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Josef Mayr-Nusser: Ein Südtiroler Märtyrer

1.1.1965, aus "Offenes Wort" Jänner 1965 und "Jugendwacht" 1968, Nr. 1.
Ihr sollt mir Zeugen sein bis an die Grenzen der Erde! (Apg. 1,8)

In letzter Zeit wurde häufig und erbittert über die Stellung der Kirche und der Katholiken im einzelnen zur Zeit des Nationalsozialismus diskutiert. Gott sei Dank ist in unserer Heimat diese Frage nicht so aktuell wie in machen anderen Ländern, doch können wir uns nicht von jeder Verantwortung freisprechen. Auch in unserer Heimat gab es das Problem der Stellungnahme zum Nationalsozialismus, zu seiner Ideologie und zu seinen Methoden. Manche Südtiroler haben darin vollkommen versagt, die meisten haben versucht, zu annehmbaren Kompromißlösungen zu gelangen, ohne radikale Entscheidungen treffen zu müssen, einige haben klare Ablehnung gewagt - und ganz wenige sind bis zum Heldentum vorgestoßen. Der Mann, von dem wir hier sprechen, hat das Martyrium gewählt - aus seiner christlichen Überzeugung heraus.

Sein Leben

Josef Mayr, gebürtig vom Nusserhof am Bozner-Boden (geb. am 27. Dezember 1910) kam aus einer tief religiösen Bauernfamilie. Er absolvierte die Handelsschule und wurde Beamter in Bozen. Im Jahre 1933 half er mit, unter den schwierigen politischen Bedingungen der damaligen Zeit, die Katholische Aktion aufzubauen. Er besaß jene umfassende und tiefgehende religiöse und menschliche Bildung, die es ihm ermöglichte, sich führenden Aufgaben in der katholischen Laienbewegung zu unterziehen. Er half mit, der Jugend, den Jungmännern echte Formung zu vermitteln. In der caritativen Tätigkeit für die Armen, in Gebet und Teilnahme am hl. Opfer, in Hilfsbereitschaft für alle fand sein Glaube die notwendige Entfaltung. - 1941 heiratete er und ging daran, eine Familie zu gründen, die aber nur kurz bestehen sollte (ein Sohn, Albert, wurde aus dieser Ehe geboren). Zur Zeit der Option blieb er seiner Heimat treu und entschied sich für Südtirol, obwohl die Wahl damals nicht leicht war. Doch als die deutschen Truppen Südtirol besetzten, zog man ihn - widerrechtlich und ohne vorherige Musterung - ein und transportierte ihn mit anderen 80 Südtirolern nach Konitz in Westpreußen (Polen). Dort wurde er gewaltsam der SS (der berüchtigten Truppe des Nazi-Regimes) zugeteilt. Doch schon im Ausbildungsunterricht erklärte er, daß die Grundsätze der SS nicht von einem Christen geteilt werden könnten. Er war bereit, in der normalen Wehrmacht zu dienen, doch keinesfalls in der SS. Religiöse Gründe führten ihn dazu, den Eid auf die SS zu verweigern. Im Oktober 1944, als der Krieg für Hitler praktisch schon verloren war, erfand man "Wehrdienstzersetzung" als Motiv für Josef Mayrs Eidesverweigerung. Er wurde ins SS-Gefängnis nach Danzig eingeliefert, doch scheint ihm nie der Prozeß gemacht worden zu sein. Da aber bald die Russen näherkamen, verfrachtete man ihn mit Strafgefangenen nach Dachau. Unterwegs blieb der Zug längere Zeit in Erlangen stehen: dort starb am 24. Februar 1945 - als der Krieg und damit die Diktatur schon fast beendet waren - Josef Mayr-Nusser. Manche glaubten, er sei von der SS erschossen worden, doch ergab die Untersuchung eines Universitätsinstitutes in Erlagen Hunger als Todesursache. Wie andere Glaubenszeugen vor ihm war Josef Mayr verhungert, um nicht Christus untreu zu werden.

Gewissensfrage

Josef Mayr hat den Eid auf die SS - nicht auf die Wehrmacht, die trotz allem das reguläre Heer darstellte - verweigert. Abgesehen davon, daß er gegen jedes persönliche und Völkerrecht zu jener Truppe eingezogen worden war, stellt sich die Frage, ob er dadurch eine Tat begangen hat, die vor dem Gewissen zu rechtfertigen ist oder nicht. Auflehnung gegen die rechtmäßige Autorität oder Verteidigung der persönlichen Gewissensfreiheit und berechtigte Weigerung, Verbrechen auszuführen? Die SS - wie der ganze Hitlerstaat - war (zumindest seit 1939) keine rechtmäßige Obrigkeit mehr. Und nach der christlichen Sittenlehre und dem Naturrecht muß sich jeder weigern, Verbrechen auszuführen.

Aus religiösen Gründen?

Manchmal wird bezweifelt, daß Josef Mayr aus religiösen Beweggründen handelte. Doch sowohl die Aussagen seiner Kameraden als auch seine eigenen Aussagen und Briefe bezeugen das klar. Der Nationalsozialismus war gegen Menschlichkeit, gegen göttliches und menschliches Recht, im einzelnen auch gegen das Christentum (obwohl nicht darin die letzte Rechtfertigung einer Gegnerschaft liegt!). Die SS im besonderen diente nicht den legitimen Interessen der Verteidigung eines Staates, sondern tatsächlich dem organisierten Verbrechen. Somit mußte ein ganzer Christ sich weigern, einer Truppe wie der SS beizutreten.

Und die anderen?

Das ist der schwere Vorwurf an so viele Christen: und die anderen? Was taten sie? Warum weigerte sich nur so selten jemand?

Ich glaube, die Kirche im ganzen und viele Katholiken im einzelnen müssen sich tatsächlich den schweren Vorwurf und die ehrliche Selbstanklage machen, die totalitären Systeme und ihre Verbrechen nicht genügend bekämpft zu haben, überhaupt soweit sie sich nicht direkt gegen die Kirche richteten. Diese Gewissenserforschung und Anklage bleibt auch uns nicht erspart, die wir das alles nicht erlebt haben: auch wir müssen - ehrlich! - Stellung beziehen und uns auch überlegen, ob wir in unserer Situation von heute immer den politisch-ethischen Anforderungen des Christentums entsprechen.

Zeugnis geben

Es bleibt uns aber auch nicht erspart, uns mit der Situation von damals auseinanderzusetzen: wir müssen davon wissen. Dann können wir uns mit einiger Berechtigung fragen, warum es wenig so mutige Menschen gab wie Josef Mayr-Nusser. Er hat tatsächlich den Auftrag Christi, vor allen Menschen für ihn Zeugnis abzulegen, ernst genommen und befolgt. Dieses ist sein Erbe an uns; und sooft wir an ihn denken oder seinen Grabstein in Lichtenstern am Ritten sehen, müssen wir wirklich versuchen, das Zeugnis Christi auch nur annähernd so ernst zu nehmen wie er, der dafür das Leben hingegeben hat.

Aus seinen Schriften:

"Um uns ist Dunkel. Das Dunkel des Unglaubens, der Gleichgültigkeit, der Verachtung, vielleicht der Verfolgung. Dabei sollen wir Zeugnis geben und durch das Licht Christi dieses Dunkel überwinden, trotz aller Angriffe, bei allem Ungehört- und Unbeachtetsein. - Zeugnis zu geben ist heute unsere einzige schlagkräftigste Waffe. Seltsam genug. Nicht Schwert, nicht Gewalt, nicht Geld, nicht einmal der Einfluß geistigen Könnens, geistiger Macht, nichts von alldem ist uns als unerläßlich geboten, um die Herrschaft Christi auf Erden aufzurichten. Etwas ganz Bescheidenes und doch Wichtigeres hat uns der Herr geboten: Zeugen zu sein ... Dies schlichte, einfache Sein. Das ist das größte Zeugnis."



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