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Das revolutionäre Christentum

1.11.1962, aus: Offenes Wort November 1962
Abgesehen von der allgemeinen Umwälzung in der Weltgeschichte, die das Christentum mit sich gebracht hat, birgt es auch in der Lehre, die Jesus Christus verkündet hat, derart umstürzende Sätze, daß es wohl der Mühe wert ist, einmal darüber nachzudenken.

Schon der oberste Grundsatz des Christentums, die unbedingte Gottesliebe und die sich daraus ergebende ebenso unbedingte Nächstenliebe stellte damals, im Uranfang des Christentums, zu Lebzeiten Jesu Christi, eine revolutionäre Neuheit dar. Bis dort war man auf der ganzen Welt (abgesehen von einigen gezählten Ausnahmemenschen) von der Ansicht durchdrungen, man müsse seine Freunde lieben, die Feinde hassen, und sich zu den übrigen Menschen möglichst indifferent verhalten. Und da kommt auf einmal Christus, der Messias, und fordert, auch die Feinde zu lieben, alle Menschen zu lieben. Denn nur die Freunde lieben - "Tun das nicht auch die Heiden?"

Ebenso stellt die Person Jesu Christi eine tiefgreifende Revolution dar. Jesus kommt in die Welt, als Sohn Gottes, um Wahrheit in die Welt zu bringen; aber nicht um Zeugnis zu geben für "irgendeine" Wahrheit, sondern für d i e Wahrheit. Er ist sich seiner Sendung wohl bewußt, und doch sagt er von sich: "Ich bin sanftmütig und demütig von Herzen." Also nicht stolz-erhaben! Gerade diesen Satz, und den Satz von der linken Backe, die wir auch noch hinhalten sollen (Mt 5,38ff), wollen viele nicht wahrhaben. - Christus weiß auch, daß ihm jederzeit Legionen von himmlischen Streitern zur Verfügung stünden, aber er ruft sie nicht. Er bestätigt sein Königtum vor Pilatus, läßt sich aber verspotten, geißeln und sogar anspucken. Er weiß sich sündelos, als einziger unter allen Anwesenden, und wirft dennoch keinen Stein auf die Ehebrecherin. Er hat alle Macht, seine Peiniger zu verderben, und bittet seinen Vater für sie um Vergebung. Und alles das als Sohn Gottes, als zweite göttliche Person, als Gott.

Man spricht da wohl mit Recht vom "Paradox des Christentums". Und doch ist das Christentum gar nicht so paradox, wie es scheinen mag, es ist nur unserer Mentalität so fremd. Auch heute noch, nach zweitausend Jahren seines Daseins. Denn wenn man tiefer sieht und konsequent die Lehre Christi durchdenkt, so finden alle seine paradox scheinenden Handlungen ihren logischen Platz im Gesetz, das Christus uns gegeben hat, im Gesetz der Liebe.

Revolutionär am Christentum ist vor allem auch der Rang, den die Armen, Schwachen und Unterdrückten einnehmen: Christus heiligt ihr Leben, indem er sich zu einem von ihnen macht.

Um ein einigermaßen entsprechendes Bild von der umwälzenden Größe des Christentums zu bekommen, schauen wir uns beispielsweise einmal das Magnificat an, den Lobpreis der Mutter Gottes. Wir hören da: "...respexit humilitatem ancillae suae: Ecce enim ex hoc beatam me dicent omnes generationes. - ... berücksichtigt hat er die Niedrigkeit seiner Magd: seht, darum werden mich glücklich preisen alle Geschlechter." (Maria weiß also, daß ihre Größe eben in jenem demütigen, ganz und gar vertrauensvollen "fiat" besteht). "Dispersit superbos - die Hochmütigen hat er zerstreut; deposuit potentes de sede et exaltavit humiles - Mächtige hat er vom Throne gestoßen, und Niedere erhöht: esurientes implevit bonis: et divites dimisit inanes - die Hungernden hat er mit Gaben erfüllt, und die Reichen ließ er leer ausgehen."

Einen ziemlich weiten Überblick über die umstürzenden Lehren Christi bietet die Bergpredigt, und zwar in besonderer Weise, wie mir schient, in der Fassung von Lukas (bes. 6, 28ff.)

Wenn wir nun diese wenigen Beispiele und die vielen anderen, die uns die Evangelien bringen, betrachten, so muß uns eigentlich erst bewußt werden, wie armselig wir das Christentum auffassen! Und wie sehr wir oft am Christentum vorbeigehen! Wie viele glauben doch, das Christentum bestehe im Sonntagskirchgang und eventuell in einigen Almosen! Aber was Christus verlangt, sind nicht diese scheinbaren Opfer und Dienstleistungen, sondern ist unser Leben und unsere ganze Persönlichkeit. Christus fordert nicht Behäbigkeit und Spießbürgerlichkeit, sondern Tat und Entscheidung. Ich glaube, wenn wir diese Auffassung vom Christentum so manchen Leuten vortragen wollen, so wären sie entsetzt von der Tragweite ihres Christentums. Aber wenn wir Christen sein wollen, müssen wir es ganz sein! Christus hat uns die Wahrheit und sein Evangelium nicht gebracht, daß wir ebenso unbekümmert um den Nächsten, ebenso unbekümmert um Gott und seine Wahrheit weiterschlafen, sondern damit wir in ihm als Christen leben. Das hat uns Christus gezeigt, als er durch seine Lehre die damalige Weltordnung, (die auch heute vielfach herrscht,) total umkehrte und dem Menschen das wahre Zentrum seines Lebens zeigte, das nicht der Mensch selbst und nicht sein Vorteil und nicht sein Genu ist, sondern einzig er, der das Recht hat, unser ganzes Leben für sich in Anspruch zu nehmen, nämlich Gott.

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