Alexander Langer Alexander Langer Schriften - Alexander Langer Ex-Jugoslawien

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Italiens zwiespältige Jugoslawienpolitik

1.2.1992, Aus "Kommune" / Brief aus Italien
In den Straßen von Zagreb wehten in der Euphorie der staatlichen Anerkennung durch die EG neben den kroatischen auch deutsche und Europa-Flaggen, keine italienischen. Doch der erste prominente Staatsgast in den beiden neuen adriatischen Republiken war der umstrittene italienische Staatspräsident Cossiga, der bereits im Herbst 1991 zu Fuß die (ehemals triste und dramatische) Grenze zwischen dem italienischen und dem jugoslawischen Teil der Stadt Görz überschritten und den Slowenen Mut zugesprochen hatte. Und nach dem Vatikan, der eine besonders aktive Rolle in der diplomatischen Anerkennung der beiden neuen, dezidiert katholischen Staaten gespielt hatte, war Italien in den letzten Monaten immer stärker neben Deutschland und Österreich zum Garanten ihrer vollen Staatlichkeit aufgerückt.

Das war aus vielen Gründen nicht selbstverständlich und nicht unproblematisch. Italien hat ein begreifliches Interesse an der Stabilität der Adria-Region, und hatte nur unter größten innenpolitischen Wehen im Lauf der Jahrzehnte seine Erbfeindschaft gegenüber Jugoslawien begraben. Seit dem Römerreich der Zeit der Venezianer hatte Italien immer wieder auch über die Ostseite der Adria zu herrschen versucht. Das bedeutete Konflikt mit Alt-Österreich, aber auch mit Kroaten, Serben und Slowenen. Nach beiden Weltkriegen hatte Italien sich an seiner Ostflanke ungerecht amputiert gefühlt: Istrien und Dalmatien wurden als italienisch-venetisches Erbteil empfunden, und unter dem Faschismus war dies ja auch durch mehrere außenpolitische und militärische Vorstöße (von der Besetzung der Stadt Fiume bis hin zum Überfall auf Albanien, der Aggression gegen Jugoslawien und der Unterstützung des kroatisch-faschistischen Regimes..) in die Tat umgesetzt worden. Nach dem 2. Weltkrieg kam die Retourkutsche: hunderttausende von Italienern wurden von den Tito-Truppen aus ihrer angestammten Heimat in Istrien und Dalmatien vertrieben, und jahrelang (bis 1954) erhob Jugoslawien auch ernsthafte Ansprüche auf Triest; die gesamte übrige Halbinsel Istrien blieb jugoslawisch. Vom verheißenen Minderheitenschutz für die verbliebenen Italiener, samt Schulen, Zweisprachigkeit und Kulturautonomie, wurde nur herzlich wenig verwirklicht, und bloß konforme italienische Zirkel genossen eine gewisse Aktionsfreiheit. Umgekehrt ging Italien mit seiner slowenischen Minderheit in Triest und der Region Friaul-Julisch Venetien auch nicht gerade freundlich um. Praktisch wurde sie immer wieder als mitverantwortlich für einige von den Tito-Partisanen verübten Massaker (denen nicht nur Faschisten und Nazi-Kollaborateure zum Opfer gefallen waren) angesehen, was man sie spüren ließ, und als gefährliche Vorhut des Ostens und des Tito-Kommunismus': kein Vergleich etwa zu den deutschsprachigen Südtirolern, die ja weitgehend mit den Nazis kollaboriert hatten, aber eben den Vorzug besaßen, nicht gerade an der Blockgrenze zu siedeln. So war es in Triest selbst 1976 noch zu extrem emotionalen Reaktionen gekommen, als Italien im Vertrag von Osimo seinen endgültigen Verzicht auf Gebietsansprüche unterzeichnete und sich eine neue Zeit der guten Kooperation mit Jugoslawien anzubahnen schien. Und selbst dem unabhängigen Slowenien gegenüber fordert heute Italien eine Minderheitenpolitik zugunsten der Italiener, die sie erklärtermaßen den eigenen Slowenen nicht zugestehen will, "weil die historischen Voraussetzungen eben einfach ganz anders sind und die Slowenen in Italien niemals um ihr Überleben fürchten mußten" (Außenminister De Michelis).

So hatte die italienische Außenpolitik lange und fest an der Option zugunsten des jugoslawischen Bundesstaates festgehalten und auch in Sachen Kosovo gut und gerne beide Augen zugedrückt. Die bis Juli 1991 konsequent verfochtene Linie der EG, die Kräfte um die Bundesregierung von Antje Markovic zu stützen, war von Italien wesentlich mitbeeinflußt. Mehr noch: seit einigen Jahren hatte man in der Farnesina, dem italienischen Außenministerium, eine eigene Spielart der Ostpolitik entwickelt. Gianni De Michelis nannte sie "Pentagonale": die ganz besondere und privilegierte Zusammenarbeit von fünf Staaten, nämlich Italien, Österreich, Jugoslawien, Ungarn und Tschechoslowakei: eine Art Hinterhof verhinderter italienischer Großmachtpolitik mit Staaten, denen Italien den Weg in die EG ebnen und dafür seinen eigenen (vor allem kommerziellen) "Drang nach Osten" befriedigen wollte. Noch vor kurzem wurde Albanien als sechstes Land im Bunde dazu eingeladen, und übernahm Jugoslawien seinen Turnus-Vorsitz. Heute bleibt die Pentagonale bzw. Hexagonale schamhaft unerwähnt.

Als es mit den Unabhängigkeitserklärungen und dem Krieg begann, hatte Italien anfangs noch all seine Kraft aufgeboten, um Deutschland und Österreich zur Vorsicht zu mahnen und auf die Gefahren einer unkontrollierten Zersetzung und "Balkanisierung" hinzuweisen. Doch geriet diese Politik schon sehr bald innenpolitisch unter Beschuß. Im katholischen Nordosten Italiens begannen sich die christdemokratischen Regionalpräsidenten - deren Regionen übrigens in der "Alpe Adria" seit langem auch mit Slowenien und Kroatien zusammenarbeiteten - für die Unabhängigkeit der Nachbarn stark zu machen. Nicht immer bloß aus politischen oder konfessionellen Gründen - auch, weil man diesen wichtigen neuen Markt und Einflußbereich nicht kampflos den Österreichern und Deutschen überlassen wollte. Der italienische Nordosten versteht sich als neue verkehrs- und handelspolitische Drehscheibe gegenüber Ost- und Südosteuropa, da kann man gefügigere und wohlhabendere Nachbarn gut brauchen. Und dafür, daß man sich auch in Jugoslawien des rückständigen Südens lieber entledigen möchte, hat man im nördlichen und reichen Italien allemal viel Verständnis, wie der Zulauf zu den nord-bewußten "leghe" zeigt. Aber auch unerwartet heftige Freunde der slowenischen und kroatischen Unabhängigkeit traten auf den Plan: Marco Pannella, beispielsweise, der sich immer als gewaltfreier Gandhi-Anhänger präsentiert hatte, zog über Weihnachten in kroatischer Kampfuniform (unbewaffnet) nach Osijek. Die Friedensbewegung hingegen engagiert sich seit Monaten mit großem Nachdruck für die Aufrechterhaltung des innerjugoslawischen Dialogs, für politisches Asyl für Deserteure und Wehrdienstverweigerer aller Seiten, für humanitäre Hilfe und für sichtbare Rückendeckung für die verschiedenen Friedenskräfte in Jugoslawien.

Angesichts der neuen Unabhängigkeit entstehen auch neue Widersprüche. Italienische Faschisten, die sich als Freiwillige in Kroatien gemeldet hatten, demonstrieren nun gegen slowenische Forderungen nach neuen Sprachenrechten in Triest. "Slowenische Aufschriften in der Stadt? das wäre eine Beleidigung!" Nicht zuletzt ist daran zu erinnern, daß in Italien schon seit Monaten - und nicht bloß von den Neofaschisten - eine Debatte darüber entfacht wurde, ob denn Gebietsverzichte, die gegenüber Jugoslawien unterzeichnet wurden, auch dann noch Geltung bewahren, wenn neue Staaten, die ja nicht zu den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs gehören, an dessen Stelle treten.

So steht heute Italien etwas zwiespältig da: die vormalige Jugoslawienpolitik ist, wie dieser Staat selbst, in Brüche gegangen, das Streben nach Macht und Einfluß im Balkan riskiert, unter deutsche Räder zu geraten, und dieselben Kreise, die sich am meisten für die nationalen Anliegen der Slowenen und Kroaten erhitzt haben, auch weil sie darin eine späte Rache am Tito-Kommunismus und ein abendländisch-katholisches Anliegen sahen, könnten sich nun als gefährliche Nachbarn für diese beiden Staaten erweisen.

Aus "Kommune": Brief aus Italien, Februar 1992
pro dialog