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Alpenerklärung

4.6.1989
Die Alpen sind das größte und wichtigste europäische Gebirge. Von ihrem stabilen ökologischen Gleichgewicht hängt viel in Europa ab. Seine Auswirkungen sind im Wasserhaushalt, in den klimatischen Verhältnissen, in der Vielfalt der Flora und Fauna, in der landschaftlichen Schönheit, im Schutz der besiedelten Talgebiete vor Vermurung und Überschwemmung und in vielen anderen Bereichen nachhaltig zu spüren.

Jahrtausendelang war die ökologische Stabilität der Alpen durch ein einmaliges und großartiges Gleichgewicht zwischen natürlicher Lerbensgrundlage und menschlicher Bewirtschaftung gewährleistet. So konnten die Alpen gleichzeitig und maßvoll eine Vielfalt von Funktionen erfüllen: von der Land-, Wald- und Weidewirtschaft zum Paßverkehr, vom Siedlungsgebiet zum Wirtschaftsraum, vom Kulturland zum Erholungsgebiet.

Heute sind dieser Ausgleich und diese Stabilität schwer gefährdet, eine hohe Überbelastung und allzu kurzsichtige Ausbeutung der Naturschätze der Alpen rufen Störung um Störung hervor, zahlreiche Vorboten kündigen schon katastrophenartige Folgen an.

Massenhafter Durchzugsverkehr von Gütern und Personen (noch dazu vorwiegend auf der Straße), touristische Überbelastung vor allem in Ballungsgebieten, Verbauung und Zersiedlung, Erschließung selbst der Gletscher, Autobahnen, Straßen und Durchstiche, Übermechanisierung von Landwirtschaft und Sport, Verpestung und Verseuchung des Bodens, der Luft, des Waldes und des Wassers (bis zum Hochgebirge) durch Müll, Chemie, Schadstoffe aus Verkehr und Industrie, zusätzliche Belastung durch Militäranlagen und -Übungen, angeblich sportliche Großveranstaltungen, überflüssige sogenannte Forststraßen, Verödung und Erosion, Ausbreitung der Monokulturen und vieles mehr haben eine kolossale Gleichgewichtsstörung hervorgerufen, die in Kürze irreparabel zu werden droht.

Die Bewohner der Alpengebiete sind die ersten, aber nicht die einzigen Opfer dieser radikalen Beeinträchtigung. Die Entvölkerung vieler Alpentäler und die gleichzeitig auftretende übermäßige Bevölkerungsdichte in Ballungsgebieten, die Verdrängung echter angestammter Kulturen und ihre Verkümmerung zu Folklore, die zunehmende Abhängigkeit der Alpengebiete von den Metropolen sowie die immer mehr um sich greifende völlige Verkünstlichung des Verhältnisses zur Natur sind Anzeichen einer gefährlichen Verkehrung. Die Alpenwelt wird konsumiert statt erlebt.

Dabei ist doch bekannt, daß das Wohlergehen im Tal die Stabilität am Berg voraussetzt, und was "oben" in Ordnung ist, kann Störungen "nach unten" nur vervielfachen - zu bereinigen sind sie schwerlich.

Deshalb haben sich im Hinblick auf das immer stärkere Zusammenwachsen Europas - das sicher über die Grenzen der heutigen E.G. hinaus zu geschehen hat - Alpenbewohner und Bergsteiger aus verschiedenen Anrainerstaaten gemeinsam am Glockenkarkopf ("Vetta d'Italia") getroffen, um diesen Grenzberg zwischen dem italienischen und österreichischen Staatsgebiet symbolisch als "Europaspitze" anzusehen und hier vor der Europawahl 1989 eine gemeinsame Absichtserklärung und Verpflichtung zu deponieren, der sich in Zukunft alle anschließen können, die diese Absichten und Verpflichtungen teilen. In diesem Geist wurde auch die Tafel mit der zweisprachigen Inschrift "Europaspitze - Friede den Menschen, Bruderschaft mit der Natur - Die Grünen / Vetta d'Europa - Pace tra gli uomini e con la natura - i verdi / 4.6.1989" angebracht.

Alpen-Deklaration der europäischen Grünen

1. Die Alpen sind von zahlreichen Staatsgrenzen durchzogen. Heute haben diese Grenzen immer weniger Sinn und sollen bald ganz verschwinden. Wir wollen die Alpen als gemeinsame Heimat vieler kleiner und großer Völker betrachten, die keine Staatsgrenzen mehr brauchen, um einander zu respektieren und friedlich, freundschaftlich und solidarisch miteinander umzugehen.

2. Diese gemeinsame Heimat lebt von der Vielfalt der Völkerschaften, Sprachen, Kulturen, Überlieferungen und vom guten Zusammenleben zwischen ihnen. Wir wollen aus dem Alpenraum immer mehr ein zentrales und verbindendes Gewebe zwischen allen Menschen und Völkern Europas machen, das den Frieden bewahren und die gute Zusammenarbeit verbürgen soll.

3. Je mehr die Grenzen fallen und somit die Alpen nicht mehr von Rom, Wien, Bonn, Paris... aus regiert werden, desto wichtiger werden die regionalen Einrichtungen zur Selbstregierung und Selbstverwaltung. Wir wollen für das enge Zusammenwirken aller Alpenregionen und für die Verstärkung autonomer und föderaler Strukturen in ganz Europa eintreten.

4. Je mehr Europa zusammenwächst, desto mehr muß es sich um die Alpen als gemeinsames, unwiederbringliches, heute gefährdetes Erbe unseres ganzen Erdteils bemühen. Wir wollen dafür einstehen, daß das vereinte Europa den Schutz der Alpen als eine seiner großen Aufgaben wahrnimmt.

5. Die Bauern - und insbesondere die Bergbauern - des Alpengebiets waren bisher die wichtigsten Hüter dieser Natur- und Kulturlandschaft und des Gleichgewichts des Ökosystems Alpen. Wir wollen uns für die soziale, wirtschaftliche und kulturelle Absicherung und die ökologische Gesundung der bäuerlichen Landwirtschaft im Alpenraum besonders einsetzen.

6. Je mehr die Staatsgrenzen abzubauen sind, desto mehr gilt es heute, die natürlichen Grenzen der Belastbarkeit im Alpenraum zu erkennen und zu beachten. Die ökologische Stabilität ist gefährdet. Das Gleichgewicht zwischen Bewohnern und Besuchern, zwischen dicht und dünn besiedelten Gebieten, zwischen verschiedenen Nutzungsarten, zwischen Berg und Tal ist aus dem Lot gekommen. Wir betrachten die Wiederherstellung eines naturverträglichen Gleichgewichts im Alpenraum als vorrangige Aufgabe und wollen mit Nachdruck dafür eintreten und jede Störung und Verletzung vermeiden und bekämpfen, umso mehr als wir wissen, daß sie sich bergabwärts in katastrophalem Ausmaß vergrößern und vervielfachen wird.

7. Sanfte, schonende Bewirtschaftung der Alpen ist angesagt: Fremdenverkehr, Landwirtschaft, Industrie und Gewerbe, Sport, Verkehr, Energiegewinnung usw. müssen im Alpenraum ganz besonders maß- und rücksichtsvoll vor sich gehen. Großkraftwerke, Militärinstallationen, Großanlagen und -Veranstaltungen jeder Art, übertriebene wirtschaftliche Nutzungsarten oder gar geballte Monokulturen ökonomischer Ausbeutung haben in den Alpen nichts zu suchen. Wir wollen uns bemühen, das Bewußtsein der Bewohner und Besucher in diese Richtung anzusprechen und die nötigen Veränderungen ohne Verzug einzuleiten.

8. Die Alpen werden im Zuge der engeren wirtschaftlichen Verflechtung Europas immer öfter als ein zu überwindendes Verkehrshindernis betrachtet und mißhandelt. Wir wollen dafür einstehen, daß sich Verkehrswege und Verkehrsaufkommen den natürlichen Gegebenheiten anzupassen haben und nicht umgekehrt. Der Kampf vieler Alpenbewohner gegen die Verkehrslawine ist ein wichtiger Beitrag zum Umbau der europäischen Wirtschaft, hin zu mehr regionalem Gleichgewicht und somit weniger Transportzwang.

9. In den Alpen liegt ein wesentlicher Teil der europäischen Restbestände an unberührter Natur. Wir wollen uns dafür einsetzen, daß sie vor technologischer und ökonomischer Inbesitznahme geschützt wird.

10. Da die Alpen als besonders sensibles Ökosystem auf Beeinträchtigungen besonders schnell reagieren und die angestammten Alpenbewohner in ihren Traditionen und Rechtsordnungen eine besondere Veranlagung für eine naturschonende Symbiose mit der Umwelt entwickelt haben, wollen wir in Zusammenarbeit mit allen ähnlich gesinnten und engagierten Menschen und Organisationen darauf hinwirken, daß aus dem Alpenraum besonders aktive und überzeugungsfähige Impulse für die allseits notwendige ökologische Wende nach ganz Europa ausströmen.

Vom zukünftigen Europaparlament, von den anderen europäischen Institutionen - auch außerhalb der E.G. -, von den derzeit noch bestehenden Staatsregierungen und von den regionalen und lokalen Selbstverwaltungsgremien erwarten wir uns, daß sie positiv und sensibel auf die Anliegen dieser Alpen-Deklaration reagieren.

Alle Bewohner und Besucher des Alpenraums laden wir ein, gemeinsam in diesem Sinne bewußt zu werden und entsprechend zu handeln.

Kasern, Ahrntal, 4.6.1989

Erstunterzeichner

Alexander Langer und Carlo Alberto Pinelli, Europakandidaten der grünen Liste Italiens

Karl Partsch, Europakandidat der bundesdeutschen GRÜNEN

Gianni Tamino und Renato Fiorelli, Europakandidaten der grünen Regenbogenliste Italiens

Gerhard Stürzlinger, Abgeordneter der Grün-Alternativen zum Tiroler Landtag (Österreich)

Sandro Boato, Abgeordneter der Grünen zum Trentiner Landtag (Italien)

Alessandra Zendron, nachrückende Abgeordnete der Grünen Alternativen zum Südtiroler Landtag
pro dialog