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Bantustan Ladinien
1.2.1979, Aus: skolast Nr. 2-3, 1979
Was natürlich in keiner Zeitung stand: Magnagos erste öffentliche Erklärung nach seiner Wiederwahl als Landeshauptmann war (an mich gerichtet, nachdem ich im Landtag die Wahl des ladinischen Abgeordneten zum Assessor vorgeschlagen hatte): "Sie wissen ganz genau, daß ein Ladiner nicht in die Landesregierung gewählt werden kann, das wäre gegen das Autonomiestatut. Also ist Ihr Vorschlag billige Demagogie."War es Demagogie? Wenn ja, dann war sie konsequent: denn seit der ersten Sitzung des Regionalrates und des Landtags hatte ich bei jeder Gelegenheit darauf hingewiesen, daß unser absurdes Proporz- und Paket-Unwesen dazu führt, daß bestimmten Menschen wichtige Bürgerrechte genommen werden. Und um diesen Hinweis konkret zu machen, hatte ich bei jeder nur möglichen Gelegenheit die Wahl des Ladiners Valentin (unabhängig von seiner SVP-Parteizugehörigkeit) vorgeschlagen und für ihn gestimmt: in die Regional- und Landesregierung und in die parlamentarischen Präsidiumsämter (wo bei der Region auch die SVP diesen Vorschlag machte).
Als vier nicht eindeutig deutsch- oder italienischsprachige Südtiroler im letzten Herbst nicht kandidieren durften, gab es zwar Protest und Empörung, aber viele bogen alles durch das Argument ab: "jeder muß sich halt entscheiden, wo er hingehören will ... er kann es sich ja selbst aussuchen". Die Unreinheit ihres Bastarden-Status (siehe Elmar Lochers schöne "Versuch über den Schmutz" im letzen SKOLASTEN) konnte unter Umständen die Zweitklassigkeit ihres Bürgerdaseins noch erklären und rechtfertigen.
Aber die Ladiner? Ureinwohner unseres Landes, bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit als Beispiel zitiert, wie großzügig wir Tiroler es mit unseren Minderheiten hielten? Die kanonisch abgesegnete und statutarisch verankerte dritte Sprachgruppe des Landes?
Solange Ladiner-sein noch nicht feststellungspflichtig und proporzgeregelt war, konnte sich ein Alois Pupp als Landesvater und Landtagspräsident bestätigen, ohne im strikten Sinne vor dem Dilemma gestellt zu werden: "sich zum Ladinertum bekennen und isoliert werden oder bei einer größeren Gruppe Anschluß suchen müssen". Aber der gegenwärtige SVP-Parade-Ladiner Hugo Valentin hat sich bereits auf seinem Arbeitsplatz beim Landwirtschaftsinspektorat in Bruneck in die deutsche Volksgruppe "eingeschlichen" (dieser Ausdruck stammt auch von einem solchen Einschleicher, dem Herrn Sivius Magnago), weiland, vor der Einschleichung, wohl Sivio, und konnte trotzdem notariell beglaubigter Ladiner für dein Landtag werden. Dabei aber muß es nun auch bleiben, "mehr" darf und kann er nicht werden. Denn Ladiner dürfen nicht in die Regierung, nicht Präsident der parlamentarischen Gremien werden, nicht als Richter ans (vorderhand inexistente) Verwaltungsgericht - "nur" Bischof darf (und wird vielleicht?) ein Ladiner werden, solange der Proporz nicht auch auf die Kirche übergreift.
Das Exemplarische und Paradoxe am Ladiner-Sein in der Proporzgesellschaft ist nämlich das: eine der drei legal vorhandenen und offiziell vorgesehenen Volksgruppen Südtirols ("Sprachgruppen", laut Statut, aber "Volksgruppen" in der SVP-Praxis) befindet sich schon heute, wegen ihrer zahlenmäßigen Schwäche, dort, wo sich in Zukunft auch noch andere proporzlegale Gruppen befinden könnten und befinden werden: nämlich in einer Art "Bantustan" oder "Homeland". Das im Fall der Ladiner "zufällig" eine "naturgegebenen" Territorialcharakter hat. Bantustan nennt man die pseudo-unabhängigen "schwarzen" Staaten im weiß-dominierten Südafrika, wodurch die einzelnen Stämme eine Art beschränkter und territorial eingegrenzter Souveränität für die Erledigung ihrer eigenen Angelegenheiten erhalten - und sich im übrigen weder einmischen noch mischen dürfen. Und wo man bestimmte Rechte nicht als "Staatsbürger" (in unserem Fall: als Bürger des autonomen Landes Südtirol), sondern als Homeland-Bürger (in unserem Fall: als Bürger einer der drei legalen Sprachgruppen) wahrnehmen kann - und nur als solcher; wer in kein Bantustan hineinpaßt - weil er z. B. Mischling ist oder überhaupt eine "nicht vorgesehene" Hautfarbe aufweist -, kommt eben zu kurz und wird als Störer entfernt oder zur Anpassung gezwungen. (Es gibt sogar "großzügige" Rassisten, die bereit wären, die Einführung eines neuen Homelands für Mischlinge zu diskutieren...: Stichwort "vierte Sprachgruppe".) Je kleiner als Bantustan, desto geringer die Aussichten, ist ja klar. Wer als Ladiner den Kopf allzuweit über Pontives oder Zwischenwasser hinausstreckt, wird wenig Aussicht auf Sozialwohnung, Anstellung bei der öffentliche Verwaltung usw. haben - dafür ist der Ladiner in Ladinien König, wie der Baluba in seinem Bantustan. So sehr König, daß sogar Fremde, die etwa als Lehrer in die Täler kommen, die Kriegsfarben und Totems der Eingeborenen übernehmen müsse, um überhaupt unterrichten zu können.
Dabei sind die Ladiner - vielfach, ohne auch hier unerlaubt verallgemeinern zu wollen - viel toleranter und pluralistischer und weniger ethnozentrisch eingestellt als die meisten deutsch- und viele italienischsprachige Südtiroler. Schon deshalb, weil sie es seit Jahrhunderten gelernt habe, mit "anderen" zu tun zu haben, deren Sprache zu lernen (und neuerdings auch in der Schule mehrere Sprachen zu verwenden), mit ihnen Handel und Liebe zu treiben - und trotzdem als Ladiner nach Jahrhunderten noch vorhanden zu sein. Oder weil ihnen (bisher) eine "LVP" (ladinische Volkspartei), also eine völkische und korporative Sammelpartei der Ladiner als solche erspart blieb, und sie mit weniger volkstumspolitischem Wahn und weniger Kontaktangst leben.
Aber wartet nur, liebe Ladiner. Auch auf euch kommt sie zu - die "Endlösung" der Großen Volks(gruppen)zählung 1981, diese neue Option für die Südtiroler, bei der sich jedermann rechtskräftig und für die Dauer von mindestens zehn Jahren entscheiden wird müssen, ob er sich die "deutsche", "italienische" oder "ladinische" Volksgrupppenbürgerschaft zulegen will. Die Konsequenzen hat dann jeder selbst zu tragen. Verweigerung ist nicht gestattet. Der Schein wird zwar (nach bisher bekannten Vorstellungen) noch auf Papier ausgestellt und nicht in Form eines passenden (sternförmigen?) Abzeichens angeheftet, aber die Auswirkungen werden massiv sein. Staatenlose oder Angehörige meherer "Volksgruppen" werden nicht geduldet - bis heute. Und wem das ladinische Bantustan zu eng sein sollte, der wird sich halt auch in die größte und stärkste Gruppe "einschleichen": so wie gestern in die italienische, morgen in die deutsche (die Stimmenverschiebung zwischen DC und SVP nimmt diesen Prozeß schon vorweg). Ob das in so machen Familien Zwistigkeiten und Risse geben wird (in einer Familie wird es Ladiner, Deutsche und Italiener geben, wie in der Optionszeit Dableiber und Optanten), tut nichts, Hauptsache, der Proporz funktioniert, und dazu bracht es eine eindeutige Zählung und Feststellung.
Und wenn man sich zu mehr als einer Gruppe erklären könnte?
Vorderhand ein unerlaubter Traum. Ein Glück, daß es nur so wenig Ladiner gibt ... wenn sie sich nur nicht mit den Bastarden zusammentun.
Wie doch Minderheitenschutz ins Gegenteil ausarten kann: "uns Ladnier gibt's überhaupt erst durch die Volkszählung", meinte der SVP-Ladiner Valentin.
Hoffentlich sterben sie nicht an der gleichen Arznei wieder aus: das soll nämlich vorkommen, wenn man zuviel davon nimmt.