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Paket in sicht?

1.12.1968, Aus: die brücke Nr. 14, Dezember 1968
Es scheint nun immer deutlicher, als würde demnächst das schon seit langem bereitete und verpackte "Paket" endlich auch abgesandt. Die Verhandlungen darüber scheinen nun mehr oder weniger abgeschlossen zu sein und auch die Außenminister Italiens und Österreichs haben wohl die wesentlichen Fragen schon miteinander abgeklärt.

Aus diesem Grund mag es an der Zeit sein, ein Wort zur ganzen "Paket"-Angelegenheit zu sprechen und eine mögliche Haltung zu dieser Frage zu erörtern.

Höchste Zeit, wenn nicht schon zu spät

Vor allem werden sich wohl alle einig sein, daß es höchste Zeit ist, daß die Frage endlich gelöst wird: die Südtiroler aller Sprachgruppen können nicht länger dem scheinbar endlosen Spiel der Diplomaten, Experten, Botschafter, Partei-Ausschüssen, Minister, usw. zusehen, das auf ihrer geduldigen Haut bisher ausgetragen wurde. Was durch die dauernden Verzögerungen erreicht wurde, ist nun selbst den verkalktesten Bürokraten in Rom, Trient, Bozen, Innsbruck und Wien langsam klar geworden (obwohl es meist ja gerade ihren Absichten entspricht): die Fronten in Südtirol haben sich entweder verhärtet oder die Leute flüchten sich in unpolitische Gefilde, und haben die ganze Frage satt; in Südtirol selbst kann schon jahrelang kein Argument wirkungsvoll aufgegriffen werden, weil man ja warten muß, bis das "Paket" kommt und inzwischen nichts geschehen darf, um den "Status quo" für die Verhandlungen nicht zu verändern oder das "Nachher" zu beeinträchtigen; man erhofft sich von gewissen Seiten fast einen paradiesischen Wunderzustand für die zeit "nach dem Paket" und wird somit schwere Enttäuschungen in Kauf nehmen müssen; in der Zwischenzeit sind immer mehr junge Kräfte der unhaltbaren Lage müde geworden und ausgewandert (nach Bundesdeutschland, Österreich, Schweiz und Italien) und vor allem wurde fast sämtliche politische Spannkraft jahrelang vielfach auf Spiegelfechtereien verschwendet: indem man die ganze "Paket"-Sache so komplizierte Wege gehen ließ, wollte man eine politische Bewußtwerdung in anderen Fragen und in mehr eigentlich politischen Anliegen verhindern, was auch in weiten Kreisen gelungen ist. Darum ist es wirklich an der Zeit, daß die Autonomie-Frage gelöst wird.

Ungenügendes Stückwerk, aber notwendiges Übel

Es hat nun aber wenig Sinn, über theoretisch mögliche Lösungen des Südtirolproblems zu diskutieren, da eben einmal ein schon fast fertiger Vorschlag vorliegt und alle Aussicht hat, auch tatsächlich (mit mehr oder weniger Änderungen?) verwirklicht zu werden. Wie dieser Vorschlag ("Paket") aussieht, ist in großen Zügen bekannt, im einzelnen aber geheim: die beiden Provinzen, Bozen und Trient, der gegenwärtigen Region Trentino-Südtirol sollen eine erheblich erweiterte Autonomie bekommen (mit Befugnissen, die z. T. bisher der Region zustanden, z. T. auch neu eingeführt werden), während die Region als Rahmen zwar bestehen und mit gewissen Kompetenzen ausgerüstet bleiben soll, aber an politischem Gewicht und an Vormundschaftsgewalt über die beiden Provinzen abnehmen wird. Zu diesem "Paket" nun, das vor allem zwischen der SVP, der DC (Bozen, Trient und Rom), den Experten der italienischen Diplomatie und Ministerialbürokratie (besonders des Außenministeriums) und den österreichischen "Südtirolsachverständigen" und Ministerialbeamten ausgehandelt wurde. Wir können natürlich hier nicht auf seine Geschichte und Vorgeschichte ("lex Tinzl", 19-Kommission, usw.) zurückkommen, aber darüber gibt es ja einige Literatur.

Was hervorgehoben werden soll, ist einmal der Umstand, daß "das Paket" jedenfalls nur eine sehr unvollkommene Lösung der Südtirolfrage bringen wird und bringen kann.

1. Das "Paket" kommt zu spät. Einige der Folgen, die sich daraus ergeben, wurden schon kurz erwähnt.

2. Das "Paket" vermag sich nicht vom Bild des "Status quo", der bestehenden verklemmten Situation in Südtirol zu lösen und neue Wege aufzuzeigen oder auch nur möglich zu machen. Sowohl was die psychologischen und politischen Grundlagen, als auch die vorgesehenen Rechtsmittel (vgl. z. B. auf dem Gebiet der Gesetzgebung: Abstimmung nach Volksgruppen, wenn verlangt, u. dgl.) angeht, gründen sie sich alle auf jenes Bild der Verhärtung und Versteifung, das in Südtirol durch die bestehende Lage entstanden ist, und das nun scheinbar weiterhin mitgeschleppt werden soll. Auch die relative Überbewertung von nationalen Problemen liegt in dieser Richtung.

3. Die vorgesehene Autonomie ist jedenfalls nur eine Kompromißlösung, und bietet kaum irgendwelchen neuen "Raum" an Freiheit und Demokratie. Praktisch sieht die vom "Paket" vorgesehene Lösung eigentlich mehr wie eine Absicherung der Südtiroler (d. h. vor allem ihrer Machthaber) gegen den Staat, der beiden Volksgruppen gegeneinander, und der Mächtigen innerhalb jeder Gruppe gegen das eigene Volk aus, und nicht wie eine Lösung durch unmittelbarere demokratische Teilnahme und Mitbestimmung aller am politischen Geschehen. Aber das wollte man ja gar nicht: der Kampf ging vor allem um nationale Werte und um Macht (beiderseits), nicht um Demokratie. Deshalb paßt die undemokratische Entstehungsgeschichte eigentlich recht gut zum Inhalt des "Pakets".

4. Vom Gesichtspunkt einer funktionellen Ordnung der öffentlichen Macht in Land und Region muß man sagen, daß es bestimmt keine ideale Lösung ist, wenn man versucht, das bestehende System (Region und Provinzen, nach dem Statut von 1948) so zu forcieren, daß es irgendwie doch den Wünschen der Südtiroler entspricht und sich andererseits selbst nicht ganz verleugnet. Wieder einmal zeigte sich, wohin diese Art von Reformwillen führt, der glaubt, durch eine genügende Anzahl von (qualitativen) Verbesserungen zu einer (qualitativen) Änderung zu kommen.

5. Im übrigen - und das ist eigentlich der Haupteinwand - ist es klar, daß es eine ganz gefährliche Illusion wäre, nun zu glauben, durch eine rechtliche Neukonstruktion, oder eigentlich mehr durch einen Umbau des Bisherigen, würden die Probleme um Südtirol gelöst. Daß man jahrelang eine Lösung vor allem unter dem Gesichtspunkt der Institutionen suchte und dabei die gesellschaftlichen Voraussetzungen dieser Überstrukturen außer acht ließ, wird noch einmal schwer auf allen lasten. Deshalb muß das "Paket" jetzt schon, noch bevor es da ist, "entmythologisiert" werden und als nicht mehr verstanden werden denn als ein rechtliches Hilfsmittel, das aber noch ganz andere Voraussetzungen erfordert, um die Probleme Südtirols annehmbar lösen zu können. (Das soll nicht heißen, daß Strukturreformen nicht ihre ganz große Bedeutung hätten oder es letztlich doch nur auf den "guten Willen" ankäme: nur handelt es sich hier um einen bewußt in das Vakuum hineingestellten Überbau ohne gesellschaftliche Grundlage, bzw. mit einer höchst unbefriedigenden Grundlage, bei der man den Überbau erhalten will.)

Die Lage ist nun kaum mehr zu ändern

Nach so negativen Urteilen wird es vielleicht verwundern, wenn wir uns trotzdem grundsätzlich für das

"Paket" aussprechen. Wir tun das aus Verantwortungsbewußtsein, weil eine endliche Überwindung der ganzen "Paket"-Angelegenheit heute in Südtirol die notwendige Vorbedingung ist, um endlich auf andere Fragen zu sprechen zu kommen und die eigentlichen Probleme anzugehen.

Es handelt sich also um ein kleineres und somit notwendiges Übel, das angesichts der gegenwärtigen politischen Lage nicht vermeidbar oder nicht mit Vorteil vermeidbar scheint. Andererseits muß endlich aus dem politischen Leben Südtirols das Alibi verschwinden, man könne nichts tun, weil zuerst die Autonomiefrage gelöst werden müsse. Um die Unbeweglichkeit in Südtirol zu überwinden, muß diese Phase des ständigen Abwartens und Hinauszögerns endlich überwunden werden: insofern richtet sich unser Appell an alle demokratischen Kräfte - besonders an jenen Stellen, wo entschieden wird (sollten sich dort demokratische Kräfte befinden...) - damit sie endlich einen klaren Abschluß herbeiführen.

Nun wissen wir natürlich, daß einem Abschluß gewisse Schwierigkeiten entgegenstehen, besonders was die sog. internationale Verankerung betrifft. Dazu ist es wohl angebracht, ein Wort zu sagen, doch nicht auf diesen Aspekt beschränkt.

Wenn oben von dem unveränderten "Status quo" und vom Fehlen eines demokratischen Gesellschaftsbildes die Rede war, so ist es klar, daß an gewissen Paradebeispielen diese Elemente besonders deutlich hervortreten. Eines dieser Beispiele ist die gesamte Frage der Garantien und Rückversicherungen, die das "Paket" vorsieht.

Dazu muß man sich vergegenwärtigen, daß jahrelange schlechte Erfahrung auf beiden Seiten voranging: auf südtiroler Seite stand man dem völligen Unverständnis und der völligen Abneigung des italienischen Staates gegenüber Autonomie im allgemeinen und nationalen Sonderinteressen einer Minderheit im einzelnen gegenüber, und glaubte somit (auch wegen des eigenen Unvermögens, Eingang in den Mechanismus der italienischen politischen und parlamentarischen Praxis zu finden), sich am besten durch eine starke Anlehnung an Österreich zu sichern. Was dabei herauskam, haben wir jahrelang, bis heute, am eigenen Leibe erlebt: von Italien her mißtraute man allen Südtiroler Bemühungen und sah darin letztlich "Anschluß"tendenzen, und in bezug auf die Verhandlungen über die Autonomie wurde eine zwischenstaatliche Ebene beschritten, die notwendig zu Geheimverhandlungen, traditionell undemokratischer Diplomatie und gegenseitigem Mißtrauen führen mußte und vor allem dem Anliegen der Südtiroler vielfach den Anstrich einer gerechten und demokratischen Forderung nahmen, da es sich mehr um eine Angelegenheit zweier Staaten zu handeln schien. Umgekehrt - und parallel zum schweren Versagen der italienischen Regierungen und Behörden, sowie fast aller Parteien - haben die südtiroler Vertreter auch bedenklich verantwortungslos gehandelt, als sie (schon seit dem Scelba-Memorandum 1954 und dem Tinzl-Ebner-Entwurf 1958) einen Weg beschritten, der den Italienern wirklich das Gefühl geben mußte, man wolle Apartheid betreiben und vor allem die in Südtirol ansässigen Italiener bald wieder hinaus grausen. Von den zahlreichen anderen Fehlern, die auf beiden Seiten so lange gemacht wurden (besonders, indem es gelang, die Interessen der Mächtigen auf beiden Seiten als die Interessen des Volkes hinzustellen), soll nicht weiter die Rede sein.

Daß unter solchen Umständen beide Seiten ihre Garantien und Rückversicherungen wollen (die durchaus in der Logik des einmal beschrittenen Weges liegen), ob sie nun Veto-Recht oder internationale Verankerung heißen mögen, kann uns nicht wundern. Auszubaden haben es diejenigen, die einen solchen Weg eingeschlagen haben. Wir glauben, daß ein demokratisches Zusammenlegen in Freiheit und gegenseitiger Achtung, in Brüderlichkeit und unter Wahrung der Rechte aller, auch ohne die letztlich unfruchtbaren und vor allem undemokratischen Garantien dieser Art möglich sein muß und möglich ist, wenn man beginnt, endlich auf einer anderen Ebene zu arbeiten, sich an die demokratische und politische Reife der Menschen Südtirols zu wenden und Südtirol aus der Hand all derer zu befreien, die es bisher bevormundet haben und die im "Paket" vielleicht glauben, ein neues Werkzeug zur Erreichung eines alten Ziels gefunden zu haben.

Darum gilt es jetzt, sich dafür einzusetzen, daß das "Paket" (sobald es einmal "gewährt" wird, was ja vom Volke scheinbar zu allerletzt abhängt) nicht von jenen verwaltet und ausgeführt wird, die bisher des Volkes Vormundschaft in ganz Südtirol und darüber hinaus geführt haben, sondern in möglichst direkter Regie die Menschen in Südtirol ihre Geschichte und ihr Schicksal in die Hand nehmen.

Das wird die beste Garantie sein, daß endlich
pro dialog