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Die ökologische Wende wird sich nur durchsetzen, wenn sie auch sozial wünschbar erscheint
1.9.1994, Toblacher Gespräche
Höchste Zeit für eine demokratische Umweltverfassung1.
Wir haben falschen Reichtum geschaffen, um falsche Armut zu bekämpfen - König Midas der Schutzheilige unseres Zeitalters
Seit einigen Jahrhunderten wird in hohem Maße und unvergleichlich schneller als früher falscher Reichtum aus Furcht vor falscher Armut produziert. An solchem Überreichtum - wie an Übergewicht, Überfütterung, Überverarztung... - kann man auch zugrunde gehen. Der falsche Wohlstand als Befreiung von der falschen Not ist unsere Krankheit, im industrialisierten und sogenannten "hochentwickelten" Teil der Welt: von Handarbeit, Wetter, Natur, Krankheit, Mühe, Schwäche und vielleicht sogar Tod sind wir weitgehend losgekommen, dafür leiden wir an Atomstrahlung und Müllberg, aber auch an Auszehrung unserer Phantasie und Schwindsucht unserer Wünsche - ist doch alles machbar und käuflich geworden. Jedes Gleichgewicht - das ja niemals für immer hergestellt war - ist offenkundig verlorengegangen.
Nicht nur der Zauberlehrling ist die Symbolgestalt unseres Zeitalters. Der antike König Midas - dessen Wunsch erfüllt wurde, alles, was er berührte, in Gold zu verwandeln - bietet sich als der eigentliche Schutzheilige der Fortschritts- und Entwicklungsfanatiker an, als der hochaktuelle Vorläufer der Segnungen unserer Zivilisation. Was wir - was die hoch-industrialisierte, hoch-gerüstete und hoch-technologisierte Menschheit - berühren, verwandelt sich in Geld, in handelbare, gewinnbringende Güter und Dienstleistungen, kurzum in angeblichen Wohlstand.
2.
Man kann nicht mehr so tun, als wüßte man nichts: der Erkenntnisprozeß des letzten Vierteljahrhunderts hat Einsichten zutage gefördert, Alarm wurde geschlagen, Einzelmaßnahmen getroffen
Seit einigen Jahrzehnten und mit zunehmend detaillierterer Sachkenntnis kennt man zahllose Aspekte dieser Verarmung durch angeblichen Wohlstand. Wir hören schon fast nicht mehr hin, wenn die mehr oder weniger vollständig die Litanei der Umweltkatastrophen heruntergebetet wird.
Wir haben ein Vierteljahrhundert damit zugebracht, sie zu erkennen, zu diagnostizieren und zu prognostizieren, Alarm zu schlagen und Aufrufe zu verabschieden, teilweise Konventionen und Gesetze zu erlassen und Institutionen zur Katastrophenbekämpfung zu schaffen. Der technische Umweltschutz in der industrialisierten Welt hat sich gewiß erheblich verbessert, einzelne Erfolge sind zu verzeichnen: die Industrie verschmutzt heute weniger, einige tote Gewässer beleben sich wieder, einzelne gefährdete Arten wurden durch Unterschutzstellung noch gerettet und "umweltfreundlichere" (d.h. weniger schädliche) Waschmittel, Treibstoffe und Verpackungsfolien wurden eingeführt.
3.
Warum führte der Alarm nicht zu entsprechenden Taten? Ist das luzide Intervall (Stockholm 1972-Rio 1992) schon vorbei?
Katastrophenalarm, Lamentieren, Demonstrieren, Boykottieren, Unterschriftensammeln...: all dies hat beigetragen, den Notstand zu erkennen und ins Bewußtsein zu bringen: die Krankheiten wurden ausgemacht und benannt, die Möglichkeiten der Heilung (soweit noch gegeben) erörtert und studiert - umfassende Therapien wurden aber bisher nicht eingesetzt. Und was am entscheidendsten erscheint: der Wille zur Heilung ist alles eher als gesichert, denn er würde entschlossene Signale der Umkehr, der Wende erfordern. Und da der ökologische Notstand ja nicht bloß auf diktatorische Entscheidungen einer profitgierigen oder zerstörungswilligen Verschwörerclique zurückgeht, sondern diese Entscheidungen tagtäglich durch ein Plebiszit konkreter Verhaltensformen mit massenhaftem Konsens bestätigt werden, ist die Wende auch entsprechend schwer herbeizuführen. Nicht bloß die Fabrikanten und Absahner umweltzersetzender Produkte, Herstellungsweisen und Konsumformen stellen sich der Wende massiv entgegen - die große Mehrheit der Bevölkerung stimmt ebenfalls "mit den Füßen" (nein, eigentlich mit den Gaspedalen!) für diese Form der Zivilisation und würde es sich schwer verbitten, sich den Gürtel enger schnallen zu lassen. Opfer und Täter sind also schwer zu unterscheiden und fallen vielfach zusammen. Selbst die Opfer in der Dritten Welt oder im Osten träumen vielfach nur davon, möglichst schnell und möglichst ausgiebig an diesem Prozeß teilzuhaben.
Dürfen wir uns wundern, wenn heute sogar die Diagnose, die Erkenntnis in Frage gestellt wird? Berlusconi, der neue italienische Regierungschef, verhöhnte in seiner Antrittsrede im Parlament die ökologischen Warner und deren Treibhaus-Schreckgespenst: "in einer Zeit, die soweit vor uns liegt, wie die Ermordung Julius Cäsars zurückliegt, wird es vielleicht eine leichte Erwärmung geben..." Also - wird gefolgert - kann man munter weiterbetonieren und Energie verheizen.
Ist also das luzide Intervall der Erkenntnis, das man symbolisch in den zwei Jahrzehnten zwischen den Welt-Umweltkonferenzen von Stockholm (1972) und Rio de Janeiro (1992) ansiedeln könnte, schon vorbei? Ist man des Lamentierens müde und meint, man sollte das Zusammenwachsen der Welt nach dem Fall der Ost-West-Systemgrenzen durch einen globalen neuen Wachstumsschub zelebrieren? Es sieht so aus. Und mehr und mehr scheint sich die Tagesordnung des Weltgeschehens wieder auf Kriege und Börsen zu konzentrieren - zwei besonders akute Formen auch der Umweltzerstörung.
4.
"Sustainable development": Stein der Weisen oder neue Verschleierungsformel?
Seit einigen Jahren (Brundtland-Bericht 1987) ist die magische Formel des "sustainable development" - der verträglichen oder gar nachhaltigen Entwicklung - die scheinbar gelungene Quadratur des Kreises: ein Kürzel für die Erkenntnis der Notwendigkeit einer gewissen Wachstumsbegrenzung, einer weisen Selbstbeschränkung des hochindustrialisierten und hochgerüsteten Teiles der Menschheit und für die Einsicht, daß mehr Gleichgewicht auf Dauer die bessere Investition ist als härterer Wettbewerb, wobei der Begriff "Entwicklung" (d.h. Wachstum) doch noch in der Zieldefinition erhalten bleibt. Doch hat gerade das äußerst magere Ergebnis der UNCED-Konferenz in Rio (und das weitgehende Ausbleiben konkreter Folgen) gezeigt, wie weit man von einer echten Kurskorrektur oder gar Wende noch entfernt ist.
Wenn deshalb "sustainable development" letztlich bloß heißt, daß der Süden der Welt mit seinen Ressourcen unter Aufsicht des Nordens pfleglicher umgehen soll, damit sie weltweit aufs rationalste eingesetzt werden können, ist darin wohl nicht jene mobilisierende Zielvorstellung enthalten, die im Norden und im Süden unserer Erde die Kräfte für eine Umkehr entfachen und nähren könnten.
5.
Malis extremis extrema remedia? ("Kuh hin, Kalb hin"? Ökodiktatur?)
Angesichts der Sackgassen, in denen wir uns offensichtlich befinden, mag es dann und wann passieren, daß extreme Auswege gesucht werden. Auch unter Umweltfreunden, die ja eigentlich einer Kultur des Maßhaltens verpflichtet sind, kann es - wenn auch heute eher isoliert - solche geben, die das eine oder andere Extrem befürworten. Benennen könnte man sie folgendermaßen: einerseits "Kuh hin, Kalb hin" (um es in der ortsüblichen Sprache zu formulieren), d.h. die Überzeugung, daß gegen die Umweltkatastrophe sowieso nicht mehr wirksam vorzugehen ist, und deshalb in der Evolution der Erde eben wieder einmal ein Schub Desaster fällig ist. Vielleicht trifft das Schicksal des Aussterbens diesmal den Menschen, vielleicht wird unser Planet überhaupt unbewohnbar. Oder - im kleineren Maßstab: Seuchen, Verschmutzung, Versteppung, Klimaveränderung usw. werden eben radikale Veränderungen in der Biologie, in der Geographie und in der Zivilisation der Erde hervorrufen, und zwar mit ganz anderem Nachdruck, als dies je Politik, Wissenschaft oder Markt zustandebringen könnten. Das entgegengesetzte Extrem könnte man in der Forderung nach einem ökologisch-ethischen Staat, vielleicht sogar nach einer weisen, möglichst weltweiten Öko-Diktatur sehen: da die Menschheit mit ihrer Freiheit Schindluder getrieben und ihr eigenes Überleben - zusammen mit der gesamten Umwelt - aufs Spiel gesetzt hat, braucht sie die fachkompetente und ethisch fundierte Bevormundung durch eine ökologische Obrigkeit, die der Anarchie umweltzerstörender Verhaltensweisen endlich den Garaus macht.
Mit diesen beiden Extremen ist Politik nicht zu machen - jedenfalls keine demokratische. So oft der "ethische Staat" als Alternative zum - gewiß abzulehnenden - "unethischen" Zustand oder gar Staat versucht wurde, war die ethische Bilanz der Freiheitsberaubung fürchterlich. Und fürs Warten auf die reinigende Katastrophe braucht es gar keine Politik - bezeichnet dieser Begriff doch gerade das Gegenteil des schlichten Hinnehmens einer Auslese durch Katastrophen und Kraftproben.
Also wird man gerade für eine ökologisch verpflichtete Politik den Schlüssel anderswo suchen müssen - sosehr man die Verzweiflung verstehen kann, die manchmal aus den Befürwortern solcher Extreme spricht. Unweigerlich wird man sich der Mühe einer äußerst behutsamen und komplexen Vernetzung von sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen, gesetzgeberischen, administrativen, wissenschaftlichen und umwelt-technischen Schritten stellen müssen. Den wuchtigen Befreiungsschlag, der mit einem revolutionären Akt den Weg für die Umkehr eröffnet, den gibt es nicht, Kompromisse und Zwischenschritte sind unumgänglich, geduldige Überzeugungsarbeit wird zu leisten sein.
6.
Die Schlüsselfrage: Wie kann eine ökologisch verträgliche Zivilisation wünschbar erscheinen? "Lentius, profundius, suavius" statt "citius, altius, fortius"
Die Schlüsselfrage scheint also nicht in erster Linie zu sein, was wir tun können oder müssen, sondern woher Motivation und Impulse kommen sollen, die eine Umkehr möglich machen. Angst vor der Katastrophe hat, bisher zumindest, diese Auswirkung nicht gezeitigt; Gesetze und Kontrollen waren großteils unzureichend und/oder unwirksam, wissenschaftliche Einsicht vermochte nicht zu überzeugen oder gar mitzureißen. Und offensichtlich war bisher das Streben nach einer gesamtgesellschaftlichen - sozialen, ökologischen, kulturellen - Alternative nicht genügend glaubhaft in eine Vision und ein Gestaltungsprojekt umgesetzt und von einer politischen Führung überzeugend verkörpert worden, sodaß sich eine Mehrheit für eine andere und bessere Konzeption von Wohlstand und die dafür nötigen Änderungen eingesetzt hätte.
Nicht Einzelmaßnahmen, nicht "das bessere Umweltministerium" oder die sorgfältigere Umweltverträglichkeitsprüfung, nicht strengere Verpackungsnormen und vernünftige Geschwindigkeitsbegrenzungen werden - so notwendig sie sind - den Durchbruch zum Kurswechsel bringen, sondern nur die breite kulturelle und soziale Verankerung neuer Wunsch- und Zielvorstellungen.
Bisher kann man das olympische Motto des "citius, altius, fortius" (schneller, höher, stärker) als die bestgelungene Kurzformel für den Inbegriff unserer Zivilisation ansehen: der Wettkampf ist nicht mehr die sportliche Ausnahme und Veredelung des Alltags, sondern der Daseinsgrund schlechthin. Wenn sich nicht die Überzeugung von der sozialen Wünschbarkeit des Gegenteils - "lentius, profundius, suavius" könnte man es formulieren: "langsamer, tiefer, freundlicher" - durchsetzt und als neues Wohlstandskonzept um sich greift, wird keine Einzelmaßnahme vor dem Mißachtung, Unterlaufen oder Austricksen sicher sein.
Insofern kann ökologische Politik nur auf der Grundlage neuer (oder vielleicht alter?) kultureller und zivilisatorischer Einsichten wirksam werden, deren Herausarbeitung natürlich vor allem außerhalb der Politik im strikten Sinne vor sich geht. Dazu können religiöse und ethische, soziale und ästhetische, traditionsgebundene und auch ethnische (d.h. in der Geschichte und Identität eines Volkes begründete) Motivationen ausschlaggebende Impulse liefern. Von der Politik wird man erwarten müssen, daß sie Schritte setzt, die gleichzeitig Ansätze zu einem Kurswechsel enthalten und Lust machen auf die Wende: eine bloß bestrafende Ökologie-Politik, die mit Sack und Asche wirbt und pauperistische Ideale beim Publikum voraussetzt, wird im demokratischen Wettbewerb chancenlos dastehen.
7.
Mögliche Prioritäten in der Suche nach dauerhaftem Wohlstand
Folgende Schritte mögen zu denen gehören, die heute - untereinander vernetzt und möglichst gleichzeitig zu aktivieren - dazu beitragen könnten, einen Kurswechsel zu befördern und die Voraussetzung für (möglicherweise auch den Wunsch auf) weitere Änderungen zu schaffen. Natürlich wird auch hier in Teilschritten vorzugehen sein, und die Geschichte der sozialen Reformen zeigt, daß am ehesten der spürbare Erfolg von Maßnahmen den Konsens schaffen kann, die nächsten Etappen anzugehen. Allerdings müssen diese Teilschritte eindeutig in die richtige Richtung weisen - also gegen den derzeitigen Strom.
a) Öko-Bilanz
Die bisherigen Haushaltsrechnungen sind allesamt auf Geld aufgebaut. Solange nicht in allen Bereichen (Gemeinde, Land, Region, Staat, EG...) eine sorgfältige Umweltbilanz realistische Auskunft über echte Gewinne und Verluste gibt, lassen sich die derzeit gängige Wirtschaftsweise und die darauf basierenden sozialen Wünsche nicht entthronen und ersetzen.
b) Haushalte kürzen statt steigern
Alles Gerede um eine Wende bleibt sinnlos, solange Wachstum das Wirtschaftsziel schlechthin bleibt und öffentliche wie private Haushalte auf Steigerung der verfügbaren Geldmenge setzen. Der industrialisierte Teil der Welt muß endlich mit dem Nullwachstum und einer gewissen Kürzung Ernst machen - was natürlich behutsam und graduell zu erfolgen hat, um keine sozialen und ökonomischen Zusammenbrüche auszulösen.
c) regionale Wirtschaft statt Weltmarktkonzentration fördern
Solange außenwirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit der Maßstab des Wirtschaftens bleibt, wird jede ökologische Kurskorrektur im Keim erstickt. Regenerierung regionalen Wirtschaftens macht auch übersichtlichere Haushaltsgebarung aller Beteiligten und eine ausgeglichenere Öko-Bilanz möglich.
d) ökologisches Tarif- und Steuersystem, Kostenwahrheit
Gegenüber einem Markt, der umweltfeindliches Verhalten u.a. gerade deshalb fördert, weil er die Kosten dafür nicht zu tragen braucht, wird ein ökologisch orientiertes Tarif- und Steuersystem unerläßlich, um wenigstens teilweise und kurzfristig größere Kostenwahrheit herzustellen: Unternehmer und Verbraucher müssen merken, was massiver Gütertransport, Plastikverpackung, Energieverschwendung, Rohstoffverbrauch, Wasserverschmutzung usw. wirklich kosten.
e) Umweltverträglichkeitsprüfung erweitern und verallgemeinern
Fast alles, was heute an Bauten errichtet bzw. an Technologien erprobt und eingeführt wird, hat Ausmaße und Auswirkungen wie nie zuvor. Die Umweltverträglichkeitsprüfung - im erweiterten Sinne einer tatsächlichen Untersuchung und Abwägung der kurzfristigen und langzeitigen ökologischen, aber auch sozialen und kulturellen Folgen jedes Vorhabens - muß zum Kernbestand gesellschaftlicher Weisheit werden und gehört entsprechend auch rechtlich abgesichert. So wie frühere und andere Gesellschaften ihre Grundnormen und Tabus hatten (bezüglich Krieg, Gastfreundschaft, Inzest oder was immer), brauchen wir heute eine Grundnorm zur Verankerung der Umweltverträglichkeit: ganz gleich, ob es sich um Autobahnen, Raketen, Biotechnologien, Energiegewinnungsformen oder Einführung neuer chemischer Substanzen handelt. Und diese Verträglichkeit kann und darf nicht ohne soziale Mitbeteiligung der Betroffenen geschehen. Ein Umweltgerichtshof könnte dazu die nötige rechtliche Verankerung schaffen.
f) Umverteilung der Arbeit, soziale Garantien
Nur eine umfassende Umverteilung der sozialen Arbeit (und damit auch der gesellschaftlich anerkannten und honorierten "Arbeitsplätze") kann die notwendige Kurskorrektur erlauben. Die soziale Abfederung von schmerzlichen Umrüstungsprozessen (ganz gleich, ob man energieverschlingende oder umweltverschmutzende Fabriken schließt oder Waffenbetriebe) ist genauso notwendig und lohnend wie andere langfristige soziale Investitionen: es ist nicht einzusehen, warum Grundeigentümer entschädigt werden, die einer Straße Platz machen, und nicht auch Arbeiter, die der ökologischen Umstellung weichen müssen.
g) Minderung der Geldwirtschaft, Ausbau der "Naturalien"
Solange Wirtschaften ausschließlich über Geld vermittelt wird, ist die Berücksichtigung ökologischer Kriterien äußerst schwierig und führt zu sozialen Ungerechtigkeiten: wer zahlen kann, darf letztlich auch verschmutzen. Ein Prozeß der "Renaturierung" - weg von der allgemeinen Käuflichkeit, hin zu mehr Eigenleistung und direktem Zugang zur Natur - mag helfen, Sinn und Genuß von Arbeit, Tätigkeit und sozialem Austausch zu heben. "Res communes omnium" (vom öffentlichen Brunnen zum Strand, vom Wald zum Berg) sind nicht durch teuere Eintrittskarten zu verteilen, sondern am besten durch Honorierung von Eigenleistung, Freiwilligkeit u.dgl.
h) Partnerschaftskonzept entwickeln
Ökologisch sinnvolle Selbstbeschränkung ist dann überzeugender, wenn man sich in ein Partnerschaftsverhältnis eingebunden sieht, das etwas von der weltweiten Interdependenz widerspiegelt, die in der Realität ja vorhanden und letztlich ausschlaggebend für unser ganzes Ökosystem ist. Angesichts der heutigen Weltlage bieten sich insbesondere "Dreiecks-Partnerschaften" zwischen Nord, Süd und Ost an, die vermitteln können, wie sehr beispielsweise Verschmutzung, Müll und Tropenwald bei uns, in der Dritten Welt und in Osteuropa zusammenhängen und gemeinsam überwunden werden können. (siehe z.B. "Klimabündnis")
8.
Ökologische Verfassung?
Frühere Gesellschaften haben tiefgreifende und langfristig angelegte Entscheidungen und Verpflichtungen auch entsprechend feierlich verankert, geadelt und tradiert: denken wir etwa an die "Magna Charta Libertatum", an den legendären Rütli-Schwur, an die französische Menschenrechtsdeklaration oder - in Südtirol - an den "Bund mit dem Herzen Jesu", wie immer man inhaltlich zu diesen Akten stehen mag.
Heute fehlt es an einer vergleichbaren ökologischen Grundnorm, die in unserer Zeit - um Verbindlichkeit zu beanspruchen - demokratisch zustandekommen müßte. Zwar wurde in die eine oder andere Verfassung ein Passus über die Umwelt eingebaut, doch sind wir noch weit entfernt davon, die Erhaltung bzw. Wiederherstellung des ökologischen Gleichgewichts als gesellschaftlich vereinbarten und verpflichtenden Grundwert zu begreifen und uns entsprechend zu verhalten.
Wenn hingegen die soziale Wünschbarkeit umweltverträglichen Lebens und Wirtschaftens festgelegt und verankert werden soll, könnte man sich vielleicht einen solchen - vor allem kulturellen und sozialen, dann erst juristischen - "ökologisch-verfassunggebenden Prozeß" vorstellen: Verfassungen dienen dazu, dem Einzelnen, aber auch dem Staat und allen handelnden Subjekten jene Grenzen zu setzen, die auch gegen die verführerische Konvenienz der Einzelfalles nicht übertreten werden dürfen, und in denen sich die grundlegenden Wertvorstellungen einer Gemeinschaft historisch niederschlagen. Solange sich eine derartig verbindliche gesellschaftliche Verpflichtung zum ökologischen Maßhalten nicht einstellt und festhalten läßt, wird keine Einzelmaßnahme stark genug sein, den reißenden Strom der Konsum- und Wachstumsvergötzung aufzuhalten.