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Italien im Golfkrieg

1.3.1990, aus: "KOMMUNE" März 1991
Ein Vergleich zwischen Italien und Deutschland, à propos Golfkrieg, fällt verblüffend aus: das militärisch untüchtige Italien kämpft in der westlichen Allianz mit (Luftwaffe, Marine zur Unterstützung) und Deutschland hält sich (immer noch) heraus; die traditionell den Arabern und den Sowjets gegenüber aufgeschlossene italienische Außenpolitik hat sich der US-amerikanischen Umarmung nicht zu entwinden verstanden, während das eben erst mit dem Segen der USA wieder-vereinigte Deutschland sogar eine atlantische Verstimmung riskiert; das so pro-europäische Italien hat als turnusgemäße Ratsmacht, die in der zweiten Hälfte 1990 den EG-Vorsitz führte, die Kapitulation und das Auseinanderstreben der Gemeinschaft angesichts der Golfkrise nicht zu vermeiden gewußt, während sich die Bundesrepublik da eigentlich "europäischer" gab und die EG-Dimension nicht ungern zur alternativen Zufluchtsstätte gegenüber einseitiger US-Fixierung aufgewertet hätte; das christdemokratische Italien hat den Papst mit seinen eindringlichen Aufrufen gegen den Krieg im Regen stehen lassen, während Deutschland zumindest das gute Beispiel gab, selbst nicht direkt im Krieg zu stehen. Und selbst die Friedenskundgebungen erscheinen in der Bundesrepublik um eine Note intensiver als im demonstrations-trainierten Italien.

Was ist da passiert? Hat das offizielle Italien nun widerwillig einem amerikanischen Zwang gehorcht, oder sucht es, als Kompensation zur deutschen Wiedervereinigung, der Bundesrepublik den Rang abzulaufen (gegenüber den USA, der EG, Frankreich und Großbritannien..), oder ist es schlußendlich nur Ausdruck der "evergreenen" Neunmalklugheit des Ministerpräsidenten Andreotti, daß Italien sich (mit relativ geringem Aufwand) in die west-alliierte Front eingereiht hat, um von innen her besser vermittelnd und kriegs-hindernd wirken zu können, als es aus der Distanz möglich wäre?

Wahrscheinlich spielen alle diese Elemente irgendwie zusammen, und spiegeln auch die entsprechenden Schattierungen der italienischen Innenpolitik wider, die durch diesen Krieg neue Akzente erhält. Die Mitte-Links-Regierungskoalition (DC,PSI,PRI,PSDI,PLI), die schon kaum mehr überlebensfähig schien, erhielt eine neue Gnadenfrist - möglicherweise sind die Neuwahlen, die für 1991 (statt 1992) als schon fast sicher galten, nun doch wieder abgeblasen, und jedenfalls haben sich neue (alte!) Polaritäten geäußert. So sind die entschieden pro-westlichen Kräfte, die zu einer laizistischen Modernisierung Italiens stehen, an der Front der Demokratien und der Aufklärung gegen arabische Prahlerei und islamische Intoleranz (von den Sozialisten zu den Liberalen, von den Republikanern zu den Pannella-Radikalen), wobei insbesondere die Sozialisten (und die Radikalen) nicht wenig von ihrer mehr linksliberalen und manchmal staats-kritischen Linie der letzten Jahre abwichen. Umgekehrt haben sich vor allem im christdemokratischen Lager mehrere katholische Stimmen gegen den Krieg erhoben, die sich vor allem auf die Positionen des Papstes beziehen ("Comunione e liberazione", die "Bewegung für das Leben", ein kleiner Teil des linken Flügels der Christdemokraten, die Tochter des ermordeten Ministerpräsidenten Aldo Moro..) und sogar im Parlament gegen die Regierung gestimmt haben, was sie unweigerlich in eine gewisse Nähe zu den (Ex-)Kommunisten Occhettos (nunmehr PDS) und zu den Grünen (mit denen es mehrere gemeinsame Initiativen gab) rückte. Die Tatsache, zu Israel kein so belastetes Verhältnis wie die Deutschen zu haben und sich immer entschieden für Israels Existenzrecht ausgesprochen zu haben (auch gegenüber der PLO), mag da fördernd wirken.

Italien hat sich seit Jahren - ähnlich wie Frankreich, aber ohne eine so stark ausgeprägte koloniale Vergangenheit und mit weniger Großmachtallüren - besonders intensiv um die euro-arabische Kooperation bemüht, und viel Elan in den europäischen Integrationsprozeß investiert. Nun sind diese beiden Aspekte in Gefahr, und Italien riskiert zudem ein recht frontales innenpolitisches Auseinanderbrechen, wenn der Krieg noch länger weitergeht und zusehends blutiger wird.

Das mag dazu beitragen, daß beide Golf-Fronten der italienischen Innenpolitik (wobei in der Regierung paradoxerweise die pro-westliche stärker vom sozialistischen Außenminister De Michelis und die pro-arabische eher vom Regierungschef Andreotti repräsentiert wird) zusammen auf einige Trumpfkarten setzen, die einen gemeinsamen Nenner darstellen können, wobei die Nuancierung nach der einen oder anderen Richtung dann auch ihre Früchte tragen kann. Diese Trumpfkarten sind im wesentlichen:

1. die Bemühung um eine Beschleunigung und Ausweitung der europäischen Integration;

2. eine neue Mittelmeerpolitik, deren Höhepunkt eine zukünftige "KSZM" sein sollte (Konferenz zur Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittelmeerraum, nach dem Vorbild der KSZE).

Die erste dieser beiden Marschrichtungen soll dazu führen, daß die EG bald schon eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik entfalten kann, wobei noch offen bleibt, wieweit die alte WEU (Westeuropäische Union) als Organ gemeinschaftlicher und vorwiegend militärischer Sicherheitspolitik neu aufpoliert werden soll, oder ob andere und neue Strukturen dazu besser dienen. Das hängt natürlich sehr wesentlich vom Fortschritt des EG-Integrationsprozesses ab: die im vergangenen Dezember in Rom eröffneten Regierungskonferenzen zur Wirtschafts- und Währungsunion und zur politischen Union werden nun wohl kaum so weitergehen können, als hätte es den Golfkrieg und die daraus resultierende Zersplitterung der Gemeinschaft nicht gegeben. Doch denkt Italien immerhin schon laut darüber nach, daß bei einer künftigen (kleinen) UNO-Reform nicht etwa Deutschland als neues ständiges Mitglied in den Sicherheitsrat einziehen sollte, sondern - wennschon - die EG als solche, und daß man in diesem Zusammenhang auch die Rolle Frankreichs und Großbritanniens neu überprüfen müsse. "Die Verlierer des zweiten Weltkriegs, Deutschland und Italien, können nicht auf ewig in dieser Rolle verbleiben", meint De Michelis.

Das zweite gemeinsame Ziel, das einen Hoffnungsschimmer für eine aufbauende Nachkriegspolitik vermitteln soll und wozu es in Italien breite Zustimmung gibt, heißt "KSZM", in Anlehnung an den Helsinki-Prozeß (KSZE). Dieses ursprünglich von Italien und Spanien vorgeschlagene Vorhaben hat inzwischen immer breitere Zustimmung gefunden: nicht nur bei Mittelmeerländern, wie Griechenland, Frankreich und Portugal, sondern auch etwa bei der BRD. Es könnte dazu dienen, die schon fast mythische Friedenskonferenz für den Nahen und Mittleren Osten in einen Rahmen zu betten, in dem gemeinsame Eckpunkte zu Themen wie Demokratie, Menschenrechte, Sicherheit, Abrüstung, Umweltpolitik, Wirtschaftskooperation usw. erarbeitet werden könnten - also "gemeinsame Grundsätze und Spielregeln", ohne im einzelnen Konflikte ansprechen und lösen zu wollen. Eine oder mehrere Friedenskonferenzen würden dadurch nicht ersetzt, aber man möchte die Mittelmeerkooperation wieder zum Eckpfeiler des europäisch-arabisch-mediterranen Verhältnisses machen.

Diesbezüglich, zumindest, könnte die Rolle Italiens - trotz Golf-Engagement - sich positiv auswirken und würde Unterstützung verdienen.
pro dialog