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Und wenn Ratzinger ein bissl Recht hätte?

25.5.2005, Tageszeitung 20.5.2005
„Wir befinden uns an der Schwelle zu einer vielleicht irreversiblen Verletzung aller natürlichen und biologischen Gleichgewichte. Vergleichbar jener durch die Atombombe.“

„Denkt an Alexander Langer!“ Der Patriarch von Venedig, Angelo Scola, ruft den Vater der Grünen in den Zeugenstand. Er bezieht sich auf ein Dokument zur Gen-Manipulation und Bioethik, das Langer 1987 mit unterzeichnet hatte und von Linken, Grünen und Feministinnen als „Ratzinger-Dokument“ verrissen wurde. Mit dem folgenden Artikel erklärte Langer daraufhin seine Position.

Von Alexander Langer

Ich bin einer der Unterzeichner – nicht der Autor – jenes Papiers, das jetzt so viel Staub aufgewirbelt hat unter Grünen, Frauen, Christen und Laizisten. Leider ist das Dokument in den Medien bis zur Unkenntlichkeit verstellt wiedergegeben worden: „Die Grünen mit Ratzinger“ steht da zu lesen; „der grüne Mann“ (in Kutte, wenn’s geht); oh, wohin wird dieses Gerede von der Bewahrung der Schöpfung noch führen! Alles wird enden in den vereinten Fängen von Faschisten, Vatikan und grünen Obskuranten. Wussten wir doch, dass die Abtreibungsgegner dort landen würden (mit Verlaub gefragt: Gibt’s eigentlich Abtreibungsbefürworter? Ich glaube nicht.) Eine weitere Enteignung der Frauen, diesmal durch Männer. Warum überlässt ihr diese Frage nicht den Frauen? Warum verbündet ihr euch nicht mit progressiven und freiheitlichen Bewegungen der Kirche statt ausgerechnet mit der Glaubenskongregation und der „Bewegung fürs Leben“? Solche Anwürfe erlee ich. „Grüner Ratzinger“ ist die neue Betitelung für all jene, die nicht genug links, feministisch, libertär und progressiv sind.
Noch einmal zum umstrittenen Dokument. Es wurde von einer Gruppe Florentiner Grüner ausgearbeitet, die ein gewisses Gespür haben für Zusammenarbeit mit der Kirche und deshalb von manchen für etwas „vor-modern“ gehalten werden. Drei Dinge vor allem kommen in dem Dokument zum Ausdruck.
1. Genugtuung über die vatikanische Verlautbarung (Ratzinger) über die Bioethik, insofern sie jede Art genetische Manipulation ablehnt (und nur davon ist die Rede!) und insofern sie weiters den Primat der Ethik vor der Wissenschaft und allen ihren Anwendungen vertritt.
2. Der Wunsch, dass sich das Engagement, das die katholische Amtskirche im Zusammenhang mit der menschlichen Gen-Manipulation beweist, auch auf die Welt der Tiere und der Pflanzen ausdehne.
3. Die Aufforderung an alle wissenschaftlichen und medizinischen Einrichtungen der Kirche, sich zu Verfechtern dieser Prinzipien zu machen und sie in den eigenen Strukturen anzuwenden (einschließlich der Aufforderung, auf Tierversuche zu verzichten).
Ich frage: Ist das Kapitulation vor Ratzinger? Heißt das, sich in Sachen Sexualität, Schutz des Lebens, Verteidigung einiger unüberschreitbaren Grenzen leichtfertig der katholischen Kirche zu unterwerfen?
Vielleicht hätten wir in unserem Papier genauer sagen sollen, wo und innerhalb welcher Grenzen wir Ratzinger zustimmen. Vielleicht hätten wir klarer hervorstreichen müssen, dass wir nicht Position beziehen wollten (und das auch nicht taten!) zu den komplexen Fragen der künstlichen Befruchtung und der Fortpflanzungstechnik. Darüber zu sprechen, sind tatsächlich die Frauen berufener und glaubwürdiger. Vielleicht auch hätten wir es bei dieser Gelegenheit nicht unterlassen dürfen, uns von der traditionellen Sexualmoral der Kirche zu distanzieren. Diese ist tatsächlich voller unverständlicher Haarspaltereien und Verbote (und das vatikanische Lehrschreiben ist grad bezüglich künstlicher Befruchtung und Fortpflanzungstechnik sehr von diesem Geist beherrscht).
Persönlich füge ich hinzu, dass ich entschieden ablehne, wie der Papst den Völkermord der Nazis mit der Abtreibung verglichen hat. Es darf keine Parallele geben zwischen der dramatischen, oft einsamen Entscheidung des Selbstschutzes (ob tatsächlichen oder vermeintlichen) einer Frau, die sich zu einer Abtreibung entschließt, und der systematischen, wissenschaftlichen Todesmaschinerie der Nazis. Jene Worte von Papst Wojtyla, ausgesprochen ohne jedes Mitleid, haben mich wahrhaft erschreckt und verletzt.
Aber auch für einen wie mich, der für die Straffreiheit und für die Entstaatlichung des freiwilligen Schwangerschaftsabbruchs war und weiterhin ist, ist es unmöglich, angesichts der Anzahl der Abtreibungen nicht zu erschrecken. Ich empfinde es als moralische Pflicht, alles zu unternehmen, damit Abtreibungen vermieden werden. Sie müssen vermieden werden genauso wie viele andere Entscheidungen, die gegen das Leben gerichtet sind. Deshalb darf aber kein Mensch kriminalisiert werden, am allerwenigsten die Frauen, die ihrer Entscheidung bereits einen unermesslich hohen Preis bezahlen.
Offen gesagt, glaubte ich mich in dieser Frage auf einer Linie mit den Frauenbewegungen. Zusammen mit der Forderung nach der (teilweisen) gesetzlichen Straffreiheit der Abtreibung ist immer festgehalten worden, dass Schwangerschaftsabbruch ethisch nie unproblematisch sein darf.
Zur Gen-Manipulation. Hier befinden wir uns an der Schwelle (und wahrscheinlich schon jenseits) einer höchst gefährlichen und vielleicht irreversiblen Verletzung aller natürlichen und biologischen Gleichgewichte. Vergleichbar jener durch die Atombombe oder noch schlimmer. Die Idee von der unbegrenzten technischen „Perfektionierbarkeit“ der Lebewesen, einschließlich der menschlichen, ist ihrer Verwirklichung näher als wir uns zugeben. Wenn wir glauben – so wie ich glaube -, dass wir diese Schwelle nicht übertreten dürfen, müssen wir alle Kräfte bündeln und auf diesen Kampf verwenden. Hier steht auch die Demokratie auf dem Spiel.
Die katholische Kirche und ihre Amtsträger haben ein entscheidendes Gewicht in diesem Zusammenhang. Ihre Sensibilität für den Schutz des Lebens und ihr Einfluss auf die Herzen der Menschen sowie auf viele Institutionen ist ein unvergleichlich wichtiger Besitzstand in diesem Kampf. Viele verstehen das nicht.
Soll man das Thema nicht anrühren, die Augen vor ihm verschließen, sich die Nase zuhalten, nur weil die gleiche Kirche Jahrhunderte lang Menschen unterdrückt und entmündigt hat, vor allem Frauen?
Ich glaube nicht. Und wie sehr ich mir auch wünschte, dass von der Kirche gewisse Zeichen der Reue und der Bekehrung kämen (so wie sie von uns allen kommen sollten: von der Linken, von den Männern, den Weißen und von allen, die eben Ursache zu einer Umkehr hätten), so wenig möchte ich die Chance des Dialogs und eines gemeinsamen Engagements vertun für Ziele, die wir teilen. Wenn der Papst sich gegen die Atombombe ausspricht und für Abrüstung, so wollen wir das positiv sehen. Unabhängig davon, ob jemand – so wie ich – gegen seine Reise nach Chile ist oder die Rücknahme von Reformen des Konzils bedauert.
Schade. Die Distanzierung von den „grünen Ratzinger-Freunden“ hat vom eigentlichen Anliegen, dem Kampf gegen die Gen-Manipulation, etwas abgelenkt. Aber vielleicht kann uns Ratzinger helfen. Vielleicht hilft er uns in unserem Bemühen, das Verbot der Gen-Manipulation auf Tiere und Pflanzen auszudehnen. Hoffen wir, dass nicht auch er dann, so wie wir, lieber von was anderm redet.

Übersetzt und bearbeitet von: Florian Kronbichler

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