Alexander Langer Alexander Langer Schriften - Alexander Langer Südtirol - Alto Adige

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Meraner Hochschulwochen: Neue Grenzen?

1.7.1966, Aus: skolast Nr. 7-8
Anläßlich der Meraner Hochschulwochen, die heuer schon soviele Fragen aufgeworfen haben, veranstalteten einige Südtiroler Hochschüler (Siegfried Stuffer und ich) mit Gianni Lanziger und Sergio Dragogna eine Forumsdiskussion über "Möglichkeiten kultureller Begegnung zwischen den Volksgruppen in Südtirol".

Obwohl das Gespräch privaten Charakter trug, unterstützten die SH, der FUCI (ital. kath. Hochschuljugend) und der CUC (Circolo Universitario Cittadino) die Initiative, zu der Otto Saurer Begrüßungsworte sprach und Pepi Martiner für die ladinischen Hochschüler in die Diskussion eingriff. Die Veranstaltung war außerordentlich gut besucht und hinterließ in den meisten Teilnehmern den Wunsch nach ähnlichen solchen Anlässen zur Begegnung.

Bis hierher die Chronik: darüberhinaus aber muß einmal das Problem in sich gestellt werden. Und dazu will ich mir einige Gedanken machen.

Durch seine besondere Lage und durch die geschichtlichen Umstände befindet sich Südtirol heute in einer schwierigen und vielfach problematischen Wirklichkeit. Wir wissen, wie es dazu kam und wissen auch, wieviel Ungerechtigkeit, Gewalt, Haß, Nationalismus, Unfrieden, Unverständnis, Prestigesucht, Engstirnigkeit von allen Seiten dazu beigetragen haben, unsere Lage so zu machen, wie wir sie heute vorfinden. Doch ist es nicht genug, sich nach den Ursachen zu fragen, es ist auch nicht genug, auf Schuld und Fehler hinzuweisen und zu klagen.

Wesentlich schient mir dagegen, daß es uns allen gelingt, die "Zeichen der Zeit" zu sehen und zu verstehen, um auch in Südtirol unserer Realität nicht auszuweichen, sondern sie vollauf anzugehen und positiv zu lösen. Aus der Besonderheit unserer Lage lassen sich ja auch so viele positive Aspekte herausholen.

Natürlich wird das nicht möglich sein ,solange gegenseitiger Haß und Mißtrauen allein das Bild prägen, solange auch die junge Generation die Mentalität so vieler "alter (innerlich alter) Menschen" einfach kritiklos übernimmt und darin stecken bleibt. Die großen Themen der Menschheit heißen heute Menschlichkeit, Frieden, Verständigung, Dialog, Zusammenarbeit, Vertrauen. Ist es möglich, daß Südtirol davon unberührt bleiben kann?

Das heißt beileibe nicht, auf Gerechtigkeit zu verzichten und die Flinte ins Korn zu werfen. doch genügt die äußere Gerechtigkeit nicht, solange nicht auch innerlich entsprechende Reife vorhanden ist. Und so oft ist Verständigung erleichternde Voraussetzung für die Gerechtigkeit. Es liegt zum Teil auch an uns, das zu erreichen, was uns zusteht...

Etwas aber muß uns heute endlich klar werden, schient mir (und mag es für manche auch schmerzlich und unerwünscht sein): die neue Wirklichkeit in Südtirol verlangt es, daß wir nicht immer nur eine Volksgruppe im Auge haben, nur an die "Unseren" denken und das Dasein der "anderen" ignorieren. Es ist traurig, wenn man sieht, wie auf beiden Seiten die Politik, die Wirtschaft, das Recht, die Kultur und die Kulturpolitik, die Unterhaltung, die Arbeit, die Schule usw. immer nur in einseitiger Perspektive gesehen wird: jeder bringt das eigene Schiff in Trockene, mag der andere selbst zusehen. Dadurch versperren wir uns selbst die realistische Aussicht auf die Lage Südtirols und beschränken uns auf Teilansichten, die notwendig unvollkommen sind.

Natürlich wird es uns schwer falle, "neue Grenzen" zu suchen - die gar keine mehr sind, sondern verbinden - solange wir den Blick nur zurück richten. Dabei ist es gerade jetzt und gerade in Hinblick auf die neue politische Zukunft des Landes dringend notwendig, neue Inhalte aufzubauen und dafür zu sorgen, daß die juristischen Veränderungen nicht leere Strukturen bleiben. Hier muß nicht nur politischrechtliche, sondern vor allem menschliche Aufbauarbeit geleistet werden.

Dazu hat uns die Diskussion in Meran etwas gezeigt: wenn Gespräche über einzelne Sachgebiete auf fachlich zuständiger Ebene (Politik unter wirklichen Politikern, Recht unter Juristen, Kultur unter kulturell Interessierten usw.) geführt werden, lassen sich so viele unsachliche Argumente und Polemiken vermeiden, bleiben so viele Vorurteile aus dem Spiel. Vielleicht hat gerade in dieser Hinsicht die junge studierende Generation ein besonderes Wort mitzureden.

Auf vielen Ebenen schon und von verschiedenen Menschen werden in Südtirol seit mehreren Jahren konkrete Versuche unternommen, Gespräche und Begegnung herbeizuführen: denn es scheint auch in Südtirol die Zeit gekommen zu sein und immer mehr zu kommen, wo man statt nebeneinander miteinander leben wird. Und dies in voller gegenseitiger Achtung und ohne irgendwelche (auch nur moralische) Gewaltanwendung.

Das sind "neue Grenzen", die den Blick öffnen und den Horizont weiten, die große Möglichkeiten für Südtirol in sich tragen: "neue Grenze", die es zu sichern und zu bauen gilt, ohne vor Anschuldigungen und Sabotage Angst zu haben; "neue Grenzen", die es unserer Heimat erlauben, vollwertig in einem neuen Zeitalter des Friedens dazustehen und mitzubauen an immer weiteren und immer neuen "Grenzen".
pro dialog