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Man spricht viel von Europa

1.11.1964, Aus: Offenes Wort, November 1964
Man spricht heute viel von Europa - manchmal vielleicht sogar zu viel. Und doch finde ich, daß die meisten Jugendlichen unserer Heimat viel zu wenig Interesse dafür haben. Die generische Behauptung, daß wir überzeugte Europäer sind, manchmal vielleicht das Lesen einer entsprechenden Zeitschrift (in den Schulstunden), einmal in den Abschlußklassen das "Europathema" und eventuell - im besten Fall - sogar noch irgendein Europa-Abzeichen im Knopfloch oder am Fahrzeug: das ist alles, was wir für Europa tun. Im übrigen warten wir geduldig, ob und wie sich die Dinge weiter entwickeln.

Was heißt Europa?

Was verstehen wir eigentlich unter "Europa"? Wenn wir so, wie hier davon sprechen, denken wir immer an irgendeine Art europäischen Zusammenschlusses. Wir wissen, daß Bestrebungen in Gang sind, aus den vielen europäischen Staaten ein einziges, vereinigtes Europa zu machen. Und wir sind leider meistens geistig zu faul, zu diesem Vorhaben irgendwie Stellung zu nehmen.

Was getan wurde

Vielleicht können wir uns unter dem Europa des Mittelalters etwas vorstellen: das Abendland. Dieser Begriff faßt soviel Gemeinsames in sich, als heute uns Europäer eigentlich aneinander bindet. Ohne Abendland, ja mehr noch, ohne christliches Abendland, wäre ein Europa heute nicht möglich. Wir können uns auf Beispiele in der Geschichte berufen - von Alexander des Großen (wenn wir unbedingt wollen) über Cäsar, Kaiser Karl des Großen, die Päpste bis zu Napoleon. Doch muß unser Europa anders aussehen. 1923 schrieb Graf Coudenhove-Calergi sein Buch "Paneuropa", das viel beachtet wurde; seit dort sind die eigentlichen Bemühungen um ein vereintes Europa entstanden. Die großen Staatsmänner Briand und Stresemann arbeiteten auf dieses Ziel hin, aber die Diktaturen unseres Jahrhunderts ließen ihre Bestrebungen scheitern. Nach dem Zweiten Weltkrieg, der Europa auseinandergerissen hat, besannen sich die Europäer endlich wieder auf ihr gemeinsames Kulturgut, auf die Einheitlichkeit des Abendlandes. Und aus wirtschaftlichen Gebilden (Montanunion, EWG, Hohe Behörde, usw.) wurden langsam auch Ansätze zu einer politischen Union. Man spricht heute schon von einem Europa der Sechs (Benelux, Frankreich, Deutschland und Italien) - und da beginnen die Polemiken. Wer sich näher dafür interessiert hat, weiß, welch umstrittene Stellung die zweifellos großen Europäer De Gaulle und Adenauer einnehmen, überhaupt wenn es sich um England handelt.

Und wir?

Ich glaube, wir können auf eine eingehender Behandlung der Frage, ob es ein Europa der "Vaterländer" (De Gaulle) oder ein Vaterland Europa sein soll, verzichten - das würde zu weit führen. Doch können wir ohne weiteres feststellen und mit Sicherheit behaupten, daß ein Europa, das einig sein soll, in erster Linie von den Europäern abhängt. Ohne Europäer kein Europa! Und hier eben die entscheidende Frage an uns: wollen wir überhaupt ein vereintes Europa? Wenn nein, warum dagegen? Und wenn ja, was tun wir dafür?

Die Jugend Europas

Im allgemeinen ist die Jugend Europas in ihrer ganz großen Überzahl föderalistisch eingestellt, das heißt, sie will einen Zusammenschluß. Und sie interessiert sich sehr für alle damit zusammenhängenden Probleme. Bei uns aber scheint mir oft, daß anders gedacht wird: ein vereintes Europa wird überhaupt nicht in Betracht gezogen oder weckt nur ganz schwaches Interesse, meist nur ein pessimistisch-mitleidiges Lächeln. Und das ist sehr schade! Denn gerade als Südtiroler sollten wir viel mehr für Europa übrig haben, denn in einem vereinten Europa erst werden die Probleme unserer Heimat ihre volle Lösung finden.

Nur die Jugend Europas wird einen Zusammenschluß herbeiführen, denn die Jugendlichen schließlich werden die Bevölkerung des zukünftigen Europa darstellen. Und solange die Jugend nicht europäisch denkt, wird Europa tatsächlich eine Illusion bleiben.

Unsere Haltung

Unsere Haltung zu Europa ist heute noch allzu oft durch überholte Einstellungen beeinflußt: durch Nationalismus, Interesselosigkeit, Verschlossenheit (wir haben zu wenig Interesse, Jugendliche anderer Völker kennenzulernen), Pessimismus und Abkehr. Dies alles müssen wir überwinden in einer neuen und offenen Zusage an dieses Europa, das unsere Heimat ist. Ich glaube, auch gerade der katholischen Jugend in unserem Lande und überhaupt in Italien muß der Vorwurf gemacht werden, daß sie für solche Fragen viel zu wenig übrig hat. Nehmen wir uns ein Beispiel an den jungen Christen aus Deutschland, Frankreich, Österreich, Holland usw.!

Wenn wir nicht wollen, daß aus einem freien und freiwilligen Europa ein erzwungenes wird, müssen wir uns auch da mehr einsetzen!
pro dialog