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Brief an Dr. Toni Ebner

1.1.1966, Aus: skolast Nr. 1-2, 1966
Als Antwort auf den Artikel "10 Jahre Tabu", sandte Siegfried Stuffer, der darin direkt angegriffen wurde, in eigener Sache einen ziemlich ironische Brief an die Leitung der "Dolomiten". Er wurde nicht veröffentlicht. Alexander Lange sandte ebenfalls am 23.1. eine Brief an die Direktion der Tageszeitung. Obwohl Langer fünfmal gedrängt hatte, er wolle den Brief veröffentlicht wissen und obwohl schließlich sogar der Verfasser des anonymen Artikels die sofortige Veröffentlichung versprochen hatte, wurde er nicht abgedruckt, so daß Langer am 22.2. darauf verzichtete. Daher bringen wir den Brief im "Skolasten".

(Die Redaktion)

Sehr geehrter Her Direktor!

Erlauben Sie mir, auf den Artikel "10 Jahre Tabu" aus Ihrer Nummer vom 20. Januar 1966 kurz einzugehen und zu erwidern.

Ich möchte dieser Stellungsname vorausschicken, daß sie von niemandem inspiriert oder angeregt wurde, also nur meine persönliche Meinung wiedergibt.

Mir tut es leid, daß manche Leute die Südtiroler Hochschülerschaft als geschlossene Kaste ansehen und es nicht wagen, zu den "internen Belangen" Stellung zu nehmen; wie Sie wissen, trat ich selbst mit einer eigenen Motion (die dann zurückgewiesen wurde) bei der Vollversammlung 1964 dagegen ein, allen Außenstehenden das Recht zu versagen, sich mit den Hochschülern Südtirols auseinanderzusetzen. Ich glaube nämlich daran, daß der Südtiroler Hochschüler eine besondere Pflicht und auch ein besonderes Recht dazu hat, die Fragen unserer Heimat zu durchdenken und zu besprechen, sei es intern in unserem Verband, sei es mit anderen. Aus dieser Pflicht und diesem Recht geht aber auch klar hervor, daß jeder nur seinem Gewissen gegenüber verantwortlich ist für die Meinungen und Ansichten, die er darüber ausdrückt. Deshalb kann man nie von der SH eine eigene politische Meinung oder Ausrichtung verlange, denn sie stellt ja nur einen Interessenverband dar; keineswegs ist sie (oder soll sie sein) eine Gemeinschaft gleichdenkender junger Menschen. Und aus ebendemselben Grunde behält sich jedes Mitglied das Recht vor, nur nach seinem Gewissen zu denken und zu handeln. Ich erkenne selbst an, daß die SH nur allzuoft in eine "splendid isolation" zu Südtiroler Bevölkerung und ihren Problemen gelebt hat, und ich bedauere das sehr. Doch muß ich auch sagen, daß man dies scheinbar im Lande von uns gerade so haben will; erst letztlich auf der Vollversammlung wies uns Assessor Zelger als Tätigkeitsbericht einzig die kulturelle Arbeit am Hochschulort, die Studientagung in Dietenheim und die Hochschulwochen in Meran zu. Wenn nur einige Südtiroler Hochschüler versuchen, sich selbst und unseren Verband (aber nicht als Ganzes gesehen!) aus dieser Lage herauszuführen, so greift man sie anonym in der Presse an. Denn ich glaube nicht, daß die Südtiroler Hochschüler "taktischen Vorteil" benötigen oder suchen. Ich glaube viel eher, daß sie eben aus ihrer Aufgabe heraus eine große Verantwortung unserem Volke gegenüber tragen: vor allem dem arbeitenden Mitmenschen gegenüber. Darum erhebe ich ausdrücklichen Einspruch gegen alle jene Ansichten, die den Südtiroler Hochschüler in ein Gebiet der Neutralität und politisch-sozialen Indifferenz verweisen möchten. Und ich glaube, daß in dieser unseren Teilnahme am öffentlichen Leben ein Schuß jener "notwendigerweise herrschenden Unerfahrenheit" gar nicht schlecht ist. Denn wenn man die tendenziöse und verzerrte Art, mit der in letzter Zeit so viele Polemiken in und um Südtirol geführt werden, als die notwendige Erfahrung hinstellen will, dann kann ich mich nur freuen, wenn es noch unerfahrene Menschen gibt. Schließlich hat gerade der Hochschüler durch seine bildungsmäßige Voraussetzungen (die ihn aber mitnichten über seine Mitmenschen hinaus erheben) eine tiefere und größere Verpflichtung der Objektivität und Unvoreingenommenheit gegenüber.

Dies alles vorausgeschickt kann ich wirklich beim besten Willen nicht verstehen, warum man uns verwehren will, einen Beitrag zur politischen Klärung in unserem Land zu geben und das Interview mit Dr. Jenny im Skolasten als Unvorsichtigkeit bezeichnet. Ich glaube, daß die freie Gegenüberstellung und Diskussion von Meinungen und Ideen ein wesentliches Kennzeichen der demokratischen Ordnung und freien Meinungsbildung und -äußerung darstellt. Gegenüberstellung kann auch Information blieben (wie es in jenem Interview der Fall ist), schließ also nicht notwendig eine Wertung mit ein. Darum kann ich wirklich nicht einsehe, warum denn der politische (oder ideologische) Gegner nicht auch gehört (und eventuell widerlegt) werden soll. Um so mehr bedauere ich es und tut es mir leid, daß gerade eine christliche Zeitung Mißdeutungen gestattet ("eine gewisse Gesinnungsaffinität"), die ohne weiteres vermeiden werden könnten. Sie wissen selbst, daß ich mich auch zur christlichen Weltanschauung bekenne (und es damit ernst meine). Gerade darum kann ich es mir nicht versagen, Ihnen diese meine Ansichten mitzuteilen.

Schließlich gestatte ich mir noch, zu einigen konkreten Behauptungen im anonymen Artikel "10 Jahre Tabu" Stellung zu nehmen. Vor allem das: Siegfried Stuffer, der die "Erklärung" unterschrieb, war damals Pressereferent der Südtiroler Hochschülerschaft, also sehe ich nicht, wie man ihm die Berechtigung absprechen will, eine Verantwortung zu übernehmen. Ferner kann ich nicht glauben, daß Stuffer mit diesem seinem Anliegen (nämlich der freien Gegenüberstellung auch verschiedener Ideen) allein steht. Ich möchte dazu klarstellen, daß ich mich bewußt zu jenen "einigen wenigen unterschwelligen Elementen" rechne und mich beim Verfasser des Artikels für diese Klassifizierung herzlich bedanke. Wie kann nur eine ausgesprochenen und erklärt christliche Zeitung ihre Polemiken in solcher Weise führen?

Ich hoffe, daß dieses Schreiben beitragen kann, eine Klärung herbeizuführen. Zusammenfassend möchte ich Ihnen nochmals meine Anliegen vorstellen:

. Vermeiden wir es, die Polemiken in Südtirol in nicht objektiver und tendenziöser Weise (womöglich auch ohne Namen) zu führen.

. Es sollte versucht werden, die Hochschülerschaft als das zu sehen, was sie ist: eine Interessengemeinschaft; schieben wir ihr also nicht politische oder ideologische Ausrichtungen unter, die sie gar nicht haben kann.

. Man möge dem Südtiroler Hochschüler (und ebenso jedem anderen Menschen) das Recht der freien Meinungsäußerung und Diskussion nicht mindern oder absprechen. Unsere Verantwortung drängt uns noch in besonderer Weise dazu.

. Persönlich beleidigende Beiworte schaden dem echten Anliegen jeder aufrichtigen Klärung.

Sehr geehrter Herr Direktor, Sie wisse, daß ich in dieser Stellungnahme von keiner persönlichen Animosität gedrängt bin und auch dem Verfasser des Artikels persönlich keineswegs feindlich gesinnt bin. Doch mußte einmal gesagt werden, daß eine frei Gegenüberstellung in ehrlicher Absicht niemandem schaden kann, sondern nur nütze (auch wenn sie uns mit einem Gegner zusammenführt). Und schließlich möchte ich dazu beitragen, daß gewisse Vorurteile nicht weiterhin manche Probleme in unserer Heimat trüben und unnötig belasten.

Ich bitte Sie darum herzlich, diesen Artikel veröffentliche zu wollen. Zugleich teile ich Ihnen mit, daß eine Kopie davon an die Redaktion des "Skolasten" gesandt wurde.

Mit aufrichtigem Gruß

Alexander Langer
pro dialog