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Mit der Schleuder gegen Goliath

8.9.1978, Südtiroler Volkszeitung, 8. September 1978
Opposition gibt es bei uns schon, natürlich: meistens isoliert, in den verschiedensten Zusammenhängen (in Betrieben, Schulen, Kultur, in der Landesverwaltung, im Dorf, im Freundeskreis) zerstreut, mit viel "Wut im Bauch" und oft noch mehr Lust zum Abschalten oder Auswandern. Das Schicksal Norbert C. Kasers ist für viele in Südtirol sinnbildhaft.

Ich glaube, daß auch in dieser ungünstigen Situation und auch bei einer so entfremdenden Gelegenheit wie Wahlen gegen die Übermacht der Unterdrücker etwas getan werden soll und kann. Gegen den Riesen Goliath anzutreten, war für den kleinen David keine leichte Entscheidung; wenn er ihn trotzdem sehr empfindlich treffen konnte, lag es - unter anderem - darin, daß er von vornherein mit anderen Waffen, unter anderen Voraussetzungen und auf einer ganz anderen Ebene kämpfte, ohne zu versuchen, selber eine kleine Goliath-Karikatur zu werden...

Was hätte es denn überhaupt für einen Sinn, in den Landtag einzuziehen? Bestimmt nicht den, selber Macht auszuüben oder auch nur "Gegenmacht" vertreten zu wollen (davon ist heute nicht viel zu sehen); es geht nur um Widerstand: den Herren auf die Finger schauen, ihre Machenschaften ausplaudern und sich (wenn auch vielfach ausichtslos, aber dennoch sehr energisch) dagegenzustemmen; ihnen Prügel in den Weg legen und immer einen Fuß in der Tür halten, damit die Leute "draußen" merken, was "drinnen" vor sich geht und sich auch besser wehren können. Also nicht selber mitmischen, sondern dafür arbeiten, daß möglichst die nicht "Berufenen" (die "Vertreter") selber zu Worte kommen und ihre Anliegen ausfechten können.

Eine solche Landtagsliste müßte also sehr deutlich "anders" als die anderen Listen sein, und ein Abgeordneter müßte sich auch entschieden anders verhalten: aus dem Rahmen fallen müßte er vor allem, wie auch ein glaubwürdige Oppositionsliste. Keine Politikerliste, keine Parteienliste: eine richtige "David-Liste", mit vielen und verschiedenen Schleudern und Kieselsteinen und "Widerstandskämpfern" in Südtirol. Ohne Angst, daß dabei bestimmt eine sehr "bunte" Liste herauskäme - das müßte sie nämlich sein.

Dazu müßte jetzt sofort die Diskussion beginnen: sehr offen und sehr ehrlich, ohne in "Politikersünden" zu verfallen und ohne geheime Absprachen oder Treffen unter exklusiven Eingeweihten. Ich schlage deshalb hier vor, sofort anzufangen, eine solche Möglichkeit zu erörtern. Ich denke dabei an die Liste (selbstverständlich mit Kandidaten aller Volksgruppen), auf der anerkannte und bewährte Vertreter von Kämpfen und Initiativen und Basisbewegungen in unserem Lande stehen müßten, unabhängig von ihrer (eventuellen) Parteizugehörigkeit: ich könnte mir da sehr wohl Namen von (jungen und älteren) Menschen vorstellen, die irgendwann und irgendwo den Machthabern entgegengetreten sind, sich mit anderen zusammengetan haben, dazu beigetragen haben, sich im Betrieb, im Dorf, in der Gewerkschaft, in den Schulen, im Nachrichtenwesen, unter den Jugendlichen, in Fraueniniziativen, in kirchlichen Bereichen, unter den Landesangestellten oder sonstwo eben "zu wehren" und die auch in diesem Sinn den Oppositions- und Kampfwillen vieler anderer repräsentieren könnten. Eine solche "bunte Liste" dürfe, m.E. keinem "Zentralkomitee" und keinem Parteigremium verantwortlich sein, sondern müßte - durch die Namen der Kandidaten wohl eindeutig charakterisiert - vor allem den direkten Kontakt zwischen den Leuten, die sich Tag für Tag "wehren" und der (eventuellen) "Wehrt-euch!"-Vertretung im Landtag pflegen und in offenen Versammlungen, Diskussionen und Basis-Initiativen die einzige glaubwürdige Gewähr für die richtige Verwendung eines politischen Mandats suchen.

Eine solche Liste könnte, begreiflicherweise, weder Ausdruck eines abstrakten verbindlichen Programms noch einer Parteilinie oder eines Parteiaufbaues sein, sondern würde viel eher die vielgestaltige und wohl in manchem widersprüchliche reale und radikale Opposition im Lande auch institutionell darstellen. Wunder könnte sie natürlich keine wirken: es würde uns nicht dann allen "besser gehen", aber vielleicht ließe sich manche Schweinerei verhindern und mancher Kampf besser führen. Aber natürlich hätte eine solche Liste nur Aussicht auf Erfolg, wenn kleinere, mehr oder weniger existente Organisationen (Democrazia Proletaria/Arbeitsdemokratie, radikale Partei, Lotta Continua, PdUP, vielleicht einzelne mögliche Kandidaten des PSI oder der SFP, usw.) auf eigene Listen und Kandidaturen verzichten und auch keinerlei Versuch unternehmen, eine solche "bunte Liste" mit Parteivertretern (als solche) zu bevölkern - aber das kann nur gelingen, wenn eine möglichst breite und offene Diskussion sofort einsetzt. Die Basis einer solchen Liste wäre überall da, wo sich jemand im fortschrittlichen Sinne "wehrt", aber nicht bei den Partei(ch)en. Wer aufmuckt oder aufgemuckt hat, hinausgedrängt worden ist aus den offiziellen Lebensbereichen und Futterkrippen, wer genug hat und weder zu den Nutznießern noch zu den (zumindest nach eigener Hoffnung) angehenden Juniorpartnern des SVP-DC-Regimes gehört, würde eine solche Initiative wohl sicher begrüßen und unterstützen. Natürlich dürften keine zu hohen Ansprüche gestellt werden: eine solche "Wehrt-euch"-Liste kommt - wenn überhaupt - sicher nicht leicht zustande, viele Widersprüche und kleine "Politikerlaster" werden sich regen und an Quertreibern würde es nicht fehlen, und niemand dürfte sich eine Avantgarde- oder Parteiorganisation (auch nicht im Keime) erwarten oder erhoffen; die konkrete und tägliche "Politik" würde nicht in und um diese Liste aufgehen und sich darin erschöpfen. Und sosehr gewisse Grundvorsetzungen (etwa: prinzipiell gemeinsames Handeln von Deutschen und Italienern; Eintreten für Autonomie, aber gegen die konkrete "Paket"-Wirtschaft; volle Wahrung der Volksgruppenrechte; Kampf gegen die "Großkopfeten" aller Art und gegen Ausnützung, Unterdrückung, soziale Ungerechtigkeit, usw.) vielen vielleicht selbstverständlich scheinen, muß natürlich die Politik einer solchen "Liste" ständig von der Basis her erarbeiten und diskutiert werden. Niemand kann ein Programm "für andere" machen, wenn nicht der Anspruch einer parteiähnlichen Organisation erhoben werden soll, aber ich kann mir vorstellen, daß eine offene, flexible und ständig in den realen Auseinandersetzungen überprüfte linke Liste möglich ist (aber kein Parteizeichen dürfte draufstehen und auch nicht Hammer und Sichel oder Faust mit Rose, usw. - eher schon die Schleuder vom David!)

Mit einer Schleuder gegen Goliath antreten?

Südtiroler Volkszeitung, 8. September 1978
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