Alexander Langer Alexander Langer Schriften - Alexander Langer Südtirol - Alto Adige

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Zum Terrorismus: Istitutionalisierte Polarisierung

1.9.1988, HSG. 1988
Ich möchte für den Fall Südtirol in Bezug auf illegale Gewaltanwendung zwei große Phasen ansetzen. Die erste Phase A möchte ich nennen: die Phase des "Los von Trient". Die Phase würde ich in der Zeit von 1956 bis 1967 lokalisieren, d.h. von den ersten relativ harmlosen Anschlägen in der zweiten Hälfte der 50er Jahre bis zu den letzten Attentaten jener Periode, im Jahre 1967.

Dann möchte ich eine zweite große Phase B ansetzen, nämlich die der Vorfälle, die ich als "Anti-Paket-Gewaltaktionen" bezeichnen möchte (ab 1978). Diese können von zwei Seiten kommen: Einmal von denen, die sagen, daß das "Süstirol-Paket" ein Betrug gegenüber den deutschsprachigen Südtirolern war, und zweitens von jenen, die denken, das "Paket" habe die Italiener in eine untragbare Situation gebracht. Beide Phasen lassen sich weiter unterteilen.

1956-1960 sind die ersten großen Ansätze unternommen worden, Südtirol - so hat damals ein Buchtitel geheißen - als eine "Frage des europäischen Gewissens" bewußt zu machen und die Weltöffentlichkeit in irgendeiner Weise auf Südtirol hinzuweisen. Ich selber war damals noch sehr jung, aber ich kann mich gut erinnern, wie entlang der Brennerstraße zwischen Brenner und Innsbruck etwa zu lesen war: "Südtirol - Zypern", "Südtirol vor die UNO", "Südtirol - Algerien". Auch in Südtirol hat man gesagt: "Was für die 'Kongoneger' recht ist, muß für die Südtiroler billig sein...." und ähnliche Dinge.

Damals kam es zu kleineren demonstrativen Anschlägen. Ich würde sagen, daß damals noch ein Großteil der Anschläge heimisch und auf eigenem Mist gewachsen war. Das Ganze hat dann insbesondere 1959 in Zusammenhang mit den Andreas-Hofer-Feiern (150 Jahre) eine gewisse ideologische Verbrämung bekommen. Man hat die Volk-in-Not-Stimmung und die Atmosphäre des Freiheitskampfes 1809 auf die Gegenwart übertragen, hat Schützenkompanien aufgebaut u.ä., was jedenfalls auf deutschsprachiger Südtiroler Seite ein Klima erzeugt hat, das nicht nur durch den Bezug auf Algerien und die zeitgenössischen Freiheitskämpfe geprägt war, sondern von dem verstärkten Bewußtsein einer eigenen Tradition des bewaffneten Widerstandes gegen Besatzer. Man muß die österreichische Außenpolitik von damals und die Befassung der UNO mit Südtirol dabei im Hintergrund mitdenken; es wurde ein Klima geschaffen, in dem der Unrechtsfall Südtirol, und das war es sicher, in das allgemeine Bewußtsein gerückt werden konnte. Die kleinen Attentate waren zwar sicher nicht das wichtigste daran, aber sie haben in die Richtung gewirkt.

Der zweite Fall dieser Phase A konzentriert sich auf das Jahr 1961: die Phase des "Freiheitskampfes". Meine Vorrednnerin hat darüber so ausführlich gesprochen, daß ich nicht noch einmal im einzelnen darauf eingehen muß. Sie hat auch hervorgehoben, daß die Intention der Täter damals vorwiegend darauf abzielte, Sachschaden anzurichten. Bezeichnenderweise waren die Hauptziele der Attentate meist Elektromasten und -leitungen, womit auch irgendwie zu Ausdruck gebracht werden sollte: "Italien, die italienische Industrie, raubt uns die kostbare Wasserkraft unseres Landes, wir stoppen diese Verarmung, wir setzen uns zur Wehr, wir sind nicht mehr bereit, an Italien unsere Wasserkraft abzugeben und uns so auch ökonomisch ausbeuten zu lassen." Dazu kommen Attentate auf Symbole, z.B. das Reiterstandbild von Mussolini u.ä., wo die Botschaft sowieso recht deutlich war.

Diese Anschläge wurden damals sicher von Einheimischen verübt, und es hat eindeutig ein soziales Element mitgespielt. Die deutschsprachigen Südtiroler hatten zu jener Zeit den Anschluß an die "Modernisierung" aus vielen Gründen verpaßt, an denen allerdings nicht nur Italien schuld war. Viele Südtiroler, insbesondere Jugendliche aus bäuerlichen Familien und kleineren Gewerbebetrieben auf dem Land, die also aus der alten gewerblichen Struktur kamen, konnten den Zugang zu den verfügbaren Beamtenstellen nicht finden, weil sie teilweise die nötige Schulbildung nicht hatten und man damals auch die Prüfungen in Italienisch ablegen mußte. Offene Diskriminierungen hat es zwar auch gegeben, doch fallen die wohl weniger ins Gewicht als die mangelnden Bildungsvoraussetzungen und die Tatsache, daß außerdem noch die sowieso nicht sehr zahlreichen Industriearbeitsplätze, die es in Südtirol gab, in den Händen der italienischen Industriearbeiter waren, die in den 15-20 Jahren vorher eingewandert waren und für die man die Fabriken gegründet hatte. Auch in den Kraftwerken und bei der Eisenbahn hatte man größtenteils Italiener eingestellt.

Ich möchte dieses soziale Element nicht unterbewerten. Es zeigt sich auch in dem Zorn der "Bumser", wie man sie nannte, gegen die eigenen Städter und die eigene Oberschicht. Als Reaktion gegen diesen Ausbruch kam es zur Formierung der Strömung "AUFBAU" in der SVP, der bürgerlich-katholischen Richtung, die das ganze wieder bremsen sollte. Die radikaleren Südtiroler dachten etwa so über den "AUFBAU": "Ja, die sitzen in der Stadt, die haben sich mit den Italienern arrangiert, denen geht es gut dabei, aber wir sind die armen Schweine, die keine Arbeit finden und nach Baden-Württemberg, Bayern, die Schweiz ... auswandern müssen." Das sollte man nicht übersehen.

Es hat diesen Attentaten der ersten Phase gegenüber eine deutliche Sympathie von Seiten der deutschsprachigen Bevölkerung gegeben. Ich war damals am Gymnasium und kann mich noch gut an die Stimmung und an die Diskussionen erinnern. Auch in Österreich war Sympatie spürbar, in der Presse, aber nicht nur dort, auch darüber hinaus; auch eine gewisse "logistische Sympathie" würde ich sagen, um nicht deutlicher werden zu müssen. Die gleichzeitige UNO-Befassung mit Südtirol gab dem Ganzen eine noch größere Legitimität.

Die dritte Phase für den Abschnitt A möchte ich für die Jahre von 1962 bis 1967 ansetzen. Es hat mir ganz gut gefallen, wie Frau Hofrat Stadlmayer gesagt hat: "Es wird dann recht undurchsichtig." Z.T. wird es nämlich "bräunlich", etliche Nazikräfte spielen da sicher mit; z.T. wird es wohl auch "grün-weiß-rot", d.h. auch Kräfte der italienischen Sicherheitsabwehr, der Geheimdienste usw. mischen sich ein... kurz, es wird weitgehend undurchsichtig. Es gibt zwar auch einheimische Südtiroler, die daran teilnehmen, doch die Regie entgleitet immer mehr in andere, z.T. vielleicht untereinander konkurrierende und nicht mehr leicht durchschaubare Hände. Es wird auch entsprechend blutiger. Gleichzeitig hat die schon angesprochene Wende zum "AUFBAU" begonnen, d.h. es hat die formierte, moderate öffentliche Meinung gegeben, der damals auch die Zeitung "Dolomiten" zurechnen war. Obwohl sie vorher den Weg in die Attentate in gewissem Sinn mitgetragen, das Feld dafür vorbereitet und eine erkennbare Sympathie dafür gezeigt hatte, hat sie doch später dazu beigetragen, die gemäßigten Positionen unters Volk zu bringen; und eine Monopolzeitung hat natürlich einen großen Einfluß auf die öffentliche Meinung. Auch die Kirche war wesentlich an den Bemühungen an die De-Eskalierung und Rückführung zu moderaten Positionen beteiligt. Die Attentate der neuen Reihe richten sich nicht mehr v.a. gegen Elektromasten, sondern (nicht nur in Südtirol übrigens) gegen Kasernen, Militäranlagen, Bahnhöfe und dergleichen. Dabei sind Menschen bewußt in Gefahr und z.T. auch ums Leben gebracht worden. Ich schließe mich da im großen und ganzen dem Urteil meiner Vorrednerin an, daß in dieser Phase die Attentate Politik nicht so sehr gemacht als z.T. verhindert haben. Sie haben übrigens regelmäßig kurz vor Außenministertreffen oder anderen wichtigen Verhandlungen stattgefunden. Sie haben Politik insofern verhindert, als sich in Italien, auch in der demokratischen Presse und öffentlichen Meinung, häufig eine Position durchgesetzt hat, wo man sagte: "Zuerst müßt ihr mit den Attentaten aufhören, dann kann man verhandeln."

Das hört man übrigens häufig: zuerst muß die Gewalt, muß der Streik, müssen die Attentate oder was immer aufhören, erst dann kann man verhandeln. Ich habe damals begonnen, in italienischen Zeitungen zu schreiben. Leute wie ich, leider hat es nicht sehr viele gegeben, haben versucht, der öffentlichen italienischen Meinung zu erklären, daß es sinnlos sei zu verlangen, die Attentate müßten aufhören, erstens weil niemand sie direkt beeinflussen konnte und dann weil z.T. die Attentate ihren Nährboden genau in der Situation der Unbefriedigung und der Illegalität gefunden haben. In Diskussionen in Italien (ich war damals 20-21) habe ich das Argument gebraucht: man kann auch in Sardinien nicht sagen, zuerst muß das Banditentum aufhören, dann lösen wir die Probleme Sardiniens, weil ja die ungelösten Probleme das Banditentum z.T. erst hervorgebracht haben (ohne das einfach als mechanische Konsequenz darstellen zu wollen).

Abschließend möchte ich zu dieser Phase sagen, daß es zweifellos so war, daß insgesamt die Attentate der Los-von-Trient-Phase wohl leider wesentlich zur Durchsetzung der Autonomiepolitik beigetragen haben. Ich sage "leider", weil es die Südtiroler Demokratie doch negativ beeinflußt hat, daß sie so stark von Gewaltanwendungen geprägt und beeinflußt wurde. Ich sage außerdem "leider", weil es für das demokratische Italien kein gutes Zeugnis ist, daß zuerst durch eine Phase bewaffneter Aktionen die Einlösung von Rechten, Versprechungen und Verpflichtungen herbeigeführt wurde. Ich halte es aber für eine Verkürzung der Situation, die manchmal von deutschsprachiger Seite vorgenommen wird, wenn man sagt: das Paket, die Autonomie haben wir, weil es die Attentate gegeben hat. Das stimmt halt auch nicht ganz. Denn wenn damals in Italien nicht ein bestimmter Demokratisierungsprozeß stattgefunden hätte, Mitte-Links-Regierung genannt, wenn es nicht eine - in Sachen Südtirol allerdings nicht immer sehr wachsame - demokratische öffentliche Meinung gegeben hätte, wenn Österreich, die UNO und alle möglichen anderen Dinge nicht gewesen wären, dann wäre es wohl kaum zu dem "Paket" gekommen; denn der "Freiheitskampf" war weder militärisch noch politisch genügend handfest, um von sich aus diese Ergebnisse zu erzielen.

Festhalten sollte man hier vielleicht die Unfähigkeit vieler italienischer Demokraten und der Presse, auf Südtirol einzugehen und das, was dort passiert, als einen Aspekt der Demokratie der italienischen Republik zu begreifen und sich entsprechend zu verhalten. Dazu hat allerdings auch beigetragen, daß man auf Südtiroler Seite sehr wenig Bereitschaft gezeigt hat, sich an die Demokraten in Italien zu richten. Man hat sich praktisch immer nur an die konservativ-zentralistische Democrazia Cristiana gehalten. Außerdem war es im damaligen Klima vielleicht nicht immer das beste, als deutschsprachige Gruppe Rechte zu fordern, sich aber gleichzeitig vom Nazierbe nie genügend distanziert und abgegrenzt zu haben. Wenn das geschehen wäre, hätte die Situation der Südtiroler in vielem glaubwürdiger gemacht und auf italienischer Seite, nicht nur bei den Linken in Italien, wahrscheinlich Bündnispartner gebracht.

Die Phase B kann man nicht so sehr nach Jahren unterteilen, sondern eher - wenn schon nicht nach der Herkunft, die man ja nicht kennt - nach der Zielrichtung. Ich beziehe mich auf die "Anti-Paket-Attentate", die es seit 1978 immer wieder gibt und die leider bis heute andauern. Hier kreuzen und verbinden sich zwei Positionen, von denen ich die eine mit "Jetzt wo wir stark sind" umschreiben würde, die andere mit "Facciamo come i tirolesi" (Machen wir's den Tirolern nach).

Um was für Attentate handelt es sich da? Bei den früheren Attentaten der 60er Jahren haben ungefähr 40-50 Menschen ihr Leben verloren. Das ist mehr, als man gemeinhin annimmt. Ungefähr 20 Menschen sind bei Attentaten umgekommen. Dann hat es durch Folterungen im Gefängnis Tote gegeben, andere haben während der Haftstrafe, unter "normalen" Gefängnisumständen, ihr Leben eingebüßt. Weiters sind Leute von Wachtposten erschossen worden, oder Wachtposten haben Wachtposten erschossen. Ein Amtsarzt in Bozen hat mir gesagt, daß es insgesamt etliche Dutzend waren. In dieser Zeit herrschte praktisch Belagerungszustand, auch wenn das meiste davon nicht an die Öffentlichkeit gedrungen ist und es im Vergleich zu anderen bewaffneten Kämpfen in Europa oder anderswo zahlenmäßig relativ wenige Menschenleben waren.

Ich habe mich bemüht, ganz kurz zusammenzustellen, was für Attentate es in dieser Phase ab 1978 gegeben hat. Ich bin nicht sicher, ob ich sie alle habe. Da war z.B. der Denkmalkrieg in den Jahren 1978 bis zur Gegenwart: Andreas-Hofer-Denkmal in Mantua, Alpini-Denkmal in Bruneck, die Beinhäuser nicht in Südtirol gefallener italienischer Soldaten, die in Südtirol stehen, das Siegesdenkmal in Bozen, das Tolomei-Grabmal, das Grab der Südtiroler Attentäter in St. Pauls. Dann Anschläge auf Elektromasten, Postamt, Bahnhof (den Bahnhof von Burgstall z.B., wo auch ich nicht gerade lobend erwähnt worden bin). Dann Ortstafelschmierereien, kleinere Dinge also, die man nicht unbedingt gleichsetzen kann; aber auch Anschläge auf Seilbahnen, vergiftete Äpfel, Anschläge auf Institutionen wie Landhaus, Regierungskommissariat, Magnago-Wohnung und Berloffa-Büro, das Gericht in Bozen im letzten September und zuletzt Andreotti jetzt zum Jahreswechsel in Meran. Erwähnen muß man auch die Vorbereitung eines Attentates, wie man annehmen kann, die gescheitert ist, bei der aber zwei Menschen, die Bombenbastler, ihr Leben gelassen haben, zwei Schützen in Lana 1984. Ein italienischer Autobus ist vor etwas mehr als einem Monat in Meran durch eine Sprengung beschädigt worden. Dann hat es noch eine Reihe nicht eindeutig bestimmbarer Anschläge auf Restaurants, Magazine und Geschäfte gegeben, wo aber der Zusammenhang mit Südtirol nicht so eindeutig festzustellen ist. Dazu kommen durchgeschlitzte Autoreifen vornehmlich italienischer Urlaubsgäste und etliche Wandschmierereien (gegen "die Walschen", gegen die SVP usw.).

Es ist schwer zu sagen, wer für die Attentate dieser Art verantwortlich ist. Im ganzen wurde, glaube ich, nur ein Täter, bzw. ein kleines "Familienunternehmen" der Familie Astfäller aus Göflan (Siegesdenkmal in Bozen!) vor Gericht gestellt und auch verurteilt und der etwas fragwürdige Adalbert Holzner. Im übrigen sind die Täter unbekannt. Neu ist, daß die Attentate jetzt nicht mehr nur anti-italienischen (was nicht gleichzeitig heißt: prosüdtirolerischen) Charakter tragen, sondern daß es auf der anderen Seite auch anti-südtirolerische oder anti-deutsche, wie man zu sagen pflegt, Attentate gibt. Und die einen und die anderen kommen durchaus im Ping-Pong-Verfahren vor.

Nun glaube ich auch, daß viele Anschläge undurchschaubar sind. Ich selber bin z.B. der Ansicht, und das habe ich auch öffentlich geäußert, daß beispielsweise das Andreotti-Attentat eher nach Geheimdienst oder ähnlichem riecht und zu keiner der in Südtirol agierenden Gruppierungen so recht paßt. Deshalb hat es mich, aber auch viele andere von ganz unterschiedlichen Kreisen, absolut nicht überzeugt, es wurde auch keine Sympathie dazu von irgendeiner Seite geäußert. Es scheint also eher ein Attentat, das der Polizei Gelegenheit gibt für Hausdurchsuchungen, für Verstärkung des Apparates, für Erwähnungen im jährlichen Tätigkeitsbericht usw. Das letztere ist übrigens kein Witz. Der vorzeitige Anwärter auf den Posten des Chefs des Geheimdienstes, Prefetto Parisi, ist vor wenigen Wochen bei einer Jahreshauptversammlung der Polizeichefs in Rom in seinem Bericht über Terrorismus ziemlich ausführlich auf Südtirol eingegangen und hat dabei auch die üblichen Forderungen gestellt: personelle Verstärkung, finanzielle Verstärkung, spezielle Maßnahmen. Damit geht natürlich auch immer eine Militarisierung und eine Vermehrung der polizeilichen Kompetenz und Einflußnahme einher.

Neben vielen Unterschieden zwischen den Phasen A und B hinsichtlich ihrer Breite, Dimension und Auswirkung möchte ich besonders einen hervorheben, der mir am Herzen liegt und mir auch Sorgen macht. Die erste Phase, also "Los-von-Trient", war im wesentlichen eine Phase, in der sich die Aggressionen der Tiroler gegen den italienischen Staat gerichtet haben, Aggressionen also einer Volksgruppe oder Minderheit gegen einen Staat, mit dem sie zu rechten hat. In dieser ersten Phase haben sich die Italiener in Südtirol im wesentlichen auf den Staat verlassen. In Algerien war das übrigens ähnlich. In dem Film von Pontecorvo über die "Schlacht von Algier" z.B. sieht man Algerienfranzosen, die bei der Landung der französischen Flugzeuge Beifall klatschen. Sie sagen: "Das sind unsere Truppen." In ähnlicher Weise hat sich die italienische Bevölkerung in Südtirol damals im großen und ganzen mit dem Staat identifiziert und sich - wenn überhaupt - dann nur sehr punktuell als Teil dieser Auseinandersetzungen empfunden; z.B. wenn Sozialwohnungen, die im Bau waren, gesprengt wurden oder ein Cafè oder etwas ähnliches. Im übrigen fühlten sich die Italiener in Südtirol eigentlich nicht auf den Plan gerufen.

In der zweiten Phase aber, die bis jetzt, wie gesagt, nur Tote auf Seiten der zumindest vermuteten Bombenbastler gefordert hat, tritt etwas Neues ein: die Volksgruppen stehen gegeneinander, samt ihren möglichen Helfern von außen. In der Tendenz wäre das jetzt vergleichbar mit Irland und Zypern. Von der Härte der Auseinandersetzung dort sind wir zwar zum Glück noch weit entfernt, aber der Konflikt weist in diese Richtung. Das scheint mir die neue und gefährliche Qualität dieser Phase zu sein, obwohl das, was bisher durch irgendwelche Aktionen angerichtet worden ist, noch nicht das Ausmaß der 60er Jahre erreicht hat. Für beide Phasen kann man annehmen, daß es zahlreiche Gründe, Anlässe, Vorwände, Motivationen gibt, die aus der Situation heraus entstehen, daß aber beileibe nicht nur endogene, also Südtiroler Kräfte mit im Spiel sind. Bei derartigen Konflikten ist die Möglichkeit der Einmischung von außen immer gegeben, in unserem konkreten Fall Einmischung von Neofaschisten aus Oberitalien, von Neonazis aus Österreich und der BRD, von Geheimdiensten verschiedener Provenienz u.ä. Das ist nicht unbedingt erwiesen, aber das Terrain ist sicher günstig dafür.

Die Auswirkungen auf den Alltag in Südtirol sind - zum Glück - momentan sehr gering. In den 60er Jahren allerdings war das anders, Frau Stadlmayer ist darauf bereits eingegangen. Eines möchte ich noch hinzufügen: in dem damals in Südtirol verhängten Ausnahmezustand haben gerade jene Kräfte des italienischen Repressionsapparates ihre erste große Schulung bekommen, die später in Reggio Calabria, in Sardinien und Ende der 60er Jahre gegen die Studenten- und Arbeiterbewegung eingesetzt worden sind. Die in ganz Italien berühmten und befürchteten Carabinieri von Leifers haben in Südtirol eine Mordskaserne und sind dort als schnelle Eingreiftruppe ausgebildet worden. Sämtliche prominente italienische Militär- und Geheimdienstchefs, von denen einige später auch vor Gericht gestanden sind, haben in Südtirol gewissermaßen ihren Bewährungsdienst abgeleistet. Frau Stadlmayer hat Amos Spiazzi erwähnt, dasselbe gilt für De Lorenzo, der wegen Putschverschwörung vor Gericht gestellt und auch verurteilt worden ist. Sie haben dort z.T. ihre Karriere gestartet als Kommandanten des 4. Armeekorps und als Carabinieri- oder Polizeikommandanten. Neben Sardinien war Südtirol damals der offene Konfliktherd und konnte so als Bewährungsschule dienen für die, die dann später im nationalen italienischen Repressionsapparat an die Spitze gelangt sind und die, z.T. auch gerichtlich erwiesen, in einige der sogenannten "Verirrungen" dieser Geheimdienste verwickelt waren.

Einer Bemerkung meiner Vorrednerin möchte ich mich anschließen und sie sogar noch etwas schärfer formulieren: die Obrigkeitshörigkeit, die die deutschsprachigen Südtiroler in jenen Jahren bewiesen haben, ist wirklich frappierend und beschämend, v.a. wenn man bedenkt, daß sie sie nicht zum ersten Mal gezeigt haben. So hat es gegenüber dem italienischen Faschismus in ganz Italien doch verschiedene Formen des Widerstands gegeben, in Südtirol aber so gut wie keinen.


aus: V. Stadlmyer, A. Langer (Hg.) Terrorismus in Südtirol und seine Auswirkungen auf den Alltag der Bevölkerung, ........., ........., 1988
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