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Golfkrise auf italienisch

1.9.1990, aus: "KOMMUNE" September 1990
Zu den gewiß unbeabsichtigten Nebenwirkungen des irakischen Überfalls auf Kuwait gehört auch der dadurch plötzlich wieder hergestellte Zusammenhalt in der italienischen Regierung - allerdings nicht ohne aufschlußreiche Zwischentöne. Doch je länger die Ungewißheit andauert, desto stärker treten die traditionellen Nuancen der italienischen Außenpolitik und die diesbezüglich divergierenden Einstellungen zwischen und in den verschiedenen Parteien ans Licht.

Dabei war Italien diesmal in einer besonderen Position: als turnusgemäß präsidierende Ratsmacht der EG kam dem italienischen Außenminister und dem Ministerpräsidenten die Aufgabe zu, nicht nur für Italien, sondern für die Zwölfergemeinschaft zu sprechen und zu handeln. Was sich zu Beginn der Krise auch sofort durch eine Reise der EG-Troika (wozu traditionell der amtierende Ratsvorsitzende samt Vorgänger und Nachfolger gehört: also nebst Italien auch Irland und Luxemburg) nach Amman, Kairo und Tunis manifestierte. Doch gleich nachher verschwand die EG in der Versenkung, die USA und einzelne EG-Mächte (vor allem Großbritannien und Frankreich) beherrschten das Feld und Staaten wie Italien (aber auch die BRD) sahen sich plötzlich vor die Frage gestellt, ob es ihnen nicht wohl anstünde, ebenfalls Kriegsmarine und Militär in den Golf zu entsenden, um den Rechtsbrecher Saddam Hussein in die Schranken zu weisen, Kuwaits Souveränität wiederherzustellen, Saudi-Arabien vor einem "Anschluß" zu schützen und die Freilassung der ausländischen Geiseln zu erzwingen.

Italien, und insbesondere der umsichtige und mit allen Wassern gewaschene Ministerpräsident Andreotti (DC), sprach sich sofort und eindeutig für eine UNO-Regie der Krise aus, reagierte betont kühl auf die US-amerikanischen Einseitigkeiten und kehrte die traditionelle Rolle Italiens im Mittelmeerraum und im euro-arabischen Dialog hervor. Die Berufung auf die EG unterstrich noch stärker die Notwendigkeit, einen autonomen und von den USA abgehobenen Part zu spielen, was anscheinend zumindest auch von Deutschland und Frankreich ähnlich gesehen wurde. Die Mittsommertage taten ein übriges, und so schien der anfängliche Konsens sehr breit: man bildete sich quer durch die Reihen sogar noch etwas darauf ein, "politischer" und "diplomatischer" zu reagieren als die Rambo-Nation USA. Innerhalb der italienischen Öffentlichkeit sprachen sich die Linke und das katholische Lager für friedliche Lösungen aus, und die traditionell sehr pro-atlantisch ausgerichteten kleineren Zentrumsparteien und die großen Zeitungen hielten sich, in Erwartung der nächsten US-amerikanischen Schritte, noch eher zurück. Allerdings spürte man schon recht deutlich, daß innerhalb der Regierung der (sozialistische) Außenminister De Michelis um einiges "westlicher" und "energischer" auftrat als der Ministerpräsident selbst. Er sicherte den US-Verbündeten denn auch gleich die Benützung der italienischen Militärstützpunkte für die Flüge in den Golf zu.

Als aber die Frage der Truppenentsendung konkret wurde, und die italienische Regierung nach einigem Hinauszögern und Verweis auf die EG und die WEU (Westeuropäische Union) kaum mehr umhin konnte, auch ihr Scherflein zum Truppenaufgebot beitzutragen (anfänglich einige Schiffe, die sich sehr langsam in Bewegung setzten, später auch einige Flugzeuge), brach der Kontrast offen aus. Gestützt auf den bloß minimalen Einsatz, den die Regierung in Aussicht stellte, wollten vor allem die Kommunisten des Reformers Occhetto nicht als ewige Neinsager und Nörgler dastehen; da aber der linke Flügel absolut dagegen war, jeglicher Truppenentsendung zuzustimmen, entschloß sich die Partei im Parlament zur Stimmenthaltung - was aber etliche linke Abgeordnete um Pietro Ingrao mit Hinweis auf die Haltung der deutschen Sozialdemokraten zu den Kriegskrediten von 1914 nicht teilten und deshalb die Abstimmung verließen. Nur die Grünen, einige Linksunabhängige und "Democrazia proletaria" stimmten dagegen, während die Pannella-Radikalen (und einzelne ihrer Freunde in den Reihen der "arcobaleno"-Grünen) im Gegenteil von der Regierung mehr Entschlossenheit forderten, im Verein mit der gesamten EG notfalls auch Militär zur Wahrung des Völkerrechts zu entsenden, weil sonst keinerlei internationale Rechtssicherheit mehr gewährleistet sei.

Eine schwierige Zeit für die Pazifisten - schon diese Bezeichnung galt plötzlich als anrüchig und wurde in der veröffentlichten Meinung gerne mit der "appeasement"-Politik von 1938 gegenüber Hitler verglichen. Zudem hatte sich PLO-Arafat - letzthin mehrfach wichtiger Ansprechpartner der italienischen Friedensbewegung - auf die Seite Iraks gestellt, und die neu hervorbrechende alt-linke anti-amerikanische und anti-imperialistische Argumentation trug eher zur Isolierung der Interventionsgegner bei. Zudem hatte es am Tag vor der Parlamentsdebatte einen fast unglaublichen faux-pas des Staatspräsidenten und des Regierungschefs gegeben: unvermutet wurde von Andreotti persönlich mitgeteilt (dem Staatspräsident Cossiga diese Nachricht anvertraut hatte), die vom Irak festgehaltenen italienischen Staatsbürger würden bedingungslos freigelassen - was sich dann als irakische Ente erwies, aber im Falle einer Bestätigung schwerlich eine kompakte Parlamentsmehrheit für die Truppenentsendung erlaubt hätte; eher hätte dies als eine Art Vorwegnahme des Waldheim-Besuchs im Irak gewirkt.

In der Zwischenzeit haben sich die Fronten konturiert und gefestigt: Liberale, Republikaner und Sozialisten fordern (mit der Rechten, die aber wenig Gewicht hat) stärkeres italienisches Engagement, Christdemokraten und Kommunisten wird "katho-kommunistische windelweiche Haltung" vorgeworfen. Und als Andreotti im Europa-Parlament namens der 12 EG-Regierungen einen Dialogkurs vorzeichnete (und sich im Grunde mehr der Position Gorbatschews als Bushs näherte) und eine euro-arabische Ministerkonferenz für Anfang Oktober in Venedig ankündigte, wurde er in Italien von der pro-atlantischen Lobby offen kritisiert (während EP-Mitglied Occhetto demonstrativ Beifall gespendet und der Schlußresolution zugestimmt hatte).

Nun wird sehr viel vom konkreten Gang der Dinge abhängen: die eher pro-amerikanische, ultra-atlantische Position (die es natürlich auch innerhalb der DC gibt) setzt auf eine Neuordnung des Weltgleichgewichts nach dem Ende des kalten Krieges, wo ausdrücklich und ohne Wenn und Aber die Industrienationen ihren Führungsanspruch durchsetzen; die nuanciertere, eher mittelmeer- und pro-arabisch-orientierte Position (die es auch bei den Sozialisten gibt), sucht in der EG einen autonomen Pol, der sich mit USA und UdSSR, aber auch mit dem Süden der Welt zwar gut versteht, aber eben nicht einfach mit der NATO identisch ist und sich weniger auf die wirtschaftliche und militärische Stärke als auf die Qualität der Kooperation verläßt. Welche Position Zukunft hat, wird sich schon bald am Golf entscheiden.
pro dialog