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Hans Karl Peterlini: Wenigstens versuchen

17.7.1995, da "Südtirol Profil", 17.7.95
Wenn Südtirol den Tod Alexander Langers ernst nimmt, dann hat es jetzt eine große Chance: Wer könnte besser seine Utopien verwirklichen?

Ganz einfach zur Tagesordnung übergehen, würde journalistischer und menschlicher Normalität entsprechen. Der Tote ist begraben, beweint und fast seliggesprochen, das Leichengewand wird verteilt werden, und das Leben hat uns wieder.

Wer Augen hat und Ohren und ein nicht gar zu verstocktes Herz, dar weiß, daß dem nicht so ist. Viele, auch einfache unpolitische Menschen, aber selbst die abgebrühtesten Politiker haben gespürt, daß mit diesem Tod etwas Besonderes geschehen ist. Im Bus haben sie davon geredet, in den Bars, in den Geschäften, auf den Straßen: Es muß irgend etwas geschehen.

Es geht dabei nicht um eine sehr wohl drohende Seligsprechung, die das allerletzte wäre, was dem Toten zu wünschen ist. Und es darf schon gar nicht um Vereinnahmung über den Tod hinaus gehen. Wenn Propheten abtreten, lassen sie den Lebenden Aufgaben zurück. Was Langer gepredigt hat, ist nicht Besonderes. Es ist das, was jeder in sich hat, aber verdrängt, weil die Zwänge und Interessen des Tagesgeschäftes größer scheinen: Frieden suchen und schließen mit den Menschen, mit der Natur, mit sich selber und, wer will, auch mit Gott.

Woran der Verstorbene gebaut oder, besser, unermüdlich genäht und geflickt hat, läßt sich am besten als "Utopie einer besseren Welt" zusammenfassen. Das kann nur konkret verstanden werden. Nicht irgendwo, irgendwann, sondern hier und jetzt: Politik zu Langers Lebzeiten war und ist von der Regel geprägt, daß Meinung "gegen" Meinung steht, Partei "gegen" Partei und Parteifreund "gegen" Parteifreund. Ist es nicht denkbar, daß in diesem kleinen Land, in diesem unwichtigen Landtag eine neue Regel einzieht, die in etwa der Forderung eines anderen Aussteigers, Pater Bruno Klammer und seiner Projekttheologie, entspricht: Politik als etwas zu begreifen, wo gemeinsam an etwas gearbeitet wird, wo Lebensumstände verbessert und gerechter gestaltet werden? Daß politische Abstimmung nicht mehr blind dem Recht des Stärkeren gehorcht, daß politische Diskussion sich nicht mehr darin erschöpft, Fronten aufrechtzuerhalten, den anderen niederzureden, sondern weiter geht: zuhören, nach Lösungen suchen, über Mauern steigen.

Natürlich sind das Utopien. In Branzoll, diesem Nest natürlichen Zusammenlebens, waren die Parteien nicht einmal imstande, den kleinsten Schritt über die alten Graben zu tun. Die Eskalation in Bosnien, die sich nur in den Mitteln der Konfliktaustragung, aber wenig an der Qualität der Unversöhnlichkeit unterscheidet, zeigt, wohin eine auf Konflikt, Lagerdenken, Stärkersein, Nie-Nachgeben begründete Gesellschaft führen kann. Frieden kann erst beginnen, wenn er nicht nur für Bosnien herbeigejammert, sondern auch in den vielen eigenen Konfliktsituationen - im Betrieb, in den Vereinen, in der Politik, zwischen Nachbarn - den Vorrang erhält über den Punktgewinn gegenüber dem vermeintlichen Feind.

Das Leben, so sagt man, ist anders. Aber es ist nicht das Leben, sondern jener Mechanismus, der das Leben erschwert: Er läßt uns nicht Träume glauben, er läßt uns still sein, wenn anderen Unrecht geschieht, aus Feigheit oder aus Opportunismus oder aus Sorge ums eigene Wohl. Wir haben es fertiggebracht, Langers Bozner Träume ganz einfach mit einem Paragraphen zu ersticken, obwohl es bei etwas gutem Willen sicher einen Ausweg gegeben hätte. Die Forderung an uns selber muß sein, Blöcke aufzuweichen, Träume zuzulassen und Widerstand zu leisten, wenn im Namen des Gruppenschutzes Unrecht am einzelnen geschieht.

Wir in diesem Land haben eine seltene Chance, Welt zu verbessern: Natürlich sind wir verstrickt in Ängste und Zwänge. Aber wenn wir schon die Schule übernehmen können - was hindert uns, ein Schulmodell zu entwickeln, das die Kinder und Jugendlichen aus dem Druck von Hackordnung und Punktemessen herausnimmt? Was hindert uns, Begegnung zu wagen und Sprachen zu lernen? Was hindert uns, das Land zu werden, das am besten mit Ausländern und Fremden und Zugewanderten umgeht? Was hindert uns, die wir eine Autonomie haben, im Umweltschutz jene ökologische Umkehr zu verwirklichen, ohne die dieser Planet zum Untergang verurteilt ist? Was hindert uns, wenn wir schon das Glück eines solchen Propheten hatten, im Rahmen unserer Möglichkeiten eine schönere, friedlichere Welt aufzubauen?

Egoismus, Kleinmütigkeit und das Gefühl von Aussichtslosigkeit mögen im Wege stehen. Aber keine Träne für Langer ist etwas wert, wenn es nicht wenigstens versucht wird.
pro dialog