Alexander Langer Alexander Langer Schriften - Alexander Langer Ex-Jugoslawien

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Der Jugoslawienkrieg als gräßliche offene Wunde im europäischen Zusammenleben.

1.11.1993, Artikel für vredesaktie
Seit dem spanischen Bürgerkrieg der 30er Jahre hat es keine derartige Herausforderung gegeben: daß in einem Teil Europas ein blutiger Krieg tobt, dessen Funken im weiten Radius überspringen könnte, und die übrigen Europäer größtenteils ratlos und machtlos zusehen, während die Diplomatie den Krieg vielleicht eher nährt als eindämmt.

Im Jugoslawienkrieg gibt es Tausende und Abertausende Europäer, die nicht bloß zusehen und abwarten. Schon als sich in den Jahren 1990-91 die immer tiefere Verfeindung zwischen den verschiedenen Völkern Jugoslawiens, die Zuspitzung der traditionellen Konflikte in der Region (vor allem zwischen Serben und Kroaten und zwischen Serben und Albanern, zwischen Christen und Moslems) und die Herausbildung stark nationalistischer Regimes - am deutlichsten in Belgrad, um Milosevic - abzeichnete, gab es Initiativen für Frieden und Versöhnung. "Friedenskarawanen" wurden organisiert und durchzogen das Land: von Belgrad nach Prishtina, beispielsweise, oder - besonders eindrucksvoll - von Ljubljana über Zagreb, Novi Sad, Belgrad, Skopje und Prishtina nach Sarajevo, im September 1991: mit starker internationaler Beteiligung wollte man die Friedenskräfte in Jugoslawien sichtbar unterstützen. Konferenzen und Dialog-Veranstaltungen, Einladungen und Friedenscamps waren die bescheidenen Werkzeuge dieser alternativen Diplomatie und präventiven Anti-Kriegs-Aktion engagierter europäischer Bürger/innen. Aus den Staatskanzleien gab es keine Unterstützung, im Gegenteil: man fand Jugoslawien nach dem Ende des "Kalten Krieges" uninteressant und brauchte es nicht mehr als Puffer zwischen West- und Ostblock, und goß da und dort sogar noch Öl ins Feuer. Alle beteiligten Kräfte mußten glauben, sie könnten ihre unheilvolle Politik ungestört weiterführen und sogar noch steigern: die Mißachtung verfassungsmäßig garantierter Autonomierechte, die Unterdrückung der Albaner im Kosovo, die Zuspitzung der Kontraste bis zur einseitigen Sezession Sloweniens und Kroatiens und später der serbisch besiedelten Gebiete Kroatiens, die ersten Aggressionen, Vertreibungen, Besetzungen und schließlich der Beginn einer allgemeinen "ethnischen Säuberung", mit dem unheilvollen Ziel, klare Grenzen zwischen Völkern zu schaffen und nicht mehr das gewiß oft mühevolle Zusammenleben pflegen zu müssen. Der gegenwärtige Krieg in Bosnien-Herzegovina und die ungewisse Zukunft im Kosovo, in Mazedonien, in der Vojvodina, im Sandjak-Gebiet, in weiten Teilen Kroatiens und selbst im abgelegenen Montenegro läßt keine Aussicht auf baldige und friedliche Lösung erkennen, solange das Prinzip der ethnischen Flurbereinigung und Homogeneisierung anstelle des multi-ethnischen und multi-kulturellen Zusammenlebens vorherrscht.

Tausende und Abertausende europäischer Bürgerinnen und Bürger aus vielen Ländern stehen diesem Krieg anders gegenüber als dem spanischen Bürgerkrieg: man entsendet (von gefährlichen Ausnahmen abgesehen) nicht Kriegsfreiwillige, die auf der einen oder anderen Seite mitkämpfen, sondern man bemüht sich um drei sehr konkrete Ziele: 1. Solidarität und Hilfe für alle Opfer dieses Krieges; 2. Initiativen zur Unterstützung jener immer noch aktiven und mutigen Friedenskräfte in allen Teilen des ehemaligen Jugoslawiens, die demokratische und friedliche Wege suchen und den Mut zur Wiederversöhnung haben, aber von außen her praktisch ihrem Schicksal überlassen werden; 3. politischer Druck wird auf die europäischen Institutionen ausgeübt, damit das ganze Gewicht Europas für eine friedliche und gerechte Lösung zur Beendigung des Krieges und Verhütung weiterer Kriege in der Region eingesetzt wird.

Ob es da um die "Helsinki Citizens' Assembly" oder die italienische "Associazione per la pace", um christlich charakterisierte Organisationen wie "Pax Christi" oder "Beati i costruttori di pace" oder humanitäre Gruppen wie "Médecins sans frontières" oder "Equilibre" geht, um das internationale "Verona Forum for Peace and Reconciliation in the Former Yugoslavia" oder das belgische "Forum voor Vredesaktie", um die Nordischen Kirchen oder die Gewerkschaftsaktion "International Workers Solidarity" und zahllose andere - sie alle haben etwas gemeinsam:

Frauen und Männer, vor allem junge Menschen aus ganz Europa begnügen sich nicht, zuhause mit politischen Demonstrationen oder Spenden ihre Anteilnahme auszudrücken, sondern sie gehen unmittelbar in die betroffenen Regionen, bauen direkte Verbindung mit den Friedenskräften im ehemaligen Jugoslawien auf, nehmen Flüchtlinge bei sich auf, organisieren Besuche, telefonische Kontakte, praktische Solidarität.

Noch nie hat es eine so breite und so konkrete Solidarität und "Friedensintervention" gegeben - hier wird ein äußerst kostbarer Grundstein auch für den zivilen, menschlichen und politischen Wiederaufbau des Zusammenlebens im ehemaligen Jugoslawien gelegt.

Die Erfahrungsberichte in diesem Buch sind ein kleiner, bedeutsamer Ausschnitt aus diesem engagierten europäischen Mosaik: sie zeigen, wie man konkret und glaubhaft Zeichen setzt. Für Solidarität und Zusammenleben, gegen ethnische Säuberung und Intoleranz.

Darin liegt heute eines der größten europäischen Anliegen überhaupt.


Alexander Langer

Mitglied des Europäischen Parlaments und des Verona Forums for Peace and Reconciliation in Former Yugoslavia

FÜR VREDESAKTIE, November 1993
pro dialog