Alexander Langer Alexander Langer Schriften - Alexander Langer Ex-Jugoslawien

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Einige bescheidene Vorschläge für positive Schritte auf dem Weg zu einer Lösung des Kosovo-Konfliktes

25.2.1994, Die Merheit der Minderheiten
Der Konflikt im Kosovo gehört mindestens seit 198889 zu den wichtigsten innerstaatlichen Auslösern der Jugoslawien-Krise und könnte in nicht allzuferner Zukunft das Herzstück eines noch viel größeren, blutigen, unabsehbaren regionalen und internationalen Konfliktes werden. Alle näher und ferner beteiligten Kräfte und Beobachter sind sich dessen bewußt, und trotzdem schlittert man weiterhin wie gelähmt auf eine Katastrophe zu.

Die Lage ist nicht einfach, es gibt keine einfachen Lösungen. Je mehr ein Land als heiliger Boden gilt, desto schwieriger lösbar sind die damit zusammenhängenden Konflikte: man denke an Palästina/Israel. Jede Anstrengung, von innen und von außen, die eine friedliche Lösung zum Ziel haben will, muß auf alle Interessen und Gefühle Rücksicht nehmen, die dabei eine Rolle spielen.

Außerdem muß der regionale Kontext bedacht werden: das ehemalige Jugoslawien, das veränderte Albanien, der Balkan, der Südosten Europas, der ehemals kommunistische Machtbereich, die Nachwirkungen der großen historischen Faktoren (Imperien, Erbfeindschaften, Kulturbrüche...).

Keine Lösung kann in einem einzigen Schritt erzielt werden, keine Lösung wird alle Seiten voll zufriedenstellen können (im Gegenteil: eine möglichst gerechte Lösung wird auch Verzichte und Unzufriedenheit möglichst gerecht verteilen müssen), keine Lösung kann durch eine Kraftprobe (bis hin zur _ethnischen Säuberung_) herbeigeführt werden, keine Lösung ist ohne demokratische und friedenspolitische Fortschritte in der ganzen Region (insbesondere in Serbien-Montenegro) denkbar.

Hier sollen, aus der Erfahrung in diesem und anderen Gebieten Europas, wo es Nationalitätenkonflikte gibt, einige Vorschläge unterbreitet werden, die hilfreich sein könnten. Diese Vorschläge bewegen sich bewußt nicht auf der Ebene der internationalen oder innerstaatlichen Machtpolitik, sondern mehr auf der Ebene der zivilen Gesellschaft. Dies ist gewiß nicht die einzig mögliche Handlungsebene und wohl heute auch nicht die ausschlaggebendste aber vielleicht momentan die aussichtsreichste und jedenfalls die notwendigste, wenn eine dauerhafte friedliche und demokratische Lösung erreicht werden soll.

Vorschläge, die Fortschritte in Richtung einer Lösung enthalten können:

Unterstützung und Stärkung, auch von außen, aller gemäßigten Elemente und _Brückenbauer_ in der Region und um die betroffene Region: gemäßigte politische Parteien oder Gruppierungen auf kosovo-albanischer und serbischer Seite, kirchlicher Bemühungen (die katholischen Albaner könnten eine positive Rolle ausüben), Intellektuelle und Journalisten, die noch nach beiden Seiten Kontakt haben, Auslands-Emigranten, die aus der Ferne mäßigend und klärend wirken können...

internationaler Druck zwecks Wiederherstellung elementarer Vorbedingungen für ein Minimum an demokratischer politischer Dynamik (Wiedereröffnung des kosovo-albanischen Schulwesens, der Medien, politische und gewerkschaftliche Organisationsfreiheit, großzügige Lösung der Probleme der politischen Gefangenen, normale Ausgabe von Reisepässen, usw.)

Schritte zur Herabsetzung militärischer und paramilitärischer Präsenz, Entmilitarisierung, _Abrüstung_

Förderung jeglicher Art von gegenseitigem Kennenlernen und Kooperation, Informationsaustausch, Austausch von Schülern und Jugendlichen (auch im Ausland) zwischen Serben und Kosovo-Albanern, gegenseitigen (zweisprachigen?) Publikationsmöglichkeiten, Kolloquien, gemeinsamen Projekten (sozialer, ökologischer, wissenschaftlich-technischer, ökonomischer... Art)

glaubwürdige Zusicherung, daß keine ethnischen Säuberungen (weder gegen Albaner, noch gegen Serben) stattfinden werden, Zusicherung des _Heimatrechts_ und der vollen Gleichberechtigung für alle im Kosovo lebenden Menschen

Herausbildung einer Mentalität der Gleichzeitigkeit und Gegenseitigkeit: Förderung einer Dynamik, wonach gleichzeitig von beiden Seiten vertrauensbildende Maßnahmen ausgehen, die der öffentlichen Meinung im einen und im anderen Lager entgegenkommen und positive aufklärerische Wirkung haben (natürlich muß dabei auf die Realität geachtet werden: heute ist die albanische Seite in einer extrem schwachen Position, morgen könnte dies der serbischen Seite passieren)

Förderung einer diskreten und höchst behutsamen Hilfe von außen: Beobachter, Helfer, Freiwillige, Besucher usw. können ebenfalls eine wichtige Funktion haben: besser sie betätigen sich als _Brückenbauer_ denn als Schiedsrichter oder gar Anheizer

explizite politische und moralische Anerkennung der Gewaltlosigkeit als demokratischer Einstellung und politischer Strategie, die ermutigt und honoriert werden muß

eine enorme Wichtigkeit können gemischte (albanisch-serbische) Gruppen, Initiativen, Blätter, Camps, Tagungen, usw. haben

gemeinsame Einladungen an serbische und albanische Vertreter zu Besuchen und Studienreisen in europäische Regionen, wo es ethnische Spannungen gab/gibt und positive Lösungsansätze entwickelt wurden (z.B. Südtirol/Italien, Baskenland/Spanien, Schweiz...)

Natürlich darf nicht angenommen werden, daß durch positive Schritte in der zivilen Gesellschaft automatisch das Konfliktpotential eliminiert und die Chancen für zufriedenstellende demokratische Lösungen gesichert werden doch würde damit u.a. eine Schicht von dialogfähigen Demokraten in beiden Lagern gefördert und gestärkt, die als ganz wesentliche Voraussetzung für jeglichen positiven Fortschritt angesehen werden muß.

In diesem Sinne sollten sich ab sofort internationale offizielle und nicht-offizielle Organisationen einsetzen und sich das ruhig auch etwas kosten lassen. Derartige Schritte können bis zu einem gewissen Grad auch gesetzt werden, ohne daß vorher Einvernehmen über den zu erstrebenden Endzustand oder über die Lösung der heikelsten und umstrittensten Fragen erzielt wird.

(Stellungnahme auf der Konferenz "Kosovo. confrontation or coexistence" Amsterdam 21-25-2-1994)
pro dialog