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Bericht über die Errichtung eines internationalen Strafgerichtshofs

7.4.1994, A3-0225/94 BERICHT

über die Errichtung eines internationalen Strafgerichtshofs Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten und Sicherheit  - Berichterstatter: Herr Alexander Langer

In der Sitzung vom 23. April 1993 gab der Präsident des Europäischen Parlaments bekannt, daß er den Entschließungsantrag von Herrn Arbeloa Muru zur Einsetzung eines internationalen Tribunals für Kriegsverbrechen gemäß Artikel 45 der Geschäftsordnung an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten und Sicherheit als federführenden Ausschuß überwiesen hat.

In seiner Sitzung vom 11. Juni 1993 beschloß der Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten und Sicherheit, einen Bericht auszuarbeiten, und benannte in der Sitzung vom 20. Juli 1993 Herrn Langer als Berichterstatter.

Der Ausschuß prüfte den Berichtsentwurf in seinen Sitzungen vom 15. März und 6.April 1994 und nahm in der letztgenannten Sitzung den gesamten Entschließungsantrag einstimmig bei einer Enthaltung an.

An der Abstimmung beteiligten sich die Abgeordneten Crampton, stellvertretender Vorsitzender; Langer, Berichterstatter; Aglietta, Balfe, Canavarro, Dillen, Gaibisso, Holzfuss, Jepsen, Lagakos (in Vertr. d.Abg. Bethell), Lenz, Llorca Vilaplana, Magnani Noya, Pesmazoglou, Trivelli und Verde i Aldea.

Der Bericht wurde am 7. April 1994 eingereicht.

Die Frist für die Einreichung von Änderungsanträgen wird im Entwurf der Tagesordnung für die Tagung angegeben, auf der der Bericht geprüft wird.

A.

ENTSCHLIESSUNSANTRAG

Entschließung zur Errichtung eines internationalen Strafgerichtshofs


Das Europäische Parlament,

- in Kenntnis des Entschließungsantrags von Herrn Arbeloa Muru zur Einsetzung eines internationalen Tribunals für Kriegsverbrechen (B3-0317/93),

- in Kenntnis von Artikel 45 seiner Geschäftsordnung,

- in Kenntnis des Berichts des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten und Sicherheit (A3-0225/94),

A. unter Hinweis auf seine Entschließungen vom 11.3.1993, 27.5.1993, 16.9.1993, 15.12.1993 und 20.1.1994, die unter anderem den Internationalen Gerichtshof für das ehemalige Jugoslawien betreffen,

B. unter Hinweis auf die bedeutenden Dokumente, die im Bereich der internationalen Strafgerichtsbarkeit bisher von angesehenen internationalen Gremien ausgearbeitet wurden, wie dem Europarat (1992), dem Internationalen Juristenausschuß (1993) und dem Ausschuß für Recht der UNO (1993),

C. unter Hinweis auf die Ergebnisse der Konferenz von Juristen und Nichtregierungsorganisationen aus allen Teilen des ehemaligen Jugoslawiens über das internationale Tribunal, die vom "Anti-war Center Beograd" zusammen mit dem "Croatian Helsinki Committee" am 3./4. März 1994 beim EP abgehalten wurde,

D. überzeugt von der dringlichen Notwendigkeit, ein internationales Rechtssystem, das auch angemessene Sanktionen beinhaltet, auszubauen,

E. in der Auffassung, daß das internationale Tribunal von jeglichem Druck und jeglicher Lobby vollkommen unabhängig sein muß, damit es seinen Ruf als Rechtsinstitut festigen kann,

F. unter Würdigung der außerordentlichen Initiativen und Beschlüsse von seiten des Generalsekretärs, des Sicherheitsrates und der Generalversammlung der Vereinten Nationen im Zusammenhang mit der Bestrafung der Verbrechen gegen die Menschlichkeit im ehemaligen Jugoslawien, insbesondere der Resolutionen Nr. 808/1993 vom 22.2.1993 und Nr. 827/1993 vom 25.5.1993 des Sicherheitsrates,

G. in der Erwägung, daß der Beschluß des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, einen Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien zu errichten, von enormer rechtlicher und politischer Bedeutung ist und einen Präzedenzfall darstellt, um weitere Entwicklungen auf dem Weg zu einer stabilen internationalen Strafgerichtsbarkeit zu fördern,

H. in der Auffassung, daß ein internationaler Gerichtshof ein wichtiges Instrument zur Verhütung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und zur Förderung der Rechtsordnung darstellen kann,


a) hinsichtlich des Internationalen Strafgerichtshofes für das ehemalige Jugoslawien:

1. begrüßt die Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofes für das ehemalige Jugoslawien, der am 17.11.1993 in Den Haag eingesetzt wurde, und ist der Ansicht, daß er einen äußerst wichtigen Beitrag der Völkergemeinschaft darstellt, damit die Opfer des Krieges im ehemaligen Jugoslawien wieder etwas Hoffnung auf die Durchsetzung des Rechts schöpfen können;

2. ist der Ansicht, daß der Erfolg oder Mißerfolg dieser Einrichtung in hohem Maße zum Anstieg oder zum Verlust der Glaubwürdigkeit der Perspektive für eine gerechte internationale Ordnung beitragen und großen Einfluß auf die Zukunft des Völkerrechts haben wird;

3. ist der Ansicht, daß das Gewicht und die politische Effizienz des Gerichtshofes in hohem Maße auch vom Bekanntheitsgrad seiner Tätigkeit und von der demokratischen Unterstützung, die ihm seitens der Behörden und der Gesellschaft zuteil wird, abhängen, und ersucht alle Medien, der Tätigkeit des Internationalen Gerichtshofes besondere Aufmerksamkeit zu widmen;

4. ist der Ansicht, daß sich die Europäische Union mit allen Mitteln dafür einsetzen muß, daß der Gerichtshof seiner Aufgabe voll und ganz gerecht werden kann, und fordert, daß die Europäische Union zu diesem Zweck unverzüglich die aktive Unterstützung des Gerichtshofes - in den hier aufgezeigten und sonstigen angemessenen Formen - in die gemeinsamen Aktionen in den Bereichen der Außen- und Sicherheitspolitik gemäß Titel V des Vertrags über die Europäische Union einbezieht;

5. begrüßt es, daß einige Mitgliedstaaten (wie z.B. Italien, Spanien, die Niederlande, Belgien und Luxemburg) bereits beachtliche Maßnahmen zur Unterstützung des Gerichtshofes getroffen haben, und fordert die Union und alle Mitgliedstaaten auf, die Tätigkeit des Gerichtshofes für das ehemalige Jugoslawien juristisch, politisch, finanziell und praktisch zu unterstützen, und zwar über:

a) Rechtsetzungs- und Regierungsakte, die den Vorkehrungen des Gerichtshofes Wirkung verleihen, insbesondere in bezug auf die Vorladung von Beschuldigten und Zeugen, die Verhaftung und Überstellung von Personen, gegen die Haftbefehl erlassen wird, die erforderliche internationale Rechtshilfe, die erforderlichen Maßnahmen, um die Verbüßung der Strafe der Angeklagten zu gewährleisten;

b) die unverzügliche Bereitstellung der für die Arbeit des Gerichtshofes erforderlichen Mittel, indem die Mitgliedstaaten der Union den zumindest für das erste Tätigkeitsjahr erforderlichen Betrag auf das vom Generalsekretär der Vereinten Nationen eingerichtete besondere Treuhandkonto überweisen und ihren Beitrag zu den notwendigen internationalen Bemühungen zur Deckung der künftigen Ausgaben gewährleisten;

c) auf Ersuchen des Gerichtshofes Bereitstellung von qualifizierten Mitarbeitern, Dokumentations- und Informationsmaterial, Daten und von den Polizeibehörden und nationalen Gerichtsorganen gesammelten Informationen, Infrastrukturen (auch Haftanstalten) und des sonstigen für das ordnungsgemäße Funktionieren des Gerichtshofes erforderlichen Instrumentariums;

6. ist der Ansicht, daß ähnliche Initiativen gemeinsam von den Mitgliedstaaten der Union innerhalb internationaler Institutionen gefördert werden müßten, insbesondere im Rahmen des Europarates und der KSZE, und begrüßt, daß einige Staaten - als Beispiel seien die USA und Finnland genannt - bereits eine beachtliche Unterstützung angekündigt haben;

7. ersucht die Union und die Mitgliedstaaten, nachhaltig zum Gesamthaushalt des Gerichtshofs beizutragen (der gegenwärtig auf 33 Mio. US-Dollar festgesetzt ist) und sich bei den Vereinten Nationen dafür einzusetzen, daß er anerkannt wird und gebührende Unterstützung findet;

8. ersucht die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten, auf internationaler Ebene tätig zu werden, damit die Frage des Schadensersatzes dem Gerichtshof angemessen unterbreitet werden kann;

9. fordert die Kommission auf, einen Entwurf für Initiativen zur Unterstützung der zivilen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen auszuarbeiten, die in den verschiedenen Gebieten des ehemaligen Jugoslawien demokratische und auf die Aussöhnung sowie Unterstützung des Internationalen Gerichtshofs ausgerichtete Aktivitäten durchführen, wobei sie diesen Organisationen helfen soll, ihre Aktivitäten im Hinblick auf die Übermittlung von Informationen, Anzeigen und Unterlagen an den Gerichtshof selbst wahrzunehmen, und fordert die Kommission auf, hierfür unter Rückgriff auf die Haushaltslinie B7-52 angemessene Mittel bereitzustellen;

b) hinsichtlich der Errichtung eines ständigen internationalen Strafgerichtshofes:

10. hält die Zeit für gekommen, daß die internationale Rechtsordnung durch einen ständigen Internationalen Strafgerichtshof vervollständigt wird, dessen Gerichtsbarkeit für Verbrechen von supranationaler Relevanz (völkerrechtliche Verbrechen, darunter das Anstiften bis hin zum Ausführen von Völkermord und ethnischen Säuberungen) genau definiert wird, wobei diese Verbrechen durch eindeutige völkerrechtliche Quellen belegt werden müssen;

11. empfiehlt der Union und allen internationalen Institutionen, die Errichtung des Gerichtshofes für das ehemalige Jugoslawien als Ausgangspunkt für die Förderung der Entwicklung hin zu einem ständigen internationalen Strafgerichtshof zu nutzen;

12. widmet seine besondere Aufmerksamkeit den wertvollen Vorbereitungsarbeiten, die bereits in dieser Richtung durchgeführt wurden, um einen internationalen Kodex und den Entwurf einer Satzung des Gerichtshofes auszuarbeiten, die derzeit von der Generalversammlung der Vereinten Nationen geprüft werden, und richtet den dringenden Appell an die Regierungen der Mitgliedstaaten, in diesem Sinne im Rahmen des Ausschusses für Recht (6. Ausschuß) der Generalversammlung der Vereinten Nationen tätig zu werden, damit der Entwurf noch im Laufe des Jahres 1994 der Generalversammlung unterbreitet wird;

13. fordert den Rat der Union auf, sich in allen internationalen Gremien für die Schaffung neuer internationaler Rechtsprechungsinstanzen einzusetzen, und zwar sowohl für strafrechtliche als auch für ökologische Belange, wobei sie diesbezüglich einen Gemeinsamen Standpunkt gemäß Artikel J.1 bis J.3 des Titels V des Vertrags über die Europäische Union festlegen und diesen als gemeinsame Aktion im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik übernehmen sollen;

14. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung der Kommission und dem Rat zu übermitteln, mit dem Ersuchen, sobald wie möglich den zuständigen Ausschuß des EP über die Weiterbehandlung insbesondere der Ziffern 4, 7 und 13 zu informieren und die Entschließung den Generalsekretären der Vereinten Nationen, des Europarates und der KSZE, dem Präsidenten des Internationalen Gerichtshofes für das ehemalige Jugoslawien sowie den Parlamenten und Regierungen der Nachfolgerepubliken des ehemaligen Jugoslawien zu übermitteln.

B.

BEGRÜNDUNG

I. Das Erfordernis einer Verstärkung des Völkerrechts und seiner Sanktionen, aufgezeigt am Beispiel des "Gerichts für die Verbrechen im ehemaligen Jugoslawien"

"Der Aufbau einer nach rechtsstaatlichen Prinzipien funktionierenden Völkergemeinschaft vollzieht sich langsam, schrittweise, chaotisch, ungeregelt. Sensationslust und Erfolgszwang sind hier nicht angesagt. Geduld lautet die Devise, wenn die allmähliche Weiterentwicklung des Völkerrechts weltweit zu einer Verbesserung der moralisch-ethischen Anschauungen führen soll. (...) Die Schaffung eines internationalen Gerichtshofs für die Verfolgung all derjenigen, die Verletzungen des humanitären Rechts im ehemaligen Jugoslawien zu verantworten haben, ist in jeder Hinsicht vorbildlich". So äußerte sich der Generalsekretär der Vereinten Nationen, BOUTROS GHALI, am 17. November 1993, dem Tag der Einsetzung dieses internationalen Gerichtshofs in Den Haag.

Mit dem Ende der Aufteilung der Welt in zwei politisch-militärisch-ideologische Blöcke unter der Herrschaft zweier Supermächte, denen unter anderem die Rolle der Weltpolizisten zufiel, bedarf es nunmehr des zügigen Ausbaus einer Völkerrechtsordnung, in deren Rahmen es möglich ist, Entscheidungen zu treffen, Sanktionen zu verhängen und für die Einhaltung und Durchführung rechtmäßiger Beschlüsse zu sorgen. Würde man das Recht nur bestätigen, ohne ihm mehr Durchsetzungskraft zu verleihen, so wäre dies zwar eine wichtige, aber praktisch unwirksame und auf die Dauer seine Glaubwürdigkeit gefährdende moralische Geste. Würden schwerwiegende Verletzungen des Völkerrechts durch eine parteiische, u.U. von den überlegenen bzw. der Siegermacht bestellten Instanz verurteilt und bestraft (wie das, angefangen von den Nürnberger Prozessen bis hin zum Golfkrieg, so häufig geschah), so wäre damit der Schaffung einer glaubwürdigen und leistungsfähigen internationalen Rechtsordnung ein schlechter Dienst erwiesen. Dahinter ließe sich eher Anmaßung vermuten als die ordnungsgemäße, souveräne Wahrnehmung öffentlicher Funktionen.

Die Welt verlangt immer mehr nach Gerechtigkeit, und deshalb wird vielfach gefordert und vorgeschlagen, daß die internationale Ordnung den zunehmend heftigeren Störungen des Zusammenlebens der Menschen untereinander und mit der Natur Rechnung tragen muß. Dabei geht es um Verbrechen wie Völkermord oder Apartheid bzw. andere gewalttätige Formen der "ethnischen Säuberung", systematische, schwere Menschenrechtsverletzungen, massive und häufig nicht wieder gutzumachende Schädigungen der Umwelt, systematische Folterungen und Vergewaltigungen, illegalen Drogenhandel und Kriegsverbrechen, wie sie in zahlreichen internationalen Abkommen vorgesehen sind, vielleicht aber auch um neue, gefährliche Arten von Verstößen gegen das Völkerrecht wie vorsätzliche, gezielte Angriffe auf die Währungsstabilität, die internationale Volksgesundheit, soziale Grundrechte, die körperlich-geistige und selbst die biologisch-genetische Unversehrtheit des Menschen und anderer Lebewesen. Vielleicht werden eines Tages sogar der Angriff auf unsere ästhetischen Werte und deren unwiderrufliche Zerstörung als Verbrechen gegen das Völkerrecht anerkannt.

Während Politiker, Juristen und Philosophen weltweit noch über diese Probleme diskutieren, Theorien entwickeln und Vorschläge ausarbeiten, ist mit der Schaffung des internationalen Gerichts, das die Verletzungen des humanitären Völkerrechts im ehemaligen Jugoslawien verfolgen soll, bereits ein unübersehbarer Fortschritt erzielt worden. Hier hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen auf den vielfachen, massiven Druck demokratischer Länder und Bürger aus aller Welt in außergewöhnlicher Weise reagiert. Dieses Gericht soll Recht sprechen und vielleicht sogar - im Guten wie im Bösen - Geschichte machen, auch über die dramatischen Ereignisse hinaus, für deren Beurteilung es eingesetzt wurde. Damit zählt es zu den "Protagonisten" aller internationalen Gerichtshöfe für Kriegsverbrechen und vielleicht aller internationalen Strafgerichte überhaupt.

In Anbetracht der ungeheuren und weiter zunehmenden Komplexität und Interdependenz der modernen Welt und eines geschärften moralischen Bewußtseins muß zum einen die gewaltsame Durchsetzung von Ansprüchen auch im Verhältnis der Völker untereinander verboten, zum anderen der enge Rahmen der nationalen Souveränität gesprengt werden, innerhalb derer sich das Recht bisher bewegte und die keineswegs unparteiisch und damit "gerecht" ist, wie es Rechtsakt und Sanktion sein müssen. Da Rechtsverletzungen heute immer öfter grenzüberschreitende Auswirkungen und Folgen haben, müssen das Recht und seine Durchführung einer supranationalen Autorität überantwortet werden, und es wird weltweit, zumindest theoretisch, befürwortet, daß eine einzige allgemein anerkannte Instanz über die Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Gewalt entscheiden soll.

Die Schaffung des internationalen Gerichtshofs zur Verfolgung von Rechtsverletzungen im ehemaligen Jugoslawien bedeutet, daß all diese Probleme nicht mehr nur theoretisch erörtert, sondern auch praktisch angegangen werden.

II. Die Forderung nach einem internationalen Strafgerichtshof und/oder einem internationalen Kriegsverbrechergericht

Die Empörung der Weltöffentlichkeit - insbesondere, nachdem bekannt geworden war, daß Vergewaltigungen als Teil der Kriegsstrategie eingesetzt werden -, ein gemeinsamer politischer Wille (zum Teil auch Verlegenheit wegen der Ohnmacht der Völkergemeinschaft angesichts des Jugoslawienkriegs) und ein ungewöhnliches Verfahren führten binnen kurzer Zeit zur Errichtung eines eigenen internationalen Gerichts für die Verfolgung der Verletzungen des humanitären Völkerrechts im ehemaligen Jugoslawien. Obwohl Wissenschaftler und Politiker schon seit 40 Jahren eine wirksame Durchsetzung des internationalen Strafrechts forderten, gab es bisher nichts Vergleichbares.

In jüngster Zeit haben bedeutende internationale Gremien durchaus beachtliche Vorschläge zu dieser Frage unterbreitet.

a) Europarat: Schaffung eines internationalen Gerichtshofs zur Verfolgung von Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Die Parlamentarische Versammlung des Europarates nahm im März 1992 den Bericht HALLER an. Darin wird empfohlen, die Schaffung eines internationalen Strafgerichtshofs im Rahmen einer internationalen diplomatischen Konferenz unter der Schirmherrschaft der UNO zu unterstützen; abgelehnt wird eine einschlägige Änderung der UN-Charta bzw. die Befassung der Generalversammlung oder die Erweiterung des Internationalen Gerichtshofs von Den Haag um eine neue Strafkammer. Die Ausarbeitung eines internationalen Kodex vor der Schaffung eines solchen Gerichts wird nicht für notwendig erachtet, da man davon ausgeht, daß Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in den geltenden internationalen Abkommen und insbesondere in den Gründungsverträgen der UNO hinreichend beschrieben sind und eine im wesentlichen von der Völkergemeinschaft anerkannte unteilbare Einheit bilden. Angestrebt wird ein Gerichtshof mit einer ausschließlichen, obligatorischen Zuständigkeit, für dessen Anrufung man sich am Vorbild der Europäischen Menschenrechtskonvention orientiert hat; das würde bedeuten, daß nicht nur Staaten, sondern auch internationale Organisationen, nichtstaatliche Organisationen und Einzelne den Gerichtshof befassen könnten. Der Gerichtshof muß fünf Merkmale aufweisen: Stabilität, Permanenz, Unabhängigkeit, Wirksamkeit und Universalität.

b) Internationaler Juristenausschuß: Schaffung eines ständigen internationalen Strafgerichtshofes

Die Frage der Schaffung eines internationalen Strafgerichtshofes wurde bereits im Jahre 1918, also unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg erörtert. Die Diskussion wurde - ohne konkrete Ergebnisse - unter anderem im Zusammenhang mit dem schrecklichen Völkermord der Armenier durch die Türken fortgesetzt. Nach dem zweiten Weltkrieg gab es die Kriegsverbrechergerichte von Nürnberg und Tokio, und in den späteren Jahren wurde die Frage mehrfach in den Vereinten Nationen erörtert, insbesondere im Zusammenhang mit der Verfolgung der Verbrechen "gegen den Frieden und die Sicherheit der Menschheit".

Im Mai 1993 legte der Internationale Juristenausschuß ein Dokument vor, in dem die Probleme im Zusammenhang mit der Schaffung eines internationalen Strafgerichtshofes ausführlich untersucht werden. Er gelangte dabei zu folgenden Ergebnissen:

- Der Ausschuß befürwortet die Schaffung eines ständigen, unabhängigen, internationalen Strafgerichtshofes zur Verfolgung von Verbrechen gegen das Völkerrecht; für die Definition dieser Verbrechen wird auf den Entwurf eines Kodex der Verbrechen gegen den Frieden und die Sicherheit der Menschheit der internationalen Menschenrechtskommission der UNO verwiesen (in dem unter anderem Völkermord, Apartheid, systematische, schwere Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen, illegaler Drogenhandel, Terrorismus usw. genannt werden); darüber hinaus wird jedoch auch ausdrücklich auf andere Völkerrechtsquellen verwiesen.

- Vorgeschlagen wird die ausschließliche Zuständigkeit dieses Gerichts für bestimmte internationale Großverbrechen und die konkurrierende Zuständigkeit für bestimmte andere Verbrechen. Die Gerichtsbarkeit des Gerichts dürfte in keinem Land als "fremd" gelten, da sich andernfalls Probleme bei der Auslieferung stellen.

- Das Gericht müßte als Tatsachengericht und nicht nur als Berufungs- bzw. Kassationsgericht zuständig sein.

- Die Anklagevertretung müßte unabhängig, vom Spruchkörper getrennt und mit allen erforderlichen Garantien ausgestattet sein.

- Für die Einsetzung des Gerichts wird ein entsprechendes Völkerrechtsabkommen vorgeschlagen; darüber hinaus soll das Gericht formelle Beziehungen zur UNO unterhalten.

c) Völkerrechtskommission der UNO: Internationaler Kodex der Verbrechen gegen den Frieden und die Sicherheit der Menschheit, Entwurf einer Satzung für einen internationalen Strafgerichtshof

Anfang der achtziger Jahre hatte die UNO-Generalversammlung die Völkerrechtskommission ersucht, einen internationalen Kodex der Verbrechen gegen den Frieden und die Sicherheit der Menschheit auszuarbeiten. Gemäß diesem Auftrag arbeitete die Kommission auf ihrer Tagung vom 3. Mai bis 23. Juli 1993 in Genf den Entwurf einer Satzung für einen internationalen Strafgerichtshof aus. Seit dem 26. Oktober 1993 liegt dieser Entwurf dem Sechsten Ausschuß der Generalversammlung und der Mitgliedstaaten vor. Die Generalversammlung wird die Frage voraussichtlich 1994 behandeln; die Mitgliedstaaten sollten bis Ende Februar eine Stellungnahme abgegeben haben. Der Sechste Ausschuß hat am 23. November 1993 eine Resolution verabschiedet, in der er die Mitgliedstaaten bittet, ihre Anmerkungen zu dem Satzungsentwurf bis 15.Februar vorzulegen, und die Völkerrechtskommission auffordert, ihre Arbeiten fortzusetzen und möglichst zur 46. Tagung des Ausschusses einen Satzungsentwurf vorzulegen.

Wie die "Parliamentarians for Global Action" in einem Arbeitsbericht des Sechsten Ausschusses feststellen, ist die Völkerrechtskommission nicht mehr verpflichtet, ihren Entwurf bis Ende 1994 vorzulegen, da offenbar die nötige Unterstützung dafür fehlt; der größte Widerstand kommt wohl aus den Vereinigten Staaten und von einer Gruppe von Entwicklungsländern, die in der Frage der nationalen Souveränität sehr empfindlich reagieren, u.a. von China. Bislang bezieht sich dieser Widerstand jedoch mehr auf das Tempo beim Fortgang der Arbeiten als auf ihren Inhalt.

In den sechs Kapiteln des Satzungsentwurfs werden folgende Einzelaspekte geprüft:

- Verfassung und Zusammensetzung des Gerichtshofs (Verhältnis zur UNO, Stellung, Organe, Auswahl der Richter, Garantien für sie, Aufgaben, Zusammensetzung und Arbeitsweise der Anklagevertretung usw.); vorgesehen sind Gericht, Staatsanwaltschaft und Kanzlei;

- Rechtssprechung und geltendes Recht; geprüft werden verschiedene, teils alternative, teils einander ergänzende Möglichkeiten, die sich insbesondere aus Verträgen mit Bestimmungen über Verbrechen gegen das Völkerrecht und Verträgen mit einer Verpflichtung des nationalen Gesetzgebers zur Einführung bestimmter Verbrechenstatbestände herleiten lassen; die jeweiligen Fälle sollen dem Gerichtshof entweder durch ausdrücklichen Beschluß des Unterzeichnerstaates der Satzung oder kraft Gesetzes nach Maßgabe des das Verbrechen definierenden Vertrages vorgelegt werden;

- Durchführung der Ermittlungen und Eröffnung des Anklageverfahrens;

- Urteilsvollstreckung;

- Berufung und Revision;

- internationale Zusammenarbeit und Rechtshilfe (Vernehmungen, Überstellung von Personen und Unterlagen usw.).


Offen bleibt die Frage, inwieweit der Gerichtshof als Organ der Vereinten Nationen zu betrachten ist.

Der UNO-Sicherheitsrat soll das Recht erhalten, dem Gerichtshof Fälle vorzulegen, und könnte damit auch auf die Schaffung eigener Gerichte verzichten.


d) Europäisches Parlament: drängt auf die Einsetzung des Gerichts für das ehemalige Jugoslawien (mit entsprechender Finanzierung); besondere Berücksichtigung der Frauen

Das Europäische Parlament hat sich schon mehrfach für die Einrichtung neuer internationaler Gerichte (wie beispielsweise eines internationalen Umwelt-Gerichtshofs) eingesetzt, auch wenn es hierzu bislang noch keine eingehenderen Studien bzw. Entschließungen ausgearbeitet hat.

Im Zusammenhang mit den Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien wurde die wichtigste und detaillierteste Entschließung - im Anschluß an eine vom Ausschuß für die Rechte der Frau veranstaltete Ad-hoc-Anhörung vom 18. Februar 1993 - am 11. März 1993 angenommen, und zwar kurz nach der Verabschiedung der Resolution 808 (1993) des Sicherheitsrats, auf die ausdrücklich Bezug genommen wird. In der Entschließung des EP (B3-0374, 0412, 0430/93) wird u.a. die rasche Einsetzung des von der UNO beschlossenen Gerichtshofs und die Bereitstellung der dafür erforderlichen Mittel gefordert. Besonders hingewiesen wird auf die Vergewaltigungen der Frauen und darauf, daß der Gerichtshof auch mit diesen Verbrechen befaßt werden muß; weitere Forderungen betreffen die Umkehr der Beweislast, eine angemessene Vertretung von Frauen bei den Mitgliedern des Gerichtshofs und eine wirkungsvolle Rechtshilfe für die Opfer. Auch in der Folgezeit beschäftigte sich das EP des öfteren mit dieser Frage; so drängte es am 27. Mai 1993 auf die rasche Einsetzung des Gerichtshofs und wiederholte diese Forderung an die Adresse der Regierungen der Mitgliedstaaten am 16. September 1993; am 15. Dezember 1993 kritisierte es den Rat, der sich nicht mit dem Problem der Finanzierung des Gerichtshofs auseinandergesetzt habe, und fordert erneut ein größeres Engagement der Mitgliedstaaten.

e) Vorläufiges Ergebnis: Weiterhin flexible, aber nachdrückliche Bemühungen um die Schaffung eines internationalen Strafgerichtshofs

Betrachtet man die zahllosen theoretischen, praktischen und insbesondere politischen Probleme im Hinblick auf die Schaffung eines internationalen Strafgerichtshofs (allgemeiner Art bzw. für die Verfolgung von Kriegsverbrechen oder bestimmten anderen Straftaten) sowie die vielen wichtigen Vorbereitungsarbeiten, mit denen sich verschiedene Gremien schon jahrelang beschäftigen, so muß man daraus folgern, daß der fragliche Vorschlag zwar durchaus begründet, aber auch sehr gewagt ist und - verständlicherweise - vielfach auf erheblichen Widerstand stößt, der in erster Linie mit der Verteidigung der sogenannten nationalen Souveränität und entsprechender einzelstaatlicher Interessen zu tun hat. Für die Realisierung eines solchen Vorhabens, das mittlerweile sowohl in der UNO als auch in der Öffentlichkeit vieler Länder und in einschlägigen, fachlich hochqualifizierten Juristen-und Akademikerkreisen Zustimmung findet, bedarf es in politischer Hinsicht einer erheblichen Entschlossenheit und eines breiten Konsenses, und praktisch gesehen, eines pragmatisch-empirischen Ansatzes. Dabei muß man von den rechtlichen und faktischen Gegebenheiten ausgehen, die weitgehend als anerkannt und vereinbart gelten, und zwar in bezug auf die zu bestrafenden Verbrechen, die Zuständigkeiten eines internationalen Gerichtshofs, das anzuwendende Recht und seine möglichen Strukturen und die Stellung des Gerichtshofs innerhalb der UNO und der Völkerrechtsordnung.

III. Der Internationale Gerichtshof für die Verfolgung der Personen, die im ehemaligen Jugoslawien für Verletzungen des humanitären Völkerrechts verantwortlich sind

Die vorstehenden Ausführungen machen deutlich, welche im Grunde "revolutionäre" Bedeutung den Resolutionen 808/1993 (22.2.1993) und 827/1993 (25.5.1992) des Sicherheitsrates zukommt, mit denen der Ad-hoc-Gerichtshof für die Verfolgung der Verbrechen gegen die Menschlichkeit im ehemaligen Jugoslawien ins Leben gerufen wurde. Geschaffen werden sollte ein internationaler Spruchkörper, der - hoffentlich - in der Lage sein würde, dem humanitären Völkerrecht wieder zu einer gewissen Glaubwürdigkeit zu verhelfen und exemplarisch, vorbeugend und im Sinne einer Abschreckung gegen all diejenigen vorzugehen, die durch Gewalt das Völkerrecht verletzen. Der Ausgang dieses ersten, äußerst wichtigen Versuchs wird zeigen, inwieweit es möglich ist, im Rahmen des Völkerrechts und der Vereinten Nationen ein ständiges, internationales Gericht für die Verfolgung all derjenigen Verbrechen gegen das Völkerrecht einzusetzen, die auf nationaler Ebene nicht angemessen verfolgt und bestraft werden können.

Die Bereitschaft dazu reifte rasch und auf dem Boden einer zunehmenden politischen Entschlossenheit angesichts des grauenvollen Kriegsgeschehens im ehemaligen Jugoslawien. In seiner Resolution 771 (13.8.1992) forderte der Sicherheitsrat die Staaten und die internationalen humanitären Organisationen angesichts der zahlreichen Verletzungen des humanitären Völkerrechts, insbesondere im Zusammenhang mit den "ethnischen Säuberungen" im Hoheitsgebiet des ehemaligen Jugoslawien (einschließlich der schweren Verstöße gegen die Genfer Konventionen) auf, einschlägige Informationen zu sammeln und ihm zur Verfügung zu stellen. In der Resolution 780 (6.10.1992) wurde beschlossen, für die Untersuchung dieser Rechtsverletzungen im ehemaligen Jugoslawien einen "Sachverständigenausschuß" einzusetzen. Kurz danach begrüßte der Sicherheitsrat in der Resolution 787 (16.11.1992) die Einsetzung dieses Ausschusses und bittet ihn, mit seinen Ermittlungen unter besonderer Berücksichtigung der "ethnischen Säuberungen" fortzufahren. Dennoch beteiligten sich nur wenige Länder (Kanada, Dänemark, Neuseeland, Norwegen, Schweden, die USA und - zumindest mit einer Zusage - die Niederlande) an der Finanzierung des eigens vom UNO-Generalsekretär eingesetzten "Trust Fund". Von den erforderlichen 1,8 Millionen Dollar traf bis Ende 1993 nur 1 Million ein.

Die unter der gemeinsamen Schirmherrschaft der UNO und der EG veranstaltete Konferenz von London forderte am 27. August 1992 abschließend als besondere Ziele der internationalen Politik: "Es muß darauf hingewirkt werden, daß alle Personen den Verpflichtungen nachkommen, die ihnen gemäß dem humanitären Völkerrecht obliegen"; "in rechtlicher Hinsicht muß alles dafür getan werden, daß diejenigen, die für schwere Verstöße gegen die Genfer Konvention verantwortlich sind, verfolgt werden"; "es ist ein Verzeichnis der festgestellten Verletzungen des humanitären Völkerrechts aufzustellen". Ähnliche Forderungen wurden von den nichtstaatlichen Vertretern aller Republiken und Regionen des ehemaligen Jugoslawien auf der ersten Tagung des "Verona Forum for Peace and Reconciliation in the Territory of Former Yugoslavia" (Verona,17.- 20.09.1992) und der anschließenden "Konferenz über die Bestrafung der Kriegsverbrechen" (ebenfalls auf Anregung des Anti-War-Centre Belgrad, von NRO des ehemaligen Jugoslawien gefördert) in San Remo (4.-6.12.1992) erhoben. Auch der Europäische Rat von Edinburgh (11.-12.12.1992) wurde in diesem Sinne tätig, mit dem Beschluß, eine Sonderdelegation zur Untersuchung des systematischen Einsatzes der Vergewaltigung zu entsenden. Vor diesem Hintergrund entstanden die beiden entscheidenden Resolutionen 808 und 827 des Sicherheitsrates.

a) Die Resolutionen 808 und 827 des UNO-Sicherheitsrates

In der ersten der beiden Resolutionen wird auf der Grundlage des Berichts des Sachverständigenausschusses die Schaffung eines internationalen Gerichtshofs beschlossen, mit dem Auftrag, diejenigen Personen zu verfolgen, die für die seit 1991 im Hoheitsgebiet des ehemaligen Jugoslawien begangenen schweren Verletzungen des humanitären Völkerrechts verantwortlich sind; darüberhinaus wird der Generalsekretär ersucht, dem Rat spätestens 60 Tage nach der Verabschiedung der Resolution einen möglichst vollständigen Bericht mit gezielten Vorschlägen für die Umsetzung der Resolution vorzulegen. Am 3. Mai 1993 legte der Generalsekretär seinen Bericht dem Rat vor und erläuterte darin die möglichen Rechtsgrundlagen für die Schaffung des Gerichtshofs, seine Zuständigkeit, seine Organisation, die ermittlungs- und prozeßvorbereitenden Verfahren, das Verfahrensrecht, mögliche Rechtsbehelfe, Zusammenarbeit und Amtshilfe sowie Kosten, Arbeitsweise und Satzungen des Gerichts.

In seinem Vorschlag löste der Generalsekretär auf überraschende, kreative und im Grunde als "revolutionär" zu bezeichnende Art und Weise viele Probleme, die bisher der Schaffung eines internationalen Strafgerichtshofs entgegenstanden. Es bedarf offenbar weder eines neuen völkerrechtlichen Vertrages noch einer Änderung der Charta der Vereinten Nationen, noch eines komplizierten völkerrechtlichen Ratifizierungs- bzw. Beitrittsverfahrens; vielmehr genügt die Berufung auf Kapitel VII der UNO-Charta, wonach Maßnahmen zu treffen sind, "um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren oder wiederherzustellen". Damit sind alle Mitgliedstaaten verpflichtet, die Beschlüsse gemäß Kapitel VII der UNO-Charta anzunehmen.

Der Internationale Gerichtshof ist nach Artikel 29 der Charta ein Nebenorgan der UNO, und als Gericht unabhängig. Das geltende Recht leitet sich entweder - unter weitgehendem Verzicht auf Formalismen - aus dem humanitären Völkervertrags- und -gewohnheitsrecht ab. Damit stellt sich die Frage des Beitritts bestimmter (möglicherweiser neu gegründeter) Staaten zu diesem oder jenem Völkerrechtsabkommen nicht mehr. Die sachliche Zuständigkeit des Gerichtshofs kann in der Tat als sehr umfassend beschrieben werden.

Bei den zu verhängenden Strafen hat sich der Gerichtshof an die Gesetze des ehemaligen Jugoslawien zu halten, wobei zumindest die Todesstrafe ausgeschlossen ist. Die Angeklagten können allerdings nicht in Abwesenheit verurteilt werden; damit entstehen zahlreiche, möglicherweise unüberwindliche Hindernisse, die die Funktionsfähigkeit des Gerichtshofs erheblich beeinträchtigen dürften.

b) Einsetzung des Gerichtshofs, Auswahl der Richter

In der Resolution 827 beschloß der Sicherheitsrat außerdem folgendes:

- Genehmigung des Berichts des Generalsekretärs;

- Einsetzung eines internationalen Ad-hoc-Gerichtshofs mit dem ausschließlichen Auftrag, diejenigen Personen zu verfolgen, die für die ab dem 1.Januar 1991 bis zu einem vom Sicherheitsrat festzusetzenden Zeitpunkt im Hoheitsgebiet des ehemaligen Jugoslawien begangenen schweren Verletzungen des humanitären Völkerrechts verantwortlich sind;

- Annahme der Satzung des Gerichtshofes;

- dringende Bitte an die Mitgliedstaaten und die internationalen Organisationen, finanzielle Mittel und qualifiziertes Personal zur Verfügung zu stellen;

- praktische Verfahren für die Anrufung des Gerichtshofs.

Es folgte die Resolution 857 (20.8.1993) mit der einstimmigen Annahme einer Liste von 23 Bewerbern um das Richteramt, aus der die Generalversammlung 11 Kandidaten für den Zeitraum von 4 Jahren auswählen sollte, sowie die Abstimmung der Generalversammlung vom 17. September 1993, in der sie mit absoluter Mehrheit 11 Richter wählte, die die wichtigsten Rechtsordnungen der Welt vertreten: Georges Michel ABI-SAAB (Ägypten), Antonio CASSESE (Italien), Jules DESCHENES (Kanada), Adolphus Godwin KARIBI-WHYTE (Nigeria), Germain le FOYER de COSTIL (Frankreich), HAOPEI Li (China), Gabrielle KIRK McDONALD (USA), Elizabeth ODIO BENITO (Costa Rica), Rustam S. SIDHWA (Pakistan), Sir NINIAN Stephen (Australien), LAL CHAND VOHRAH (Malaysia).

Am 21. Oktober 1993 benannte der Sicherheitsrat Ramon ESCOBAR SALOM, Generalstaatsanwalt von Venezuela, als Anklagevertreter beim Gerichtshof.

Der Gerichtshof trat erstmals vom 17. bis 30. November 1993 in Den Haag zur feierlichen Eröffnung, der Vereidigung und einer ersten Arbeitssitzung zusammen, die dann auf den Januar (17.1 bis 11.2.1994) vertagt wurde, um Verfahrensregeln festzulegen und Beweise und Zeugenaussagen zu beurteilen. Weitere Tagungen sind vom 25. April bis 29. Juli und vom 19. September bis 4. November 1994 vorgesehen. Dabei wird der Anklagevertreter die ersten Anklagen erheben.

Nach der feierlichen Eröffnungssitzung wurden die Arbeiten unter Ausschluß der Öffentlichkeit fortgesetzt und einstimmig einige wichtige Beschlüsse gefaßt. Der Gerichtshof wählte den italienischen Richter Antonio CASSESE zu seinem Präsidenten und Elizabeth ODIO BENITO (Costa Rica) zur Vize-Präsidentin; die Amtszeit beider Richter soll 2 Jahre betragen und höchstens einmal verlängerbar sein. Der Gerichtshof hat zwei Strafkammern mit je 3 Mitgliedern (jeweils unter dem Vorsitz von Gabrielle KIRK McDONALD und Adolphus Godwin KARIBI-WHYTE) und eine Berufungskammer unter dem Vorsitz von Präsident CASSESE. Für die Zusammensetzung der Kammern gilt ein Rotationssystem der Richter. Ferner einigte man sich auf die Kurzformel "Internationaler Gerichtshof für Verbrechen im ehemaligen Jugoslawien" (The International Tribunal for Crimes in Former Yugoslavia). Viele praktische Fragen wie beispielsweise die Schaffung einer Kanzlei, die Benennung eines Kanzlers und eines stellvertretenden Staatsanwalts, die Dokumentation usw sind erst im Ansatz gelöst.

Zu den schwierigsten Problemen gehören bisher offenbar die Sammlung von Unterlagen und Zeugenaussagen, die Vorladung und das Erscheinen der Angeklagten vor Gericht und die Finanzierung des Gerichtshofs. Der Gerichtshof selbst hat den UNO Generalsekretär gebeten, die Staaten um Garantien, Anerkennung, praktische Erleichterungen, Bereitstellung einschlägig qualifizierter Mitarbeiter usw. anzugehen.

IV. Maßnahmen des Parlaments und der Europäischen Union

In dem Bericht des EP muß insbesondere das Mandat und die politische Bedeutung des Ad-hoc-Gerichtshofs und eines künftigen internationalen Strafgerichtshofs geprüft werden, und zwar vor allem unter den beiden folgenden Aspekten:

a) Maßnahmen des EP und der Europäischen Union zugunsten der Einsetzung des Gerichtshofs für Verbrechen im ehemaligen Jugoslawien;

b) Maßnahmen des EP und der Europäischen Union zugunsten der Einsetzung eines ständigen internationalen Strafgerichtshofs für die Verfolgung von Kriegsverbrechern bzw. - im Rahmen eines umfassenderen Mandats - für die Verfolgung schwerwiegender Verletzungen des Völkerrechts.

Ad a): hier kann das EP zunächst empfehlen, daß die Union im Rahmen der gemeinsamen Maßnahmen nach Titel V des Unionsvertrags einschlägige Schritte bei der UNO und sonstigen internationalen Organisationen oder unmittelbar in Bezug auf den Gerichtshof selbst unternimmt. Der Rat sollte aufgefordert werden, den Gerichtshof in politischer, finanzieller und praktischer Hinsicht gezielt zu fördern, Personal und Gelder zur Verfügung zu stellen, die Sammlung von Informationen und Unterlagen sowie die Vorladung und das Erscheinen von Angeklagten und Zeugen vor Gericht zu unterstützen. Außerdem sollten die Union und ihre Mitgliedstaaten zur Finanzierung des vom Sicherheitsrat gegründeten Sachverständigenausschusses beitragen, der sicherlich die aktuellsten Unterlagen und Beweise beibringen kann. Besondere Bemühungen müssen jedoch all denjenigen unabhängigen und demokratischen Organisationen in den verschiedenen Hoheitsgebieten des ehemaligen Jugoslawien (auch Serbiens und Montenegros) gelten, die sich seit vielen Monaten dafür einsetzen, daß die Verbrechen angezeigt, Beweise und Unterlagen gesammelt und die Verantwortlichen ermittelt werden, und die sich verzweifelt um ein Vorgehen der Völkerrechtsinstanzen auch gegen die Verantwortlichen ihrer eigenen Länder und Regierungen bemühen.

AD b): hier kann das EP die geforderte Einsetzung eines internationalen Strafgerichtshofs unterstützen, dabei vor allem auf die Verwirklichung der in der UNO schon relativ weit gediehenen Projekte drängen und die Union und die Mitgliedstaaten in diesem Sinne in die Pflicht nehmen. Auch dafür wäre die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der geeignete Rahmen. Das Parlament müßte darauf hinweisen, daß die Erfahrungen des Ad-hoc-Gerichtshofs für die Verbrechen im ehemaligen Jugoslawien soweit wie möglich genutzt und in politischer, juristischer und philosophischer Hinsicht mutige, unkonventionelle Maßnahmen getroffen werden sollten, um internationale Straftatbestände zu definieren, die heute generell im Rahmen des Völkerrechts zu verhüten und zu ahnden sind.

ANLAGE

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG (B3-0317/93)

eingereicht gemäß Artikel 63 der Geschäftsordnung´von Herrn ARBELOA MURU zur Einsetzung eines internationalen Tribunals für Kriegsverbrechen

Das Europäische Parlament,

A. unter Hinweis auf die Empfehlung 1189 (1992) der Parlamentarischen Versammlung des Europarates,

B. in Anbetracht der Tatsache, daß es beim derzeitigen Stand des Völkerrechts keine Gerichtsbarkeit für Kriegsverbrechen gibt, zu denen auch Verbrechen gegen den Frieden und die Menschlichkeit sowie Völkermord hinzugefügt werden müssen, die alle in zahlreichen internationalen Dokumenten als Tatbestand definiert sind,

C. sich der Resolution anschließend, die von der Interparlamentarischen Union auf ihrer Tagung im Oktober 1991 in Santiago de Chile verabschiedet wurde,

1. empfiehlt dem Rat und den Mitgliedstaaten, bei der UNO die erforderlichen Schritte im Hinblick auf die Einberufung einer internationalen diplomatischen Konferenz zur Ausarbeitung eines Übereinkommens über die Einsetzung einer Strafgerichtsbarkeit sowie im Hinblick auf die spätere Unterstützung ihrer Tätigkeit zu unternehmen.

pro dialog