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Wolfgang Sachs: Alexander Langer und die ökologische Wende

15.12.2005, Euromediteranea 2005

Ich wiederhole das Motto des heutigen Tages nochmals auf Deutsch: “Die ökologische Wende wird sich erst dann durchsetzen, wenn sie auch sozial wünschbar erscheint”. Diese Worte stammen von Alex – er hat dieses Motto während der Tagung “Ökologischer Wohlstand statt Wachstumsträume” 1994 in Toblach entwickelt. Alex war damals einer der letzten Sprecher, bevor wir zu den Speckknödeln gegangen sind. Der ganze Text dreht sich eigentlich darum. Ich möchte gerne noch ein, zwei Zitate davon bringen. Ich werde dann meinen eigenen kleinen Beitrag leisten, wie man den Auftrag vielleicht erfüllen kann, den er uns hier gesetzt hat. Laut Alex scheint die Schlüsselfrage also in erster Linie nicht zu sein, was wir tun können oder müssen, sondern woher Motivation und Impulse kommen sollen, die eine Umkehr möglich machen. Nicht Einzelmaβnahmen, nicht das bessere Umweltministerium, nicht sorgfältigere Umweltverträglichkeitsprüfunen, nicht strengere Verpackungsnormen werden den Durchbruch zum Kurswechsel bringen, sondern nur die breite kulturelle und soziale Verankerung neuer Wunsch- und Zielvorstellungen. Ich möchte versuchen darauf ein Stück zu antworten und nehme schon die erste Lektion auf. Wahrscheinlich wird der “ambientalismo” nur zum Durchbruch kommen, wenn er stirbt, wenn er aufgeht in die kulturellen Selbstverständlichkeiten, die eine Zivilisation hat. Und es ist vielleicht gar kein Zufall, dass Alex ja auch immer zu den ärgerlichen, anstöβigen Personen gehört hat, die gefordert haben, die grüne Partei müsste sich auflösen und hineinverschwinden in andere Formationen und Parteien. Ich glaube, da liegt die Idee zugrunde, dass das Grüne als eigenständige Farbe nicht überleben wird, sondern nur insofern, als das Grüne die Hintergrundfarbe der wichtigen Leitvorstellung einer Gesellschaft wird. In dieser Weise möchte ich gerne drei bescheidene Gedankengänge anbringen. Ich möchte gerne versuchen in fünfzehn Minuten einige Kernperspektiven von grünem Denken in allgemeine Zielvorstellungen hineintragen. Und ich mache das um drei Begriffe herum: erstens Klugheit, zweitens Fairness und drittens Lebenskunst.
Ad 1) Klugheit – Klugheit ist Kardinaltugend, antike Tugend. Das Gegenteil von Klugheit ist Kurzsichtigkeit, Blindheit. Der Kluge ist nicht utopisch, er ist realistisch – er versucht ein nüchternes Verhältnis zur Realität zu bekommen. Der Kluge ist auch der, der nicht verdrängt, denn er weiβ, wenn er verdrängt, kommt das Verdrängte irgendwann Mal wieder.
Klugheit – und jetzt kommen wir der heutigen Problematik schon näher – hat wahrscheinlich damit zu tun, auf das Gesamte zu schauen. Es hat damit zu tun, die Dinge im Kontext wahrzunehmen. Es hat mit einer “visione sistematica” zu tun. Es hat damit zu tun, die Komplexität von Situationen und Wirklichkeiten im Blick zu behalten. Sie ist also eine Tugend, die der linearen Maximierung widerspricht. Denn jede lineare Maximierung möchte ein Ziel optimieren. Deshalb ist die Gefahr immer vorhanden, den Kontext aus dem Auge zu verlieren.
Klugheit ist die Tugend, den Kontext im Augenwinkel zu behalten.
Nun gibt es heute natürlich eine historisch bedeutsame Kurzsichtigkeit, die am Grund unserer Wirtschaftszivilisation liegt und die heute praktisch der Baustein unseres ökonomischen Denkens ist. Nämlich seit ungefähr 150 Jahren beruht ökonomisches Denken, das heiβt, ökonomische Wahrnehmung, das Wirklichkeitsmodell, was das Herrschende ist, auf der Annahme, dass die Natur drauβen für immer groβzügig und überflieβend zur Verfügung stehen wird. Aus diesem Grund braucht sie keine zentrale Kategorie im ökonomischen Denken darzustellen. Gleichzeitig ist damit aber auch gesagt worden, dass Werte eigentlich nur vom Menschen geschaffen werden, aber nicht von der Natur. Der Mensch ist demzufolge der Akteur der Wertschöpfung. Heute weiβ man jedoch, dass die Gesamtdienste, welche die Natur heute der Welt zur Verfügung stellt, ungefähr, wenn man es zu monetisieren versucht, doppelt so groβ sind, wie das jährliche Weltwirtschaftsprodukt. Trotzdem glaubt man seit 150 Jahren naturvergessen sein zu können. Das hat eine Art von technischem Fortschritt in Gang gesetzt, der darauf gesetzt hat, mit möglichst wenig Menschen möglichst viel herzustellen. Der historische Kontext hat sich heute gewandelt. Diese Art von Wirklichkeitsmodell stellt sich als unrealistisch heraus, da es nicht die wahren Sachzwänge in den Blick nimmt und deshalb nicht klug ist. Klugheit erfordert den Kontext im Auge zu behalten. Klugheit erfordert systematisch im Auge zu behalten, dass die Ökonomie nur ein Untersystem der Biosphäre ist. Klugheit erfordert also, die Prioritäten zu ändern und nicht eine Wirtschaft zu schaffen, die immer mehr mit immer weniger Leuten herstellt. Wir sollten eine Wirtschaft schaffen, die mit weniger gebrauchter Natur herstellt und die die Kunst schafft, die Intelligenz und die Investition daran zu setzen, Wertschöpfung mit möglichst geringem Ressourcenaufwand zu realisieren. Das erfordert heute Klugkeit an der Basis des Wirtschaftdenkens. Natürlich stecken darin ein groβes Ingenieurstalent, die Veränderung des Produktion- und Konsummusters, ein Projekt von Architektur, ein Projekt von Sanitäraustattung, ein Projekt von Vehikeln, ein Projekt von Agrikultur usw.
Ich glaube man kann es schlussfolgern, weil klar ist, was mit “0 emission production” gemeint ist: ein Netzwerk unabhängiger Solarproduzenten. All diese Dinge mehr sind Erfordernisse der Klugheit. Was ist heute ein exzellenter Manager oder ein exzellenter Wirtschaftsdenker, wenn er nicht in diese Richtung denkt? Er wird nach dem Slogan handeln müssen, der von Günther Pauli kommt “Erwarte nicht von der Natur mehr zu produzieren. Erwarte von den Menschen mehr mit dem anzufangen, was die Natur produziert.”

Ad 2) Fairness – Ich bin überzeugt, dass in diesen Jahren bereits die Grundkonzeption dessen – das Verständnis, was Fairness und Gerechtigkeit bedeutet – sich ändern wird. 25 % der Weltbevölkerung verbrauchen 75 % der Weltressourcen. Der globale Umweltraum, das Patrimonium an Natur, das der Welt zur Verfügung steht, ist drastisch ungleich verteilt. Jedermann weiβ, dass wir es uns zurecht nicht mehr leisten können, ungerecht zu sein, weil die Welt kleiner geworden ist infolge der Globalisierung. Infolge der Globalisierung kann man die Frage der Gerechtigkeit nicht mehr vermeiden. Warum? Weil die Welt kleiner geworden ist, die Distanzen sind geschrumpft. Manche sagen, die Entfernungen sind verschwunden. Die Zeit wird zu “real time”. Das gilt nicht nur für die Wohltaten der Globalisierung, sondern auch für die Übel der Globalisierung. Es ist zwar schön, dass wir schnell auf die Seychellen reisen können oder, dass ich mit meiner Freundin in New York via Internet kommunizieren kann, aber das kann der Kriminelle auch. Auch die Übel und Plagen reisen genau so schnell, von Epidemien bis zu Folgen ökologischer Zerstörung. Deshalb sind wir zunehmend in der Situation der wechselseitigen Verwundbarkeit. Und in dieser wachsenden Situation der wechselseitigen Verwundbarkeit wird Gerechtigkeit immer weniger zum Luxus. Gerechtigkeit ist keine Sache der Blauäugigen mehr, sondern es ist eine Sache von Realisten. Wer heute realistisch die Welt anguckt, muss sich Gedanken machen über Fragen der Sicherheit, denn diese führen ihn unweigerlich zu Fragen der Gleichheit und Ungleichheit. Wenn es um die Entschärfung der Weltverhältnisse geht, – ich glaube allen geht es darum – dann wird man automatisch Ökologe. Das ist auch ein Anliegen der Jugend, die sich fragt, wie es denn in den nächsten fünfzig Jahren weitergehen soll. Am Beispiel Öl im Rahmen des Irak-Krieges lässt sich genau die Konstellation von ökologischen Konflikten aufzeigen. Die Nachfrage nach Öl steigt. Wir wissen, dass Öl in den nächsten zehn Jahren die “midterm depletion” erreicht. Die Produktion wird also nicht mehr zunehmen, aber die Nachfrage wird über das Angebot hinausschieβen. Die Schere öffnet sich immer weiter. Was passiert als nächstes? Das Öl wird natürlich teurer werden. Es verschwindet nicht, aber es wird teurer. Und jetzt kommen noch zusätzliche Nachfrager hinzu, wie China, Indien, Malaysia, Venezuela, Brasil und Mexiko, die auch ihren Anteil am Ölkuchen haben wollen. Plötzlich entsteht hier eine ganz klare langfristige Konfliktkonstellation. Und jeder, der heute über Frieden und Sicherheit nachdenkt, ist gezwungen, sich mit der Ökoproblematik der fossilen Ressourcen auseinander zu setzen. Es besteht also gar kein Zweifel, dass das Grüne in das Denken von Frieden und Sicherheit hineingeht.
Was wäre denn eine Gerechtigkeit in der Welt?
Ich glaube, dass es wichtig ist, Gerechtigkeit nicht als Glückstheorie, sondern als Freiheitstheorie anzugehen. Ich bin nicht der Meinung, dass alle Menschen in der Welt denselben Anteil an Ressourcen haben sollen. Warum sollen die Finnen nicht mehr Wald verbrauchen als die Italiener? Oder die Deutschen mehr Wasser als in Mali? Die Ökosysteme sind einfach divers und haben unterschiedliche Angebote. Der entscheidende Punkt ist, Gerechtigkeit nicht als Glückstheorie zu betrachten, das heiβt, alle haben das Recht auf dieselbe Befriedigung, sondern Gerechtigkeit als Freiheitstheorie. Alle haben das Recht in ihrer Weise ihr Projekt eines gelingenden Lebens oder einer gelingenden Gesellschaft zu verfolgen. Und der Punkt ist: Wenn die Freiheitschancen des einen auf Kosten der Freiheitschancen des anderen gesteigert werden, dann geht es ungerecht zu. Die Kantsche Regel, die besagt, dass “Die eigene Freiheit ihre Grenzen an der Freiheit des anderen findet”, trifft deshalb meiner Meinung nach auch für die internationale Ressourcenverteilung zu. Es ist keine Frage, dass heute viele Völker der Welt für ihre autonome und ebenbürtige Entwicklung nicht mehr auf ihre Anteile von Ressourcen zurückgreifen können, weil diese Anteile von den reicheren Nationen besetzt sind. Diese Ungerechtigkeit wird verschärft durch die Endlichkeit, denn, je weniger da ist, desto schärfer tritt die Ungleichheit zutage. Daraus gibt es eigentlich nur eine Folgerung und darin liegt natürlich eine groβe Sprengkraft: Nicht nur im Öl, sondern auch bei den Fischen, beim Wald und bei der Bodenfruchtbarkeit wird es langfristig und mittelfristig nur einen demokratischen Weg geben. Es gibt zweifelsohne den Weg der globalen Apartheid, aber es gibt auch einen demokratischen Weg, nämlich den, Wohlstand neu zu erfinden. Wohlstand sollte so erfunden werden, dass er gerechtigkeitsfähig wird, dass er mit weniger Ressourcen auskommt, dass er so demokratisch wird, dass alle in der Welt an diesem Wohlstand teilhaben können, ohne die Biosphäre in den endgültigen Ruin zu schicken.
Also, der Abbau von Ressourcenansprüchen ist eine zentrale Kernforderung für Fairness und diese Wahrheit wird auch den Nichtgrünen nicht lange verborgen bleiben.

Ad 3) Mein letzter Punkt: Lebenskunst. Demnach gehört zu den Grundwahrheiten des herrschenden Modells, dass Konsum mehr Glück bringt. Erste Zweifel hat man ja schon, wenn man sich das empirisch anguckt. Wir wissen empirisch, dass Menschen jenseits eines Niveaus, Menschen, die mehr Einkommen haben, auch nicht glücklicher sind. Und die Amerikaner, die heute etwa vier Mal soviel Wertschöpfung produzieren, wie in den fünfziger Jahren, sind heute gewiss nicht vier Mal so glücklich.
Das muss in einem ja schon Zweifel erwecken.
Wichtiger aber ist ein anderer Gesichtspunkt. Es ist für die Klassiker unseres Denkens ganz klar, dass das schöne, gelungene Leben nicht jener hat, der sich jeden Genuss an die Brust wirft, sondern jener, der in der Lage ist, seinen Genuss zu modulieren; der im Auf und Ab der Zeit in der Lage ist, seine Vergnügungen zu modulieren. Daher kommen die klassischen Denker immer dazu – und das nicht nur bei uns, sondern auch z.B. im Buddhismus – aufzuspieβen, dass Unabhängigkeit, d.h. sich selbst ein Stück weit unabhängig zu machen, von den Angeboten, vom Konsum, ein entscheidener Punkt ist, um längerfristig glücklich zu sein, die Unabhängigkeit zu halten, und wie ich glaube, die eigene Herrschaft über die Wünsche zu halten. Ich glaube, das ist ein Motiv, das viele Leute umtreibt, das für viele Leute attraktiv ist – und wir gehen immer mehr in eine Zeit der Multioptionsgesellschaft hinein, wo es jede Menge von Einladungen, von Vereinbarungen, von “appuntamenti” gibt und es immer schwieriger wird, den Kopf über der Flut der Dinge und Erledigungen zu halten. An dem Punkt tritt etwas Eigenartiges auf, dass “das Wenige tatsächlich zum Mehr führen kann” und zwar gerade heute, weil in unserer Gesellschaft nicht mehr der Mangel die Unabhängigkeit bedroht, sondern der Überfluss an Optionen. Wir sind alle nicht bedroht, weil wir zu wenig haben. Man kann auch bedroht sein, weil man zu viel hat. Und wer immer seinem Leben eine eigene Form geben und ihm seinen eigenen Stempel aufprägen möchte, der braucht immer mehr die Fähigkei, auch “Nein” zu sagen. Auf einer banalen Ebene weiβ es jeder Internet-Benützer – wenn dieser nicht in der Lage ist, “Nein” zu sagen, wird er nie auf einen grünen Zweig kommen. Aus diesem Grunde glaube ich wird es heute auch langsam leichter von einem ressourcenleichten Wohlstand zu sprechen, von einem “Weniger” zu sprechen, aber dafür “konzentrierter”. Kurz und gut, die Ästhetik des Maβes wird notwendiger, ohne ihr kann man das eigene Wollen nicht mehr retten. Derjenige, der das eigene Wollen retten will, braucht heute eine Ästhetik des Maβes, weil er umgeben ist von Überfluss. Andererseits, wenn es nicht so wäre – und damit schlieβe ich – geht es jedem von uns so. Und da wir hier alle in einem Ex- K u. K- Gebiet sind, darf ich Ödon von Horvath zitieren, der einmal über folgendes geseufzt hat: “Ich bin eigentlich ein ganz Anderer, bloβ komm ich so selten dazu.”

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