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Über die Umweltverträglichkeit der europäischen Gemeinschaft

4.10.1990, EURES-Tagung in Freiburg am 4.Oktober 1990
Der "task-force"-Bericht über die Umweltauswirkungen des gemeinsamen europäischen Marktes, der ja schließlich von der EG-Behörde (Umweltkommissar Ripa di Meana) selbst in Auftrag gegeben und gewiß nicht mit einem a-priori abweisenden Vorurteil erarbeitet wurde, stellt ein Alarmzeichen dar. Man könnte ihn als eine Umweltverträglichkeitsprüfung des großen europäischen Binnenmarktes (ab 1993) bezeichnen - und das Ergebnis fällt negativ aus. Der Wachstumsschub, der durch diesen einheitlichen Markt hervorgerufen wird, und die prognostizierten Zuwachsraten beispielsweise in den Bereichen Verkehr, Müll, Energieverbrauch, Chemie u.d.m. fordern alle jene Kräfte, die sich gleichzeitig als europäisch und ökologisch verpflichtet verstehen, heraus, ihre Energien zu mobilisieren, um das Bad vom Kinde zu scheiden, wenn nicht beides gemeinsam ausgeschüttet werden soll. Mit anderen Worten: ein Europa-Projekt, das sich vorrangig durch seinen Markt ausweist und sich genau jenes Wachstum vornimmt, das auch im "task-force"-Bericht als gefährlich und mit der Umwelt nicht vereinbar erkannt wird, muß den Widerstand der naturbewußten Kreise wecken und kann zu globaler Ablehnung der europäischen Integration überhaupt führen. Umso mehr, wenn man bedenkt, daß die an sich wünschenswerte Einbeziehung auch Mittel- und Osteuropas in den europäischen Einigungsprozeß diese Tendenzen noch verschärft und ausweitet.

Die vier "großen Freiheiten", die heute als die Eckpfeiler des Binnenmarktes angepriesen werden, kämen in ihrer Wildwüchsigkeit den Naturhaushalt sehr teuer zu stehen. Die Freizügigkeit und Beweglichkeit - also: Allgegenwart, Austauschbarkeit und Durchlässigkeit - der Kapitalien, Güter, Dienstleistungen und Personen zeichnet genau jenes Bild vom Wachstum, das zu den geschätzten und teilweise sogar recht genau berechenbaren Folgen führen wird, die im "task-force"-Bericht relativ vorsichtig beschrieben werden.

Die vier "großen Freiheiten", die wir uns von grüner Seite als wünschenswert und europafördernd vorstellen könnten, sehen anders aus: wir wünschen uns Freizügigkeit (d.h. einen für ganz Europa verbindlichen "gemeinsamen Vorrat") im Bereich der Menschenrechte, der ökologischen Bindungen und Richtwerte, der sozialen Garantien und der demokratischen Partizipation (Recht auf Information inbegriffen). Und wir bemühen uns um eine europäische Integration, die diese Freiheiten zu Prioritäten macht, und den gemeinsamen Markt einer gemeinsamen Politik, gemeinsamen Werten, gemeinsamen demokratischen Entscheidungen nach- und unterordnet. Der "task-force"-Bericht bestätigt uns in unserem Bestreben, die politische europäische Gemeinschaft zu fordern, bevor wir uns der Eigendynamik des großen Marktes überantworten.

Allerdings kann man nicht schlicht den EG-Prozeß als solchen für jegliches negativ zu bewertende Wachstum verantwortlich machen, und schon gar nicht in der Abschottung der Nationalstaaten die glaubhafte und wirksame Alternative dazu sehen. Das meiste von dem, was im EG-Binnenmarktprojekt Form und Gestalt annimmt, entspricht dem sowieso ablaufenden Konzentrationsprozeß, und wir werden uns nur zu entscheiden haben, ob wir glauben, auf einer europäischen politischen Ebene wirksam etwas zur Fesselung und Steuerung dieser Eigendynamik tun zu können, oder ob wir die Beibehaltung der Nationalstaaten vorziehen.

Persönlich glaube ich, daß gerade der ökologische Notstand überaus deutlich macht, daß die derzeitige Dimension der meisten "National"staaten (eigentlich müßte man sie - wennschon - eher als Territorialstaaten bezeichnen) gleichzeitig zu groß und zu klein ist, und deshalb gleichzeitig nach unten und nach oben überwunden werden muß.

Zu groß, um echte Bürgerbeteiligung zu ermöglichen; zu groß auch, um ökologische Kreisläufe dort zu schließen, wo dies noch am ehesten möglich ist, nämlich auf der lokalen Ebene. Deshalb setzen wir uns für Regionalismus und lokale Selbstregierung ein, deshalb können wir uns einen europäischen Integrationsprozeß nur mit einer starken regionalen Dimension als wünschenswert vorstellen.

Zu klein, um wirksam die großen, grenzüberschreitenden Probleme angehen und lösen zu können: gerade die ökologischen (aber nicht nur diese). Wir brauchen da nur an die Alpen, den Rhein, die Nordsee, das Mittelmeer, die Energieversorgung, die Atomkraft oder den Verkehr zu denken.

Mir schiene es wenig zu bringen, wenn die ökologisch orientierten Kräfte sich im Wehgeschrei über den bösen Binnenmarkt erschöpften und nicht imstande wären, den unübersehbaren und seit den Ereignissen von 1989 im östlichen Teil unseres Kontinents noch wesentlich gestiegenen "Europabedarf" für sich und für eine andere Leitvorstellung europäischer Integration in Anspruch zu nehmen. Insofern scheint es mir sehr bedeutsam und begrüßenswert, daß sich die Umweltorganisationen auf die europäische Dimension einstellen und ihre Erwartungen und Forderungen dazu einbringen und nicht bloß Warnungen und Kritik vorbringen. Und da ökologische Politik ja heute unmittelbar und vorerst vor allem eine Politik der Selbstbeschränkung und der Schadensbegrenzung meinen muß, finde ich es überaus positiv, daß die europäischen Umweltverbände ein Memorandum zum Binnenmarkt einbringen und auf dieser Grundlage auch zu fordern und zu verhandeln gewillt scheinen. Denn es geht ja schließlich darum, nicht noch weitere unbezahlbare Schulden bei der Natur, bei fernen Völkern und bei den nachfolgenden Generationen zu machen, sondern endlich eine Politik des Haushaltsausgleichs - des ökologischen Haushaltsausgleichs! - zu beginnen.

Ich könnte mir deshalb gut vorstellen, daß Umweltorganisationen und ökologisch verpflichtete Gruppierungen heute mit Nachdruck eine europäische Umweltcharta fordern und ausarbeiten, in der die Rechte der Umwelt und die Rechte der Menschen auf Umwelt definiert werden, so wie wir sie heute zu sehen und zu formulieren imstande sind. Natürlich sind derartige Proklamationen nie unmittelbar bindend und wirksam, aber man denke bloß an die positive Erfahrung der Menschenrechtsdeklarationen seit 200 Jahren und an die exemplarische Funktion, die solche feierliche Anspruchsverkündungen haben können, auch solange sie sich noch nicht in allem durchsetzen lassen.

Und wenn die bisherigen europäischen Gemeinschaften ursprünglich als Pakt zur gemeinsamen Nutzung von Kohle, Stahl und Atomenergie (Montanunion, Euratom) entstanden sind, wäre es hoch an der Zeit, auf eine europäische Umweltunion hinzuarbeiten - statt Euratom brauchen wir "Eurosolar", aus einer Kohle-und-Stahl-Gemeinschaft müßte eine Energiespargemeinschaft werden, aus der bisherigen gemeinsamen Landwirtschaftspolitik des "wachse und weiche" eine gemeinsame Politik zur Sanierung des Bodens und der Landwirtschaft von der chemischen Übersättigung. Mit anderen Worten: nicht das Anliegen gemeinsamer europäischer Politik, des demokratischen Zusammenschlusses der europäischen Völker ist abzulehnen, sondern die Vorzeichen und Ziele, die den derzeitigen Prozeß kennzeichnen und dominieren.

Insofern scheint es mir äußerst wichtig und vielversprechend, wenn eine europäische Vernetzung der Umweltbewegung heranwächst und stärker wird, und imstande ist, gemeinsame Anliegen zu entwickeln und als Forderungen wirksam zu vertreten. So beispielsweise die Erarbeitung europäischer Steuerungsinstrumente im umweltpolitischen Bereich, als verbindliches Mindestrahmenrecht, das natürlich auch "überbietbar" sein muß. Europäische Harmonisierung muß heißen, daß gemeinsame Mindestverpflichtungen - z.B. zur Umweltverträglichkeitsprüfung, zu einem ökologisch verpflichteten Steuerrecht, zur Energie- oder Müllpolitik, zur Verkehrseindämmung, zum Immissionsschutz u.dgl. - von allen anerkannt und sozusagen als Untergrenze für jede weitere lokale, regionale oder nationale Ausgestaltung gelten müssen. Insofern kann die europäische Integration sogar sehr positiv wirken: es darf kein "ökologisches Hongkong oder Singapore" in Europa geben, wo Umweltdumping möglich ist, wie das in der Vergangenheit zum Beispiel bei osteuropäischen Mülldeponien der Fall war!

Und da wir uns europäische Umweltpolitik nur als demokratische Politik vorstellen können und wir sehr wohl wissen, daß gerade im ökologischen Bereich unsere bisher gewohnte Konsumentendemokratie durchaus auch zu horrenden Fehlentscheidungen führen kann, ist die gesamte europäische Umweltbewegung - wie immer sie sich öffentlich darstellt und organisiert - heute gefordert, eine kulturelle Wende, eine richtige Umbesetzung des bisher vorherrschenden EG-Begriffs anzubahnen: sind es bisher in allererster Linie ökonomische und finanzielle Kriterien, nach denen die Vor- und Nachteile des europäischen Integrationsprozesses gemessen und beurteilt werden, ist es nun höchste Zeit, die eingehende "Umweltverträglichkeitsprüfung" der Zielsetzungen und ihrer Durchführung zu fordern und zu praktizieren. Das Recht auf Umweltinformation (freier Zugang zu allen Umweltdaten) ist eine unabdingbare Voraussetzung dazu. Im Grunde ist es absurd und wäre späteren Generationen nur schwer verständlich zu machen, daß wir den europäischen Einigungsprozeß einer kurzsichtigen und kurzfristigen Ökonomie unterordnen, statt langfristig und dauerhaft zu wirtschaften.

Insofern würde ich - abschließend - einen Gedanken übernehmen, der mir im Entwurf für ein Memorandum der europäischen Umweltverbände anzuklingen scheint: wir brauchen heute - auch auf EG-Ebene, und gerade in Bezug auf den europäischen Integrationsprozeß - ökologisch verpflichtete Instanzen, die sozusagen die Umweltbremse zur Geltung bringen, die einer "ökologischen Vernunft" das Wort reden und auch Gehör finden können. Vielleicht könnte die Idee der "grünen Tische" (Umweltforen, usw.) ausgebaut und präzisiert werden: so wie heute bei internationalen Gremien beispielsweise die Gewerkschaften oder andere NRO's (Nichtregierungsorganisationen, vor allem im sozialen Bereich) ihren Status und ihre (leider recht bescheidene) Rolle haben, ist es an der Zeit, der Umweltschutzbewegung auf europäischer Ebene eine gewichtige Stimme zu geben.


Grüner Kommentar zum "TASK-FORCE-BERICHT" über die "Umweltverträglichkeit der EG"


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