter fremder Fahne.

Zum Beispiel, bitte.

Ich nenne nur den Föderalismus. Den Föderalismus in Italien hat Alex erfunden. Zum politischen Thema und einem idiotischen Schlager hat ihn dann Bossi gemacht. Mit der Devolution und der Selbstbestimmung war es ähnlich.

Das Thema Ökologie, das zumindest ist in Italien mit Langer zum politischen Faktor geworden.

Da hat er tatsächlich einen guten Riecher bewiesen. Aber weder die Ökologie noch die Friedensbewegung waren Langer’sche Erfindungen. Auf die ist er selbst sehr spät gestoßen. Wir alle freilich noch viel später.

Also gar nichts Neues mit Langer?

Doch, Alex gebührt die Vaterschaft für etwas sehr Bedeutendes. Sein Verdienst ist es, dass er das damals herrschende Bedürfnis nach revolutionärer Weltveränderung weg vom Klassenkampf und hin zu den Werten eben der Ökologie und des Friedens gesteuert hat. Dafür ist er nach Auflösung von „Lotta continua“ politisch aktiv geblieben. Im Gegensatz zu mir. Ich habe die Politik hingeschmissen. Alex hat mir das nie verziehen.

Hatten damals Sie Recht, oder hatte Langer Recht?

Meine Entscheidung aufzuhören war richtig, auch wenn es opportunistisch erscheinen mochte. Alex glaubte eben, er hätte eine Verantwortung, dass die damaligen Kinder der Revolution nicht sich selbst überlassen blieben, sondern in der Rettung des Planeten einen neuen Lebenssinn finden würden. Zu allem Überfluss glaubte er auch noch, den Leutchen müsste der Einsatz zur Rettung der Welt nicht als Opfer, sondern als Freude und also begehrenswert erscheinen.

Sie klingen aber ganz schön zynisch.

Von Alex sind eine ganze Reihe Geistesströme ausgegangen, aber sie sind halt leider alle irgendwo versickert. Er hat viele Wege eröffnet, und auf jedem ist er vorangestürmt, aber die Wege haben nirgendwo zusammengeführt. Die Flüsse sind in kein größeres, gemeinsames Meer gemündet.

Also nichts Ermutigendes, was Sie zu erzählen haben?

Einem 20-Jährigen? Ich würde erzählen, wer Alex war, und nicht, was er bewirkt hat. Was ich hier sage, sage ich eher uns selbst. Als Bilanz meiner Generation. Es war natürlich ein Fehler, sich umzubringen. Aber zur Bilanz gehört halt auch das: die Bilanz einer Zeit, die eigentlich zu einer Umkehr hätte führen sollen. Wir sind gescheitert, intellektuell wie moralisch.

Was also, noch einmal, würden sie einem 20-Jährigen von Langer erzählen?

Ich würde mit Fotos arbeiten. Alex hatte das Talent, im entscheidenden Moment immer dort zu sein, wo das entscheidende Foto gemacht wurde. Ob bei jenem Mord des Polizisten in Rom, beim Einmarsch der Sowjets in Prag, Fotomontage könnte es nicht besser: Wo das Titelbild jenes Tages entsteht, dort ist Alex. Er war wie Zelig.

Es war der politische Riecher des Alexander Langer?

Das glaub ich nicht. Politischen Riecher hatte ich mehr als er. Was Alex mir voraus hatte, war seine starke Religiosität. Diese hat ihn vor den ärgsten Dummheiten jener revolutionären politischen Zeit bewahrt. Er hat immer etwas mehr gehabt als wir anderen. Etwas Größeres als nur den Klassenkampf.

Also doch einen Riecher?

Aber keinen politischen. Eher einen ausgeprägt nicht-politischen Riecher. Auch er rannte in den Krieg, so wie wir alle, aber er tat es, um dort mit Menschen zu reden, Zwiesprache zu halten.

Dennoch sprechen Sie von scheitern.

Wie hätte er nicht scheitern können? Er war einer wie jene Fischer, die fortwährend damit beschäftigt sind, ihre schadhaften Netze neu zu knüpfen, während sie nicht sehen, dass gleichzeitig die Japaner mit ihren Riesenfangschiffen herankommen und die Meere leer pflügen.

Langer war von gutmütiger Naivität, wollen Sie sagen?

Nehmen wir die geradezu manische Art, in der er jedes noch so unbedeutende Blättchen oder kleine Grüppchen ernst nahm. Diese Energieverschwendung ist doch das Gegenteil von politisch. Anstatt sich des Fernsehens und der großen Zeitungen zu bedienen, hat er für Szenezeitungen und Pfarrblätter geschrieben.

Auch der heilige Franziskus hat den Vögeln gepredigt.

Vorsicht! Der heilige Franziskus hat den Vögeln gepredigt, weil die Römer ihm nicht zuhörten. Nur deshalb. Er hat es diesen zum Trutz getan. Alex war manchmal schon auch frustriert und bös auf seine „Freunde“ in den großen Zeitungen. Aber er war nicht im Stande, jemanden beleidigen. Wollte alle gleich behandeln, keine Unterschiede machen.

Es ist das Langer’sche Helfersyndrom: immer für alle da sein zu wollen.

Genau das war sein Fluch. Einerseits war es das, was seinem Leben den Schwung gab. Von Schulzeit auf rennt er, um die ganze Welt zu retten. Aber er übernimmt sich, hoffnungslos. Das war bei ihm richtiggehend pathologisch. Dieses ewige Gerenne von einem Ort der Erde zum andern. Mag schon sein, dass Alex einmal den Gardasee überschwommen hat, aber Sportler war er dennoch keiner. Kam das Frühjahr, hustete er wie ein krankes Kälbchen. Fuhr er im Zug, tränten ihm die Augen. Tag und Nacht war unterwegs, um Pflichten zu erfüllen. Und wenn er einmal nichts zu tun hatte, kam er vorbei, um mich zu grüßen. So was hält der gesündeste Mensch nicht aus.

Sie gehen aber hart ins Gericht mit ihrem Freund.

Ja, ich bin böse. Man muss böse sein. Alex war dazu nicht im Stande. Für ihn gab es nur Freunde. Das macht krank. Er war unfähig, sich jemanden vom Leibe zu halten, der etwas von ihm brauchte. Im Zweifelsfall ging er noch zu den Leuten hin, um sie zu fragen, ob sie wohl nicht etwas bräuchten von ihm. Und er beklagte sich ja fortwährend, dass er es nicht länger schaffen würde.

Es war offenbar ernst gemeint.

Ich wage zu behaupten, Alex war sich seines Zusammenbruchs schon eine Weile bewusst, und in diesem Bewusstsein hat er zum Schluss sein Wahnsinns-Engagement noch verstärkt. Diesbezüglich war er wie Che Guevara. Warum ging Che Guevara am Schluss nach Bolivien? Er war doch nicht blöd. Che hatte viele Fehler, aber blöd war er nicht. Er ging nach Bolivien, um sich umbringen zu lassen.

Haben Sie Ihren Freund nicht gewarnt?

Hätte ich ihm den Gruß entziehen sollen? Und außerdem stellte sich das Problem ja umgekehrt: Alex verzieh mir nicht, dass ich mich zur Ruhe gesetzt hatte. Er war derjenige, der mich andauernd aus meinem Egoismus herausziehen wollte, mir Vorschläge machte, für mich Ämter erfand. Ab und zu ist es ihm sogar gelungen. Damals zum Beispiel, 1982, als wir zusammen zu Ghaddafi nach Libyen gingen.

Langer wollte Sie zurück in die Politik ziehen, und Sie wollten Langer zum Privatmann machen?

Ich sagte ihm oft, dass ich seine Lebensführung für einen Wahnsinn hielt. Vor allem war ich überzeugt, dass er sich viel zu stark verantwortlich fühlte für alle und alles. Ich habe mit der Auflösung von Lotta continua jede Verantwortung abgelegt und habe das auch offen gesagt: Ab heute, hab ich gesagt, bin ich für niemanden mehr verantwortlich. Glauben Sie, mir fiel das ganz leicht: zu Freunden zu sagen, ab heute kannst du von mir aus Rotbrigatist werden oder dir einen Schuss Heroin setzen?

Haben Sie sich nicht zerstritten über derart unterschiedlichen Lebensentscheidungen?

Alex hat mir Verantwortungslosigkeit vorgeworfen. Ich habe ihm vorgeworfen, er würde seinem Einsatz für die Allgemeinheit, der wirklich nur noch als manisch bezeichnet werden konnte, zu sehr alles andere unterordnen. Voran die Wahrheit. Die Unabhängigkeit des eigenen Denkens. Der Mann zensurierte sich doch fortwährend selber. Privat sagte er eines, und in Öffentlichkeit etwas ganz anderes.

Haben Sie über diese Widersprüchlichkeit miteinander gesprochen?

Natürlich habe ich ihm das alles gesagt, und irgendwann hat er die Kritik sogar akzeptiert. Aber Sie kannten ihn doch selbst: Alex hatte diese durch und durch liebenswürdige Art. Er war ein Schmeichler. Er brachte es nicht über sich, Leuten, die sich ihm anvertrauten, die Wahrheit zu sagen.

Welche Bedeutung hatte für Langer das Jüdische in ihm?

Eine enorme. Die hohe, geradezu pedantische Pflichtauffassung. Oder denken Sie an seinen ausgesprochen starken Familiensinn. Dieses strenge Verhältnis zum Elternhaus. Ach, was war der Alex doch aufgeregt, als er mich seiner Mutter vorstellte. Für ihn war das eine Zeremonie.

„Macht weiter, was gut war!“ Was ist nachahmenswert an Langer?

Fürs erste würde ich jungen Leute vor jeder Art Nachahmung warnen. Nicht nur von Langer, sondern grundsätzlich. Etwas, was gut, ja sehr gut war an Alex, war, dass er das kapiert hat: Es gibt große Menschen, von denen man lernen soll, aber man darf nie den Fehler machen sie zu imitieren.

Von jemandem lernen, ihn aber nicht imitieren?

Nehmen wir das Beispiel Don Milani. Als der wollte, dass wir die Universität verlassen, sagte ich sofort: ciao, arrivederci! Von Don Milani kannst du eine Menge lernen. Aber wehe, du machst dich zum Jünger. Du würdest ein Kretin. Mache Ivan Illich nach, und du wirst seine Karikatur sein. Wenn du glaubst, Langer nachahmen zu wollen, wirst du die schlimmste Langer-Karikatur werden. Dass mir keiner ein Langerianer werde!

Aber war nicht gerade Alexander Langer einer, der sich sehr an Vorbildern orientierte?

Er hat Schwächen für bestimmte Persönlichkeiten gehabt, das stimmt. Aber er hat sich doch immer sehr seine Unabhängigkeit bewahrt. Sehen wir uns die vielen Menschen an, die Alex porträtiert hat. Er bewundert seine Gestalten, aber eine Abhängigkeit erblicke ich nicht.

Sollte man junge Menschen warnen vor Alexander Langer?

Ein junger Mensch, der einen Lehrer nachahmen will, richtet Unheil an. Es ist das ewige Problem der „bösen Lehrer“, Es gibt keine bösen Lehrer. Es gibt nur böse Schüler. Und die bösesten Schüler sind die Musterschüler. Die „Imitatio Christi“ ist immer das Schlimmste.

Nix Imitatio Alexandri also?

Ich gehe ja auf keine Versammlungen. Wenn ich aber zu einer ginge und vorn würde jemand, Langer zitierend, sagen: „Macht weiter, was gut war!“, ich würde ihm den Tisch über den Haufen stoßen.

Wie dann sollte man Langer darstellen?

Man muss Alex darstellen als den mit dem Eichhörnchengesicht, mit den vorstehenden Zähnen und dem bubenhaften Ausdruck. Als den, der die Welt bereist und eine Menge interessanter Orte gesehen und interessante Menschen getroffen hat. Der ein paar gute Ideen gehabt und geholfen hat, wo zu helfen war. Alles in allem: als einen mit einem beneidenswerten Leben.

An der Biografie Langers fällt auf, dass der Mensch zwar allseits bewundert wurde, die Gefolgschaft aber bescheiden blieb.

Ich kann nicht beurteilen, welche Früchte seine Saat getragen hat. Ganz sicher war in ihm eine starke minderheitliche Berufung zu verspüren. Er redete zwar immer dagegen an, aber Alex war auf Minderheit angelegt.. Vielleicht ist genau das Minderheitliche in ihm das, „was gut war“.

Dass so einer aber Bürgermeister werden wollte? Und Vorsitzender der Kommunistischen Partei?

Ja, und das war kein Scherz. Er wollte es wirklich werden. Und er hat darunter gelitten, dass er damit nicht ernst genommen wurde.

Er muss sich überschätzt haben?

Alex war kein Optimist. Kein Kind der Zuversicht. Im Gegenteil. Von seinem Leitspruch „solve et coagula“ hat er vor allem ersteres betrieben. Er hat viel mehr aufgelöst als zusammengeführt. Logisch.

Warum „logisch“?

Weil mehr aufzulösen war.

Wenn Alexander Langer heute noch lebte: an welcher Front würde er kämpfen?

Dumme Frage! Wenn ich das wüsste, würde ich sagen: er würde dafür kämpfen, wofür ich kämpfe. Wenn ich wüsste, dass es eine richtige Front gibt, würde ich doch dort arbeiten. Ein bisschen tu ich es ja, als Arbeitsloser. Armer Alex!

INTERVIEW: FLORIAN KRONBICHLER
flor@brennercom.net


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