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Die EG und die Berglandwirtschaft — Einsicht in letzter Minute?

1.6.1993, Referat in Schloss Goldrain - Bz
Wie Sie wissen, bin ich kein besonders guter Kenner der Landwirtschaft, der bäuerlichen Welt und auch nicht der Agrarpolitik der EG. Man möge mir deshalb Ungenauigkeiten und Vergröberungen nachsehen — ich habe mich bemüht, an der Vorbereitung dieser Tagung so gut als möglich mitzuwirken und freue mich, hier einige Überlegungen einbringen zu dürfen, die im Laufe der Jahre aus der Auseinandersetzung mit der Situation in Südtirol und nun aus der Erfahrung in der Europäischen Gemeinschaft entstanden sind.Berglandwirtschaft — schade um die letzten Mohikaner?

Berglandwirtschaft wird heute in der EG-europäischen (und nordamerikanischen) Landwirtschaft nur noch als Randerscheinung gesehen: wirtschaftlich unerheblich; sozial von geringer Bedeutung, weil es sich ja um dünn besiedelte Gebiete handelt; ökologisch vielleicht interessant, aber möglicherweise durch Landschaftsgärtnerei ersetzbar, die am grünen Tisch geplant und von angestellten Fachleuten — später wohl von spezialisierten Pflegefirmen, unter Kontrolle der zuständigen Verwaltungsämter — gegen Entlohnung durchgeführt wird. Insgesamt eines der nicht mehr recht zahlreichen Überbleibsel früherer Zeiten und Sozialstrukturen, die nun durch die beschleunigte Verschmelzung zu einem großen Binnen- und Weltmarkt und den daraus entstehenden Rationalisierungs- und Modernisierungszwang keine Zukunft mehr haben. Den Bergbauern und -Bäuerinnen mag es dabei wie anderen Arten von noch nicht ausgerotteten _Eingeborenen_ gehen: sie sind höchstens noch als Folklore zu gebrauchen, lebensfähig ist ihre Welt kaum mehr, wettbewerbsfähig — und darauf kommt es an — schon gar nicht! Denn wie sollen Bergbauern, die unter äußerst schwierigen Bedingungen in karger Natur unvergleichlich weniger zu unvergleichlich höheren Kosten mit unvergleichlich größerer Mühe erzeugen, der Konkurrenz mit der rationalisierten agro-chemischen Industrie der Großbetriebe standhalten, die zunehmend die sogenannte Landwirtschaft dominieren? Also werden sie eben aussterben — wie die Segelschiffe, die Dorfschneider und die Landärzte, und man wird ihnen höchstens eine nostalgische Träne nachweinen. Vielleicht wird man an sie denken, wenn Jahre oder Jahrzehnte nach dem Abrutsch ihrer Existenzen auch der Berg abzurutschen beginnt, weil dort niemand mehr lebt und wirtschaftet. Aber dann wird es zu spät sein — ebenso wie es mittlerweilen in vielen Ländern zu spät ist, das unwiederbringliche Wissen und Wirtschaften vieler indigener Hüter der Regenwälder festzuhalten oder gar wiederzubeleben.Das kann den großen Managern und Wirtschaftsstrategen im Grunde gleichgültig sein, weil es für sie quantitativ — und nur so vermögen sie zu kalkulieren — nicht ins Gewicht fällt. Nicht so den Menschen, die in Berggebieten leben (in den Alpen, in den Pyrenäen, im Apennin, im Balkan...) und dort weiterhin mit guter Lebensqualität heimisch bleiben möchten, und erst recht nicht den Frauen und Männern — vor allem den jungen Menschen — die selber Bergbauern sind. Man braucht sich nur die tristen entvölkerten oder völlig _zweckentfremdeten_ Berggebiete Europas — auch in unserer unmittelbaren Nachbarschaft — anzusehen und die aufkommenden ökologischen Bedrohungen eines umfassenden Erosions- und Verödungsprozesses zu untersuchen, und man wird schnell merken, daß es — ähnlich wie bei den Stämmen der Ureinwohner im Amazonas- oder im Sarawak-Gebiet — nicht nur um ein paar Tausend _letzte Mohikaner_ geht, sondern ein viel größeres und gefährlicheres Abrutschen und Veröden auf uns alle zukommt, wenn die erfahrenen und fähigen Hüter der Umwelt (der Berge, der Wälder, der Weiden, der Äcker, der Gewässer...) aufgeben, weil sie zur Resignation getrieben werden.Insofern ist also die Lebens- und Überlebensfähigkeit der Bergbauern und ihrer Landwirtschaft nicht nur ein Anliegen der unmittelbar betroffenen Bauern, sondern eine Frage des Überlebens und der Lebensqualität in Berggebieten überhaupt. Südtirol — Sonderfall, Musterbeispiel oder was sonst?Vieles von dem, was eine sinnvolle Agrarpolitik als erstrebenswerte Zukunft anpreist, erscheint — zumindest auf den ersten Blick — in Südtirol als möglich oder gar verwirklicht. Ökologisch verträgliche Erzeugung hochwertiger Lebensmittel für die Bewohner der Region, bäuerliche Lebensqualität und Umweltpflege sind in unserem gebirgigen Land in höherem Maße vorzufinden als in den meisten anderen Gebieten innerhalb und außerhalb der Europäischen Gemeinschaft. Sind wir als Pioniere schon dort, wo andere erst hinkommen möchten, oder zehren wir noch von einem Erbe bäuerlicher Weisheit und mindestens jahrhundertealten Wirkens von Generationen? Wahrscheinlich ist eher das zweite der Fall. Das sind zwar keine Lorbeeren, auf denen man einfach ausruhen kann, gibt aber vergleichsweise die besseren Chancen für die Zukunft.Tatsache ist, daß das Bauernsterben in Südtirol nicht dasselbe Ausmaß wie in den meisten anderen Regionen angenommen hat, die Anzahl der Höfe (nicht der Beschäftigten in der Landwirtschaft) kaum geschrumpft ist, bäuerliches Leben, bäuerliche Wirtschaft, bäuerliche Kultur nicht ausgestorben oder zur Larve verkümmert sind. Der Rückgang des Anteils landwirtschaftlicher Erwerbstätiger ist langsamer und somit sanfter vor sich gegangen. Das Sozialprestige der Bauern — ihr umfassendes Ansehen in der Gesellschaft — und ihre wirtschaftliche Lage sind im allgemeinen besser als die vieler anderer Bauern in Europa, ihre Motivation und Zuversicht erscheinen immer noch beachtlich, was ja insbesondere aus dem Verhalten und den Erwartungen der jungen bäuerlichen Generation abzulesen ist. Insgesamt kann man sagen, daß bäuerliche Wirtschaft in Südtirol trotz großer Schwierigkeiten in vieler Hinsicht vital ist. Auch das wachsende Streben nach Umstellung auf eine mehr ökologisch geprägte Landwirtschaft kann bei uns nicht einfach auf eine kulturelle Mode oder aufklärerische Einsicht aus der Stadt zurückgeführt werden, sondern hat echte Wurzeln am Lande.Was hierbei von grundlegender Wichtigkeit ist: die Entfremdung zwischen Stadt und Land ist in Südtirol nicht so radikal fortgeschritten wie anderswo, man kennt sich noch, es gibt gegenseitige Beziehungen und Austausch, noch stehen sich — trotz zunehmenden Auseinanderlebens in den letzten 30—40 Jahren — nicht zwei völlig unterschiedliche und ferne Welten gegenüber.Selbst die Berglandwirtschaft, die eigentlich schon durch die Mansholtsche EG-Agrarpolitik der 60er Jahre schlicht als unrentabel stillgelegt hätte werden sollen, hat sich einigermaßen gehalten — in einem Land, wo 90% der Höfe auf über 500 m Seehöhe und über die Hälfte höher als 1000 m liegen ist das ein wichtiger Teil bäuerlicher Lebenswelt: gewiß der schwächste und der am meisten gefährdete, der heute die höchste Aufmerksamkeit verdient. Jenen Österreichern, Schweizern oder gar Norwegern, die wenig Lust auf einen EG-Beitritt haben, weil sie u.a. um die Zukunft ihrer noch verbliebenen Berglandwirtschaft bangen, wird das Beispiel Südtirol sozusagen als Faustpfand dafür vorgezeigt, daß Bergbauern auch in der EG überleben können.Warum konnte sich Südtirols Berglandwirtschaft in diesem Ausmaß halten, warum haben sich Südtirols Bergbauern und -Bäuerinnen als zäher und widrigkeitserprobter erwiesen als beispielsweise ihre Kollegen aus dem Piemont, aus weiten Teilen Österreichs und Süddeutschlands, aus Friaul, aus Slowenien und Savoyen?Die Beantwortung dieser Frage würde eingehende Untersuchungen verdienen — ich muß mich hier auf kurze Hinweise beschränken. Beigetragen haben wohl vor allem:—eine hohe regionale Eigenständigkeit, die aus der besonderen politischen Situation und einer gewissen Abgeschnittenheit Südtirols erklärbar ist: als Zusammenhalt im Abwehrkampf gegen staatlich betriebene Assimilierungspolitik, später dann als Übernahme von Selbstverwaltung und eigener Gestaltungsmöglichkeiten in der Autonomie, jedenfalls aber als Widerstand gegen fremdbestimmte Entwicklung und Modernisierung, die man als bedrohlich empfand;—eine große Rolle spielte dabei gewiß die kulturelle — bei uns vor allem ethnische — Motivation: die Bauern (und besonders die Bergbauern) als Rückgrat des Volkes, der Volksgruppe, der Heimat, einer Lebenswelt... sozusagen als Hüter einer Ordnung, die sich — wenn schon — erst als letzte aufgeben und überantworten würden; dies beweist unter anderem, daß Geld und Wirtschaft eben doch nicht alle menschlichen und gesellschaftlichen Ereignisse zu regieren vermag;—die relativ gute lokale Integration zwischen verschiedenen Bereichen der Wirtschaft, die bei uns ja Tradition hat, konnte manche extreme Auswirkung der Krise der europäischen Landwirtschaft ausgleichen und auffangen (Fremdenverkehr, Handwerk...) — sicher hat auch das langjährige Fehlen von alternativen Arbeitsplätzen in Industrie und Verwaltung mit dazu beigetragen, Südtirols Bergbauern vom Wechseln in andere Erwerbstätigkeiten abzuhalten (wenn schon gab's da nur die Auswanderung).Vielleicht war also eine gewisse (teils von außen aufgezwungene, teils bei uns tief verwurzelte) _Rückständigkeit_ letztlich der wesentliche Grund dafür, daß die Bergbauern bei uns in höherem Maße überlebten als anderswo. Wer weiß, ob nicht viel mehr Höfe aufgelassen worden wären, wenn statt der vom Faschismus herbeigerufenen italienischen Industriearbeiter oder Eisenbahner einheimische Bauernsöhne deren Arbeit getan hätten oder wenn anfangs der 70er Jahre beispielsweise die _Continental_ in Brixen gebaut worden wäre?Südtirols Bauern, insbesondere Bergbauern, haben sich in diesem Jahrhundert durch etliche Jahrzehnte im wesentlichen selber gerettet: ihr Abwehrkampf zur Erhaltung ihrer Welt war äußerst zäh und erfolgreich, nur angesichts der von den Nazis und Faschisten verordneten Option gab es einen plötzlichen und tragischen Einbruch, der um ein Haar die Entvölkerung unserer Berggebiete zur Folge gehabt hätte. Später, in der Zeit nach dem 2.Weltkrieg, war es gewiß die Südtiroler Volkspartei — eine rein regionale Partei mit weitgehend bäuerlichen Wurzeln und bis in die 70er Jahre herauf stark bäuerlichem Einschlag — die die Chancen der neuen, wenn auch recht unvollkommenen Autonomie zu nutzen wußte, um der bäuerlichen Wirtschaft und Lebensfähigkeit wieder auf die Beine zu helfen (gesetzliche Wiedereinführung des geschlossenen Hofes, Beginn der Subventionspolitik, Straßen, Schulen, sonstige Erschließung, Aus- und Fortbildung, Dorf- und Höfesanierung...). Noch später waren es dann die Fleischtöpfe des deutschen und europäischen Wirtschaftswunders (bei uns durch den Fremdenverkehr zugänglich) und dann der neuen Paket-Autonomie, die eine gewisse Integration der Landwirtschaft und anderer Wirtschaftszweige förderten und dadurch gewiß beitrugen, die Fortexistenz vieler Bauern und Bergbauern zu sichern. Selbst der »listenreiche Umgang mit der EG« wie ich ihn einmal vor Jahren im Südtiroler Landtag analysierte, hat dazu beigetragen: die starke lokale Eigenständigkeit in der Umsetzung der EG-Agrarpolitik erlaubte da so manche Korrektur, die den in Brüssel proklamierten Zielen geradezu zuwiderlief,»sich aber in der Realität durchsetzte. Zum Glück. Südtirols Berglandwirtschaft konnte sich sozusagen in einer politisch, kulturell und vor allem von den Betroffenen selbst geschaffenen existentiell abgeschirmten Nische erhalten — die großen Opfer und Anstrengungen wurden wenigstens teilweise durch soziale Anerkennung abgegolten.Die sogenannte Reform der EG-Agrarpolitik: Einsicht in letzter Minute?Heute stehen wir an einer Schwelle — teils wurde sie auch schon überschritten — wo sich das sehr nachhaltig ändern könnte. Der wachsende Druck der immer engeren Integration des EG-europäischen Binnenmarktes und seine Verflechtung in den Weltmarkt (worauf vor allem die Nordamerikaner drängen; die EG darf ihre Landwirtschaft nicht mehr gegen Konkurrenz aus Übersee abschirmen) ist für die Bauern in Europa so tödlich geworden, daß selbst die EG-Kommission die Notwendigkeit einer Reform verkündet hat. Dabei war es gerade die bisherige EG-Politik, die durch Preisgestaltung, Subventionspolitik, Exportförderung, Rationalisierungsdruck und systematische Überschußproduktion den Bauern das beinharte Gesetz des _wachse oder weiche!_ erfolgreich aufgezwungen hatte.Die europäische Landwirtschaft steht nun vor ihrer vielleicht endgültigen Kippung durch die Industrie, bzw. Verwandlung in einen Teil der agrochemischen und Nahrungsmittelindustrie, ähnlich jener in Nordamerika. Denn wenn sie jetzt in die möglichst offene und ungeschützte Weltmarktkonkurrenz eintreten soll, und mit den Strangulierpreisen aus Nordamerika und der Dritten Welt konfrontiert wird, kann ihr auch die Reform wenig nützen. Und die Bergbauern werden überhaupt vom Markt verschwinden.Da wird man vielleicht sogar noch als Segen betrachten, was doch eigentlich ein Fluch der Berg- und Hügellandschaften ist: daß nämlich nach der Vertreibung der Bauern begüterte Städter kommen und Höfe, Ställe, Scheunen, Kapellen, Grund und Boden für ihre Freizeit, ihren Lebensabend oder einfach als zweiten oder neuen Wohnsitz aufkaufen. Wenigstens wird das Leben nicht völlig aus diesen Landstrichen verschwinden. Worin besteht die Reform der EG-Agrarpolitik, die nun schrittweise durchgeführt werden soll (was auch großteils von den Mitgliedstaaten und deren Finanzen abhängen wird)? Gibt's da wirklich irgendwo so etwas wie eine Einsicht in letzter Minute, seit EG-Präsident Delors _schon_ 1990 laut darüber nachdachte, daß Landwirtschaft ohne Bauern unvorstellbar wäre? Darin müßte sich eigentlich eine gehörige Portion Selbstkritik verbergen, wenn man denkt, daß die EG-Landwirtschaftspolitik seit den 60er Jahren das größte Bauernsterben der europäischen Geschichte beschlossen, organisiert und verwaltet hat! Diese späte und höchst partielle Einsicht und die 1992 begonnene EG-Agrarreform bleiben aber meilenweit hinter den Bedürfnissen und Anliegen der Bauern, insbesondere der Bergbauern zurück.Zwar sehen sich die Kernstücke der Reform auf den ersten Blick nicht alle schlecht an: Überschußproduktion soll eingeschränkt und die Mengen verringert werden, Exportsubventionen müssen gestrichen und die Preise weiter gesenkt werden, geförderte Flächenstillegung soll nicht nur zur Produktionsverminderung beitragen, sondern auch die ökologische Regeneration des Bodens ermöglichen; sogenannte flankierende Maßnahmen sollen schließlich ökologische und soziale Ausgleichszahlungen für die besonderen Leistungen der Bauern und insbesondere Bergbauern vorsehen, um ihre Leistung für Gesellschaft und Umwelt, die über die landwirtschaftlichen Preise völlig unterbezahlt bleibt, einigermaßen zu entgelten.Auf den ersten Blick sehen einige dieser Maßnahmen, wie gesagt, eher vernünftig aus fast könnte man ihnen ein grünes Mäntelchen zuerkennen; wer sollte schon gegen Abbau der Überschüsse und Entlastung der Ackerböden, gegen Öko-Zulagen und mehr soziale Sicherung der Bauern sein? Aber eben nur auf den ersten Blick. Sieht man näher und genauer hin, stellt sich, insbesondere für die Bergbauern, alles ganz anders und gefähr-lich dar. Denn die Senkung der Produktion kann den Bergbauern gewiß nicht zugemutet werden und die Preisdrückerei könnte für sie tödlich sein. Die (bezahlte) Flächenstillegung wird nur den Großbetrieben zugutekommen, die genügend Grund haben oder pachten können, um die entsprechenden Subventionen massenhaft zu kassieren und vielleicht dann auch noch sogenannte _agrarische Rohstoffe_ (etwa Zuckerrüben für Treibstoff statt Lebensmittel) mit viel Chemie dort zu erzeugen! Der Rationalisierungszwang und die Verdrängung der Kleinbetriebe wird also mitnichten gemindert, sondern im Gegenteil noch verschärft (die Exportkonkurrenz tut da ein übriges). Und selbst das angeblich soziale und ökologische Herzstück der Reform, nämlich die Entlohnung der Bauern als Umweltpfleger und als sozial benachteiligte Arbeitskräfte, wird ein Schuß nach hinten, denn dadurch werden die Bauern noch mehr zu Almosenempfängern, deren selbständige Erwerbsarbeit nahezu völlig entwertet wird, was sie zu abhängigen und bürokratisch kontrollierten und verwalteten Sozialfällen macht. Die Entkoppelung des tatsächlichen Wertes ihrer Arbeit und ihrer Erzeugnisse vom Marktpreis, der dafür gezahlt wird, hat keine langdauernde Zukunft daraus werden im Verlauf einer Generation wirklich nur noch Angestellte von Landschaftspflegefirmen, die morgen oder übermorgen austauschbar sind, während in Wirklichkeit Bergbauern von niemandem ersetzbar sind, wie die Geschichte beweist.Woher sonst kann das Umdenken kommen?Die Bauern, die in den letzten Monaten in vielen Ländern der EG auf die Straße gegangen sind und sich von dieser Reform mitnichten überzeugen haben lassen, bringen einen klaren Standpunkt zum Ausdruck. Sie wollen gerechte Entlohnung und wehren sich gegen die Ausrottung der Kleinbauern, sie wollen nicht Frührentner oder Sozialfälle werden, sondern fordern ihre Würde und soziale Anerkennung. Im Grunde kann man die Bauernproteste in einen Satz fassen, der für die Bergbauern ganz besonders gilt: gegen die noch weitere Entwertung der Bauern und ihrer Arbeit, für die gerechte Anerkennung und Entlohnung ihrer unersetzbaren Leistung.Die erhoffte Einsicht in letzter Minute, die wir uns nicht von den EG-Behörden erwarten können (sosehr sich natürlich die Grünen oft alleingelassen! im Europäischen Parlament dafür einsetzen), kann also wennschon nur von anderer Seite kommen: von den Bauern selber, und von all denen, die eng mit ihnen zu tun haben, mit ihnen solidarisch sind und übrigens auch sehr unmittelbar vom Überleben und Weiterwirken der Bergbauern abhängen. Da würde ich in erster Linie an die Ökologie-Bewegung denken: an alle jene Menschen und Gruppen, deren ökologische Einsicht inzwischen so aufgeklärt und wohlinformiert ist, daß sie wissen, daß mit dem Abrutschen der Bergbauern die Lebensqualität und Wohnlichkeit der Berggebiete überhaupt abrutscht und die das nicht einfach hinnehmen wollen! Auch die Verbraucher, insbesondere wenn sie organisiert sind, können viel dazu beitragen, daß den wichtigsten Erzeugern gesunder und hochwertiger Lebensmittel nicht der Garaus gemacht wird, sondern sie im Gegenteil in ihrem Überlebenskampf angemes-sen unterstützt werden. Eine ganz besondere Kategorie von _Verbrauchern_, die auch nicht unterschätzt werden sollten, können auch die erholungsuchenden Touristen sein, denen die Qualität der Landschaft am Herzen liegt und die sanften und nachhaltigen Tourismus befürworten; das kann auch für einen nicht unerheblichen Teil der Hotellerie in Berggebieten gelten. Überhaupt sollte die lokale, regionale Wirtschaft (Handwerk, industrielle Kleinbetriebe...) als Verbündete nicht außer Acht gelassen werden. Und schließlich die vielleicht wichtigsten Bündnispartner: die lokalen, regionalen Regierungen, Parlamente, Behörden, die eigentlich die Hüter der lokalen Eigenständigkeit sein müßten. Bei uns in Südtirol wird es ganz besonders darum gehen, alle diese Bündnispartner so anzusprechen und zum Offenbarungseid zu bringen, daß es nicht bei den üblichen Lippenbekenntnissen zum Bergbauerntum bleibt, mit denen wenig getan wäre. Denn es ist natürlich einsichtig, daß das geringe zahlenmäßige und finanzielle Gewicht der Bergbauern (als Wähler, als Wirtschaftstreibende...) nur durch Bündnisse ausgeglichen werden kann sonst ist's um die Bergbauern geschehen.In welche Richtung könnte die Einsicht führen?Sicher werden von dieser Tagung wichtige Impulse kommen, die uns allen helfen können, die Richtung auszumachen, in die zu gehen ist, wenn die Bergbauern nicht abrutschen sollen. Was ich hier auch auf der Grundlage von Erkenntnissen und Initiativen der grünen Fraktion des Europaparlaments und von Vorschlägen und Kritiken Südtiroler Bauern andeuten möchte, ist also nichts mehr als der eine oder andere Anhaltspunkt:a)Stärkung und gute Integration der regionalen Wirtschaftsstruktur und eines guten regionalen Marktes: Förderung und Schutz der Qualität lokaler Produktion; Integration der Berglandwirtschaft mit anderen Wirtschaftszweigen (Fremdenverkehr usw.), ohne aber von ihnen völlig abhängig zu werden; Nebenerwerb und Zuerwerb, Erschließung neuer Erwerbsquellen für Bergbauern;b)gerechtere Preise, unmittelbarer Zugang zum Markt, Hilfe bei Vermarktung: Bauernmärkte, Qualitätsmarke, Beratung, usw.c)Entschädigung und Ausgleich für die unverhältnismäßig größeren Erschwernisse und Mühen der Berglandwirtschaft: Prämien für Erschwernis, Erhaltung von Artenvielfalt, Landschaftspflege; Steuererleichterungen oder überhaupt Befreiung, gerechtere Förderpolitik (Südtirol zahlt heute nur rund 63% der Fördermittel an die Bergbauern, 37% an Obst- und Weinbau: da stimmt das Verhältnis nicht!)...d)Abbau unzumutbarer Belastungen für Bergbauern: drastische Vereinfachung von Bürokratie, Buchführung, Kontrollen, Auflagen, Antragswesen; Entschuldungsinitiativen; rechtzeitige Auszahlung von Subventionen.e)kritische und bergbauernfreundliche Anpassung von staatlichen und EG-Maßnahmen bei ihrer Umsetzung in Südtirol: das gehört zu den eigentlichen Bewährungsproben unserer Autonomie.Jenseits von und gewissermaßen vor allen Einzelmaßnahmen kommt es heute aber sehr wesentlich darauf an, zwei günstige Umstände zu nutzen, die sozusagen der Zeitgeist im besten Sinne den Bergbauern und der Berglandwirtschaft als Chance zur Verfügung stellt.Da ist in erster Linie an den Ruf nach ökologischer Umstellung und Sanierung der Landwirtschaft, bzw. an das neue Umweltbewußtsein zu denken: die Berglandwirtschaft wird in ihrer Bedeutung erkannt und findet wichtige Verbündete. Die Umstellung auf wirklich naturgerechte und schonende Produktion fällt der Berglandwirtschaft vielfach weniger schwer, die Umkehr ist immer dann leichter, wenn man sich noch nicht allzuweit auf den Holzweg begeben hat. In der biologischen Umstellung der Berglandwirtschaft können heute relativ gute Chancen liegen. Natürlich erfordert das aber auch, einen klaren (auch gesetzlichen) Unterschied zwischen wirklich biologischer und ökologisch hochwertiger Produktion einerseits und der billigen Nachahmung andererseits zu machen: unser Landesgesetz, das den _integrierten Anbau_ praktisch als Etikettenschwindel dem biologischen Landbau hinzugefügt hat, ist diesbezüglich betrügerisch angelegt!Das zweite Zeitgeist-Element, das auch nicht zu unterschät-zen ist, bezieht sich auf die kulturelle, geistige Wende, die heute das Verhältnis zwischen Stadt und Land, zwischen bäuerli- chem Leben und völlig industrie-abhängiger Lebensweise beeinflußt. Nach der Landflucht der letzten 50 Jahre beginnt nun eine Stadtflucht, nach der systematischen Entwertung, Herabsetzung und oft gar Verspottung der bäuerlichen Arbeit und Lebenswelt, führt heute die ökologische, aber auch geistige Krise nicht selten zu einer Aufwertung dessen, was jahrhundertelang von Städtern geringgeachtet wurde. Dies kann letztlich das Selbstwertgefühl der Bergbauern und ihr Ansehen in der Gesellschaft stärken was als Ermutigung nicht unwichtig ist und die Motivation vor allem für junge Bergbauern und -Bäuerinnen sehr anspornen kann.Diese Chancen könnten und sollten wir in Südtirol mehr als anderswo nutzen: von daher muß heute das Umdenken von unten einsetzen, da wir's uns nicht von den Spitzen der EG erwarten können. Daran werden wir nicht zuletzt auch die Politik der Südtiroler Landesregierung messen müssen und unsere eigene Sensibilität.
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